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Unsichtbare Bildungsprogramme? Zur ... - Nordrhein-Westfalen direkt

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4. Das Bildungsprogramm der Hardcore-Szene<br />

4.1 Szeneportrait<br />

4.1.1 Entstehung und Entwicklung<br />

Hardcore (HC) als eigenständige Szene entstand zu<br />

Beginn der 80er Jahre zunächst in den USA und breitete<br />

sich wenig später auch in Europa aus. 43 Ihre<br />

Wurzeln finden sich im Punk 44 , dessen Musikstil bis<br />

heute nahezu ausschließlich durch ‚Insider‘ von dem<br />

relativ einfach strukturierten, schnellen und aggressiv<br />

wirkenden ‚HC-Sound‘ zu unterscheiden ist. Darüber<br />

hinaus basiert die HC-Kultur auf ideologischen Inhalten,<br />

an die eine als szenetypisch zu betrachtende<br />

Idealvorstellung eines bewussten und konsequenten<br />

Lebens 45 gekoppelt ist. Vielfach spiegeln sich Auffassungen<br />

solcherart in Songtexten wider, die in den<br />

Anfangszeiten der Szene noch überwiegend explizit<br />

politisch ausgerichtet waren. Heutzutage variieren die<br />

zumeist emanzipatorischen Anliegen (in) der Hardcore-Szene<br />

innerhalb eines breiten thematischen<br />

Spektrums, das wenn auch nicht mehr vorwiegend<br />

politisch, so doch (noch) überaus häufig sozialkritisch<br />

gefärbte Aussagen aufweist.<br />

Die traditionelle Verbindung von ‚Punk’ und ‚Hardcore’<br />

hinsichtlich ihrer musikalischen Präferenzen<br />

stößt mittlerweile deutlich an ihre lebensstilistischen<br />

Grenzen – abgesehen von einer Gemeinsamkeit, die<br />

darin besteht, dass die Punk-Szene ebenso wie die<br />

Hardcore-Szene im politisch linken Spektrum zu ver-<br />

42 Siehe dazu auch Hitzler/Bucher/Niederbacher 2000 sowie www.jugendszenen.com.<br />

orten ist. Positiv gestaltet sich demgegenüber die<br />

Beziehung zur Skateboarder-Szene: Ein nicht unbeachtlicher<br />

Teil der HC-Szenegänger zählt sich zu den<br />

Skatern – was nicht nur in einem ähnlichen Kleidungsstil<br />

zum Ausdruck gebracht wird, sondern auch das<br />

Thema einiger Songtexte bildet.<br />

4.1.2 Soziodemographische Merkmale der<br />

Szenegänger<br />

Typische Hardcoreler sind durchschnittlich etwa 20<br />

Jahre alt, die Spanne der vertretenen Altersgruppen<br />

liegt zwischen 15 und 30 Jahren. Der Altersdurchschnitt<br />

im – von uns so genannten – ‚Szenekern‘ liegt<br />

hingegen eher bei 25+. 46 Während (formale) Bildungsgrade<br />

mit leichter Tendenz zu höheren Abschlüssen<br />

recht homogen verteilt sind, erweist sich der Geschlechterproporz<br />

in der HC-Szene als klar männlich<br />

dominiert. Nur etwa ein Fünftel der Szenegänger ist<br />

weiblich, wobei derzeit leicht steigende Tendenzen<br />

festzustellen sind. Diesbezüglich ist zu beachten, dass<br />

die zahlenmäßige Dominanz männlicher Szenegänger<br />

sich nicht in einem diskriminierenden Umgang ‚der<br />

Geschlechter’ miteinander niederschlägt, denn weibliche<br />

Hardcoreler sind nicht aus bestimmten Tätigkeitsbereichen<br />

oder Diskursen ausgeschlossen, auch werden<br />

ihnen nicht explizit ‚geschlechtstypische‘ Aufgaben<br />

und Rollen zugeschrieben oder zugewiesen; vielmehr<br />

ist ‚Gender‘ kein Thema, dem innerhalb der Szene<br />

besondere Aufmerksamkeit gilt. 47<br />

43 Nach einer erheblichen Expansion in den 80er Jahren waren die ‚Zuläufe’ zur Hardcore-Szene in den 90er Jahren stark rückläufig. Mit Blick auf aktuelle<br />

Musiktrends ist allerdings damit zu rechnen, dass sich die Szene in den nächsten Jahren erneut einer wachsenden Beliebtheit erfreuen wird: zum einen deshalb,<br />

weil Bands des Genres ‚Emocore‘ Einzug in die Heavy Rotation großer Musiksender gefunden haben, zum anderen deshalb, weil Bands der ‚HC-New School‘<br />

vom New Metal-Hype profitieren.<br />

44 Die inzwischen dennoch klare Abgrenzung beider Szenen voneinander beruht auf einem Ablö-sungsprozess, in dessen Verlauf die ‚HC-Kids‘ den Punks<br />

immer nachdrücklicher vorwarfen, die ei-gentlichen Ideen und Ziele des Punk an Kommerz und Alkoholkonsum ‚verraten‘ zu haben.<br />

45 Ein Großteil der Szenegänger spricht häufiger davon, ‚Hardcore zu leben‘, als lediglich Hardcore zu hören. ‚Hardcore leben’ beinhaltet die Idee, dass gesellschaftliche<br />

Veränderungen nicht in erster Linie durch eine Revolution in Gang gesetzt werden sollen, sondern durch die ‚konsequente‘ Lebensweise möglichst<br />

vieler Individuen, die in ihrem näheren Umfeld eine Art Vorbildfunktion einnehmen möchten. Individuelle und kollektive inhaltliche Ausprägungen szenetypischer<br />

Lebensweisen werden in Kapitel 4.1.3 erläutert.<br />

46<br />

Vgl. zu einem allgemeinen Konzept des Gesellungsgebildes ‚Szene’, deren Struktur als um einen ‚Kern’ bzw. um mehrere ‚Kerne’ verdichtetes netzwerkartiges<br />

Gebilde beschrieben werden kann, Hitzler/Bucher/Niederbacher 2000: 15ff.<br />

47 Weibliche Hardcoreler sind in vielen szenerelevanten Bereichen aktiv: Sie organisieren Shows, sie schreiben Fanzines, sie fahren Touren; seltener singen<br />

und/oder spielen sie in Bands (wofür sich keine plausible, allgemeingültige Erklärung formulieren lässt). Deshalb sind immer Szenezugehörige beiderlei<br />

Geschlechts gemeint, wenn im folgenden in der ‚maskulinen Form’ von Hardcorelern, Szenegängern, Lokalen Promotern, Tourmanagern (usw.) die Rede ist. Dass<br />

sich trotz aller (stillschweigend als selbstverständlich vorausgesetzten) Vorsätze der gleichberechtigten Szenegestaltung vereinzelt (und überaus selten) diskriminierende<br />

Aussagen vernehmen oder Praktiken beobachten lassen, die allerdings eher auf der Ebene der ‚Fauxpas’ anzusiedeln sind und deren Klärung demgemäß<br />

unmittelbar diskursiv erfolgt, soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden.<br />

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