Unsichtbare Bildungsprogramme? Zur ... - Nordrhein-Westfalen direkt
Unsichtbare Bildungsprogramme? Zur ... - Nordrhein-Westfalen direkt
Unsichtbare Bildungsprogramme? Zur ... - Nordrhein-Westfalen direkt
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
28<br />
dern im Umgang miteinander, also zwischen den Geschlechtern,<br />
zwischen den Lebensformen, den Altersgruppen,<br />
zwischen Personal und Gästen auf mannigfaltige,<br />
oft sehr subtile Arten und Weisen kontrolliert<br />
und stabilisiert. Insofern erscheint es uns keineswegs<br />
als zu weit hergeholt, das sozialisierende Einleben in<br />
Gepflogenheiten des den Spaß aller ermöglichenden<br />
Umgangs bei und während Techno-Partys als eine<br />
Form der Zivilisierung zu begreifen, wie sie Jugendlichen,<br />
z.B. im Rahmen von ‚Benimmunterricht’ in<br />
Schulen und anderen Ausbildungsstätten, derzeit (wieder)<br />
mühsam vermittelt werden soll.<br />
Derlei Kompetenzen, wie sie etwa zur Konfliktvermeidung<br />
und Konfliktbewältigung im zwischenmenschlichen<br />
Umgang erforderlich sind, bezeichnen wir als<br />
‚allgemein alltagspraktisch relevante Kompetenzen’.<br />
Wir meinen damit alle Arten von Kompetenzen,<br />
die auch außerhalb der Szene im alltäglichen<br />
Miteinander relevant sind.<br />
2.2.4 Die Kategorie ‚Nicht-zertifizierte<br />
berufspraktisch relevante<br />
Kompetenzen’<br />
Techno-Party-Besucher stellen typischerweise hohe<br />
Ansprüche an die akustische Ausgestaltung des Veranstaltungsraumes,<br />
deren Erfüllung in Anbetracht der<br />
hier üblichen Lautstärke und Intensität der Bass-Frequenzen<br />
ein hohes Maß an (elektro-)technischem<br />
Know-how der Toninstallation voraussetzt. Die Erzeugung<br />
des für Techno-Partys signifikanten Klangraumes,<br />
d.h. die Beschallung der Tanzfläche nicht nur<br />
von vorne, sondern sozusagen ‚von allen Seiten’ her,<br />
erfordert zahlreiche technische Vor- und Zuarbeiten,<br />
wie etwa den Transport, die Aufhängung und Anordnung<br />
von Lautsprecherboxen, Monitoren, deren Verkabelung<br />
usw., für die – auf der Ebene ‚unterhalb’ der<br />
letztverantwortlichen Cheftechniker – ein grosser Stab<br />
an Mitarbeitern beschäftigt wird.<br />
Im Zuge der Mitwirkung eignen sich Szenegänger, die<br />
sich hier als Zuarbeiter betätigen, (elektro-)technische<br />
Fachkompetenzen an, die sie in die Lage versetzen,<br />
selbstständig Teile einer elektronischen Gesamtanlage<br />
aufzubauen und Boxen und Hifi-Geräte derart zu<br />
installieren, dass – unter Berücksichtigung der hierfür<br />
geltenden Sicherheitsauflagen – ein Klangerlebnis<br />
ausgesprochen hohen Niveaus entsteht. 34 Derlei<br />
Kompetenzen, die auch außerhalb der Techno-Party-<br />
Szene nachgefragt werden und somit berufspraktisch<br />
relevant sind, werden in der Regel nicht im Rahmen<br />
einer formalen Ausbildung, z.B. zum Tontechniker,<br />
sondern im Zuge langjährigen Mittuns erworben und<br />
lassen sich schon allein deshalb nicht <strong>direkt</strong> belegen,<br />
weil sie sich auf Tätigkeiten beziehen, die sich nicht<br />
als Einzelleistungen ausweisen lassen, weil sie eben<br />
Teil eines komplexen Arbeitszusammenhangs sind.<br />
Für den möglichst reibungslosen sozialen Ablauf einer<br />
Techno-Party sorgt – sozusagen ‚unterhalb’ der Ebene<br />
der (Letzt-)Verantwortungsträger – ‚vor Ort’ das so<br />
genannte ‚Betreuungspersonal‘. Dabei handelt es sich<br />
in der Regel um Szenegänger, die seit vielen Jahren<br />
aktiv am Szene-Leben teilnehmen und sich in<br />
Krisensituationen nicht nur als verlässliche und belastbare<br />
‚Helfer in der Not’ bewährt, sondern ein relativ<br />
ausgeprägtes Organisationsgeschick unter Beweis<br />
gestellt haben. Akteure diesen Typs werden bei grossen<br />
Techno-Partys beispielsweise in der Funktion des<br />
Künstlerbetreuers engagiert, um zu gewährleisten,<br />
dass die zahlreichen DJs zur im line up festgelegten<br />
Zeit ihrer Arbeit am DJ-Pult nachgehen können und<br />
dass sie vor, während und nach der Veranstaltung ihren<br />
– in der Regel vorab mit den Veranstaltern abgestimmten<br />
– Wünschen und Bedürfnissen entsprechend versorgt<br />
sind bzw. umsorgt werden.<br />
Zum Aufgabengebiet des Betreuungspersonals gehört<br />
z.B. auch der Fahrdienst, d.h. der Transport von<br />
Künstlern, Veranstaltern und (warum auch immer)<br />
‚wichtigen’ Personen zwischen Veranstaltungsort,<br />
Hotels, Flughäfen und Bahnhöfen. Pünktlichkeit,<br />
Zuverlässigkeit und rigorose Nüchternheit sind unabdingbare<br />
Voraussetzungen in diesem Tätigkeitsfeld;<br />
ein angemessener, d.h. freundlicher und respektvoller<br />
Umgang mit den verschiedenartigen zu betreuenden<br />
Personengruppen ist eine hochgeschätzte soziale<br />
Kompetenz, die für ein dauerhaftes Engagement unerlässlich<br />
ist.<br />
Kompetenzen wie die von technischen Zuarbeitern<br />
und des Betreuungspersonals, die sich nicht oder<br />
jedenfalls nicht <strong>direkt</strong> belegen lassen, weil sie sich<br />
34 Bei der „Mayday“, dem jährlich stattfindenden größten Indoor-Event in den Dortmunder <strong>Westfalen</strong>hallen, werden im Zuge der dreitägigen Aufbauarbeiten 300<br />
Lautsprecher zusammengeschlossen, die insgesamt ca. 500.000 Watt erzeugen, und 150 Kilometer Kabel verlegt.