Unsichtbare Bildungsprogramme? Zur ... - Nordrhein-Westfalen direkt
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sich dem Vorantreiben des jeweiligen Szeneprojekts<br />
widmen kann. Gegenwärtige Unsicherheiten werden<br />
zugunsten der angestrebten, zukünftigen hauptberuflichen<br />
Tätigkeit in der Szene in Kauf genommen. Dass<br />
man sich gelegentlich mit ‚unangenehmen‘ oder ‚stupiden‘<br />
Nebentätigkeiten „über Wasser halten“ muss,<br />
wird über die als erfüllend und sinnvoll empfundene,<br />
szeneinterne Wahlbeschäftigung ausgeglichen: Anerkennung,<br />
Selbstverwirklichungsmöglichkeiten und<br />
Spaß bilden die ‚Ressourcen‘, die Hardcoreler vor<br />
allem in der Szene suchen und finden. Gemessen an<br />
anderen (Musik-)Szenen ist der Anteil derjenigen<br />
Szenezugehörigen, die in den Bereichen Organisation,<br />
Produktion und Distribution eigenständig aktiv werden<br />
oder (mit-)arbeiten, überproportional hoch 69 , der<br />
Anteil eines passiv konsumierenden Publikums ist<br />
demgegenüber signifikant gering. 70<br />
Der Umstand, dass keine Beständigkeit der Einkünfte<br />
in den meisten szeneinternen Tätigkeitsfeldern prognostiziert<br />
werden kann, ergibt sich aus der Nachfrage<br />
bzw. Auftragslage. Während Booker, Konzertveranstalter<br />
und Betreiber von Shops und Mailorder-<br />
Services 71 sich zumindest an aktuellen ‚Trends‘ orientieren<br />
können und die zu erwartende Nachfrage beispielsweise<br />
über Informationsaustausch untereinander<br />
halbwegs hinlänglich einzuschätzen vermögen, stellt<br />
sich die Erwerbslage für diejenigen, die auf die<br />
Erteilung von Aufträgen angewiesen sind, wie<br />
Roadies, Tourmanager, Tourbusfahrer, Tontechniker<br />
etc., um einiges prekärer dar. 72 Letztere können, insbesondere<br />
wenn sie ‚neu im Geschäft‘ sind, oft nur<br />
schwerlich absehen, wann sich der nächste ‚Job‘ ergeben<br />
und wie hoch das entsprechende Honorar ausfallen<br />
wird. 73 Touren und Konzerte werfen im Normalfall<br />
keine Gewinne ab, die über die Deckung der jeweils<br />
eigenen Kosten von Bands, Bookern, Lokalen Promotern<br />
und Tourbegleitern hinausgehen. Generell ist<br />
festzustellen, dass Hardcore-Bands etwa in den ersten<br />
drei Jahren ihres Bestehens weder aus den Gagen noch<br />
aus dem Verkauf von Tonträgern oder Merchandiseartikeln<br />
nennenswerte Umsätze erwirtschaften können,<br />
die eine neben- oder hauptberufliche Tätigkeit in<br />
szeneexternen Kontexten zur Bestreitung des eigenen<br />
Lebensunterhalts überflüssig machen würden.<br />
Szeneintern zur Ressourcenschöpfung relevant erweisen<br />
sich jene Kompetenzen, die in HC-Bands (1) und<br />
HC-Fanzine-Redaktionen (2) entwickelt, erworben<br />
und verfestigt werden.<br />
(1) Obwohl das musikalische Können eines HC-<br />
Sängers 74 bzw. HC-Musikers 75 in seinen Veröffentlichungen<br />
dokumentiert ist, ist es fraglich, ob szenespezifisch<br />
geprägtes Musizieren auch außerhalb der<br />
HC-Szene nachgefragt wird – die Frage nach musik-<br />
68 Ein nicht unerheblicher Anteil der Szenezugehörigen, die sich in der Szene einen Arbeitsplatz (ver-)schaffen oder aus der Szene heraus selbstständig machen,<br />
verfügen außerdem über eine oder mehrere abgeschlossene Berufsausbildung(en). Die bereits erworbenen (formalen) Qualifikationen streuen innerhalb eines weiten<br />
Spektrums: Es finden sich Szenegänger, die bis zu drei (!) unterschiedliche Handwerks- oder Industrieberufe erlernt haben, aber auch solche, die ein (halb-<br />
