Unsichtbare Bildungsprogramme? Zur ... - Nordrhein-Westfalen direkt
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egeln an Skate-Spots, Szene-Sprache, Skate-Contests,<br />
relevante Fahrer, relevante Magazine und relevante<br />
Videos an.<br />
Für Außenstehende herrscht an einschlägig bekannten<br />
Skatespots ‚auf den ersten Blick’ ein heilloses<br />
Durcheinander. Zahlreiche Jugendliche fahren scheinbar<br />
ohne System und Regeln mit ihren Skateboards<br />
ebene Flächen entlang, auf Hindernisse zu, vollziehen<br />
Sprünge, stürzen, stehen wieder auf und fahren erneut<br />
in dieses 'Chaos'. Dennoch kommt es nur sehr selten<br />
zu Zusammenstößen zwischen den Skatern. Das ist<br />
nun wesentlich darauf zurückzuführen, dass Skater<br />
zum einen über Wissen in Bezug auf die Fahrweise<br />
anderer Skater verfügen, und dass sie sich zum anderen<br />
das spezifische Kommunikationssystem zur<br />
Koordination der Fahraktivitäten angeeignet haben.<br />
Skater können bereits anhand der Art und Weise, wie<br />
jemand Anlauf nimmt, erkennen, welches Fahrmanöver<br />
er auszuführen beabsichtigt. Sie erkennen mit<br />
einiger Wahrscheinlichkeit auch, ob der Trick ge- oder<br />
misslingen wird, und damit, ob sie mit ihrem eigenen<br />
Manöver noch warten müssen oder bereits starten können,<br />
weil kein Sturz zu erwarten ist. Sie können einschätzen,<br />
ob und in welche Richtung das Board aller<br />
Wahrscheinlichkeit nach wegrollen wird, so dass sie<br />
ihre eigenen Manöver der Situation anpassen können.<br />
Zusätzlich werden die Aktionen durch (zumeist) nonverbale<br />
Kommunikationsprozesse koordiniert. Wollen<br />
beispielsweise zwei Skater das gleiche Hindernis von<br />
einem unterschiedlichen Startpunkt aus ansteuern,<br />
geben sie sich durch Blickkontakt oder ein kurzes<br />
Kopfnicken zu verstehen, wer das Hindernis als erster<br />
'skatet'. In der Halfpipe gelten noch einmal besondere<br />
Regeln: Hier gilt, wer zuerst in die Pipe 'dropt', hat<br />
’Vorfahrt’. Wenn Skater oben auf der Halfpipe stehen,<br />
beobachten sie also die anderen Fahrer. Wenn sie selbst<br />
startklar sind, vergewissern sie sich noch einmal, ob<br />
nicht ein anderer Fahrer ebenfalls beabsichtigt, zu starten.<br />
Ist dies der Fall, verständigen sie sich, wie auch an<br />
Street-Spots, vor allem nonverbal darüber, wer zuerst<br />
fährt. Findet eine längere Session mit den gleichen<br />
Fahrern statt, entwickelt sich zumeist eine<br />
Reihenfolge, an die sich alle halten. Dennoch passiert<br />
es manchmal, dass mehrere Fahrer gleichzeitig in die<br />
Halfpipe fahren. In diesem Fall fährt der Skater, der<br />
zuerst gestartet ist weiter, während die anderen ihre<br />
Fahrt abbrechen. Antizipation der Fahrweise anderer<br />
Skater und intensives gestisches Kommunizieren sind<br />
also notwendige – und zumeist eben auch hinreichende<br />
– Voraussetzungen dafür, Unfälle an den Spots zu<br />
vermeiden.<br />
Der Skater-Szene eignet aber überdies auch ein ausdifferenziertes<br />
Begriffssystem, - was sich z.B. an folgendem,<br />
willkürlich herausgegriffenen Zitat aus dem<br />
Boardstein-Magazin (4/2003: 57) verdeutlichen lässt:<br />
„Hier kommt mal wieder ein Nachwuchsripper angeflogen,<br />
der die Großen plattmachen will. Fabian Doll,<br />
13 Jahre jung, bombt per FS 180° Ollie ein Gap in<br />
Karlsruhe“. Für Außenstehende ist vermutlich ziemlich<br />
unverständlich, worüber Skater hier in ihrem<br />
‚Szeneslang’ kommunizieren. Nicht nur Tricks, sondern<br />
auch Handlungen und typische Personen erhalten<br />
eigene Bezeichnungen: Mit ‚poppen’ ist beispielsweise<br />
‚springen’ gemeint; jemand, der ‚slidet’, ‚rutscht’<br />
auf etwas entlang; ein ‚Ripper’ ist ein außergewöhnlich<br />
guter Skateboardfahrer. Wer diese Szenesprache nicht<br />
beherrscht, kann sich nicht, jedenfalls nicht kompetent,<br />
an Unterhaltungen unter Szenegängern beteiligen,<br />
einfach deshalb, weil er ihnen nicht folgen kann.<br />
Auch die diskursive Beteiligung ist allerdings notwendig,<br />
um sich als szenezugehörig zu inszenieren und zu<br />
fühlen und um die Anerkennung der anderen<br />
Szenegänger zu gewinnen.<br />
Mitreden können heißt auch, über aktuelle Szene-<br />
Entwicklungen und szeneinterne Debatten bescheid zu<br />
wissen – z.B. über Diskussionen zur Rolle der Frau in<br />
der Szene, zum Verschwimmen der Grenzen zwischen<br />
‚Pro's’ und ‚Am's’ in der deutschen Skater-Szene 156<br />
oder darüber, dass vermehrt junge Leute in die Szene<br />
kommen, die Skateboarding ‚nur’ noch als Sport sehen<br />
und sich nicht mehr mit dem skateboardspezifischen<br />
‚Lifestyle’ identifizieren. Außerdem kennen die meisten<br />
Skateboarder sowohl regionale als auch überregionale<br />
Spitzenskater, ihre bevorzugten Tricks, ihren<br />
besonderen Style und ihr Leistungsvermögen. Sie sind<br />
informiert über neue Videos 157 und über die relevanten<br />
Skateboard-Magazine. 158 Dieses Wissen ist ebenfalls<br />
notwendig, um sich kompetent am Szene-Diskurs<br />
beteiligen zu können.<br />
156 ‚Pro’ ist die Kurzform von ‚Profi-Skater’; ‚Am’ ist die Kurzform von ‚Amateur-Skater’. – Zunächst galten ausschließlich jene Skater als ‚Pros’, die ein eigenes<br />
‚Pro-Board’ hatten; was bedeutet, dass der Sponsor ein Board mit dem Namen des Skaters vertreibt. Heute gilt jeder Fahrer, der (auf welche Weise auch<br />
immer) gesponsert wird, als ‚Pro’.<br />
157<br />
Zu nennen ist hier beispielsweise das Video zu den letzten Weltmeisterschaften mit dem Titel ‚Globe Worldchampionchips 2003’ oder das von ‚Lodz/Square<br />
Wheels’ produzierte Video ‚They don't give a fuck about us’.<br />
158 Hier sind Magazine wie das ‚Limited-Magazin’, ‚Monster-Skateboard-Magazin’, ‚Playboard’ oder das ‚Boardstein-Magazin’ zu nennen.<br />
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