)abgeschlossenes Hochschulstudium und (z.B.) eine kaufmännische Lehre absolviert haben und dennoch nicht beabsichtigen, einen Arbeitsplatz in den erlernten<br />
Berufen anzunehmen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die Ausrichtung der weiteren beruflichen Laufbahn auf die Szene weitaus häufiger<br />
damit begründet wird, dass man hier die Möglichkeit in greifbarer Nähe sieht, etwas Sinnvolles in ‚ehrlicher’ Arbeit zu leisten und dabei ‚Freude am Tun‘ zu<br />
haben. Hier bilden (augenscheinlich) nicht etwa Zukunftsängste angesichts der aktuellen Arbeitsmarktsituation bzw. eigener mangelnder Arbeitsmarktchancen die<br />
Hauptmotivation.<br />
69 Nicht alle Hardcoreler, die eine ‚DIY-Aktivität’ temporär mehr oder minder heftig vorantreiben, sind durch das Anliegen einer ‚beruflichen Selbstverwirklichung’<br />
motiviert. Einige Szenegänger arbeiten eher übergangsweise sehr zeitintensiv (mit), andere sehen ihre Tätigkeit durchgängig als ‚Freizeitbeschäftigung‘<br />
an – die meisten Hardcoreler verfolgen weiterhin konsequent ihre eigentliche, (also) szeneexterne berufliche Laufbahn. Andererseits ergeben sich hauptberufliche<br />
Einstiege in die Hardcore-Szene vielfach aus „zufälligen“ Gelegenheiten, ohne vorab als solche geplant worden zu sein.<br />
70 <strong>Zur</strong> Veranschaulichung: Nach unserer Einschätzung liegt das Verhältnis ‚Szenemotoren – Publi-kum‘ zahlenmäßig etwa bei 3:1. Die Eventorganisation der<br />
Hardcore-Szene ist durch eine Art Rotationsprinzip gekennzeichnet. Das meint: die Veranstalter, Organisatoren, Gastgeber oder auch die auftretenden Bands eines<br />
HC-Events bilden das Publikum eines anderen (nachfolgend stattfindenden) HC-Events.<br />
71 Mailorder-Services bzw. Mailorder-Kataloge sind ein in vielen Szenen verbreitetes Vertriebssystem. Insbesondere in relativ kleinen Szenen werden Tonträger,<br />
T-Shirts, Fanzines und dergleichen mehr nicht in Shops angeboten (was die Kosten einer Ladenmiete nach sich ziehen würde), sondern praktisch von zu Hause<br />
aus per Postversand verkauft. Die meisten Shops verfügen außerdem zusätzlich über einen Mailorder-Service.<br />
72<br />
Zu den Tätigkeiten und Kompetenzen von Bookern, Konzertveranstaltern, Betreibern von Shops und Mailorder-Services, Roadies, Tourmanagern,<br />
Tourbusfahrern und Tontechnikern vgl. Kapitel 4.2.4.<br />
73 Die Höhe des Honorars eines Tourmanagers, Tourbusfahrers oder Roadies kann – abhängig vom Bekanntheitsgrad der Band und ihrem dementsprechenden<br />
Angebot – überaus unterschiedlich ausfallen: es reicht unter Umständen nur zur Deckung der eigenen Kosten während einer Tour, in anderen Fällen wiederum,<br />
um ‚kleinere‘ finanzielle Engpässe (zeitlich: etwa 4 bis 6 Wochen ohne Folgeauftrag) zu überbrücken.<br />
74<br />
Sänger müssen die Fähigkeit besitzen, in verschiedenen Stimmlagen zu singen bzw. unterschiedli-che Stimmungen zum Ausdruck zu bringen und sich Texte<br />
einprägen können.<br />
75 Im Hardcore finden normalerweise E-Gitarre, E-Bass und Schlagzeug und in einigen (jüngeren) Stilformen zusätzlich Keyboards Verwendung. Was jeweils<br />
unter ‚Können‘ zu verstehen ist, kann je nach Band und Subgenre unterschiedlich ausgelegt werden: Kriterien können Geschwindigkeit, musikstilübergreifende<br />
Fingerfertigkeiten oder Fähigkeiten zum Zusammenspiel bilden.<br />
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