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Unsichtbare Bildungsprogramme? Zur ... - Nordrhein-Westfalen direkt

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täten sind. D.h. dazu gehört, wer (mehr oder weniger<br />

gekonnt) Skateboard fahren kann. 146 Jugendliche, die<br />

an Skatespots mit ihrem Board präsent sind, aber<br />

lediglich am Lifestyle der Szene und nicht am<br />

Skateboarding interessiert sind und somit auch kein<br />

Bemühen erkennen lassen, das Skateboardfahren zu<br />

erlernen, werden als ‚Poser’ bezeichnet und nicht von<br />

der Szene akzeptiert. Sie werden von der Szene nicht<br />

als szenezugehörig definiert. Auch für Mädchen und<br />

Frauen gilt, dass Skaten das entscheidende Zugehörigkeitsmerkmal<br />

darstellt. Unbeschadet dessen ist<br />

die Mehrzahl der Frauen eben, wie bereits erwähnt,<br />

nicht sportlich aktiv, aber dennoch (irgendwie) in der<br />

Szene präsent – zumeinst als Freundinnen von männlichen<br />

Skateboardfahrern, die sich an Szenetreffpunkten<br />

aufhalten und (häufig) über szeneinterne Sonderwissensbestände<br />

verfügen. Diese so genannten ‚Skate-<br />

Betty's’ werden aber, ebenso wie nicht sportlich aktive<br />

Männer, nicht als szenezugehörig definiert, sondern<br />

bilden lediglich so etwas wie ein ‚Szene-Anhängsel’.<br />

147 D.h. also zusammenfassend, dass jeder, der<br />

in der Skater-Szene lediglich über theoretisches<br />

Wissen verfügt, unabhängig davon, wie komplex sein<br />

Wissen auch sein mag, immer nur Zuschauer und niemals<br />

Akteur ist und dementsprechend niemals Szenezugehörigkeit<br />

erlangt.<br />

5.2 Kompetenzen in der Skater-Szene<br />

5.2.1 Basale szeneintern relevante<br />

Kompetenzen<br />

Szeneaktivitäten beschränken sich zwar nicht ausschließlich<br />

auf das gemeinsame Sporttreiben, die<br />

Bereitschaft und Befähigung zum Ausüben des<br />

Skatens ist aber als eine ‚conditio sine qua non’ zu<br />

begreifen. Skaten wird intendiertermaßen erlernt, weshalb<br />

dieser Vorgang, insofern er nicht im Rahmen von<br />

Bildungsinstitutionen erfolgt, im Bereich des protoformalisierten<br />

Lernens anzusiedeln ist. Vor dem<br />

Hintergrund, dass Bildungsprozesse in Szenen zumeist<br />

beiläufig stattfinden und vom Lernenden weder<br />

geplant noch als Lernen intendiert sind, stellt der<br />

Erwerb sportlicher Kompetenz mithin eine in<br />

Jugendszenen eher untypische Form von Bildung dar.<br />

Unter sportlicher Kompetenz sind bestimmte (körperliche)<br />

Fähigkeiten und Fertigkeiten zu verstehen, die<br />

der Einzelne benötigt, um eine Sportart ausüben zu<br />

können, wobei sich sportliche Aktivitäten von spielerischen<br />

Aktivitäten dadurch unterscheiden, dass sie<br />

nicht an eine andere Person delegiert werden können.<br />

148 Um das Skateboardfahren zu erlernen, ist der<br />

sichere Umgang mit und die Beherrschung eines<br />

Bündels von Kompetenzen notwendig. Denn zum<br />

Skateboardfahren reicht es bei weitem nicht aus, einen<br />

guten Gleichgewichtssinn, ein gewisses Maß an<br />

Fitness und athletischen Fähigkeiten und eine ‚gehörige<br />

Portion’ Mut mitzubringen. Vielmehr ist es vor<br />

allem notwendig, über ein großes Repertoire an<br />

Wissen über Tricks, Spots, Material und Schuhwerk zu<br />

verfügen. Skateboardfahren erlernt man nicht beiläufig,<br />

vielmehr muss der Einzelne den festen Vorsatz<br />

haben, in dieser Sportart irgendwelche oder gar avancierte<br />

Kompetenzen zu erwerben. Der einzelne Skater<br />

muss folglich intensiv das Ziel verfolgen, sich einen<br />

neuen Trick anzueignen, wozu er sich mit dem<br />

Trickrepertoire, der Beschaffenheit von Spots und mit<br />

Materialerfordernissen – sowohl seiner Skateboards<br />

als auch seiner (Schuh-)Bekleidung – auskennen muss.<br />

Skater erfinden in der Regel die von ihnen ausgeführten<br />

Tricks keineswegs neu, sondern sie greifen auf die<br />

im Sonderwissensvorrat der Skater-Szene abgelagerten<br />

Wissenselemente über Tricks zurück, d.h. sie<br />

bedienen sich des Wissens darüber, welche Tricks es<br />

gibt, wie diese Tricks bezeichnet werden, und was sie<br />

tun müssen, um sie erfolgreich auszuführen. Dieses<br />

Wissen eignen sie sich auf verschiedene Weisen an:<br />

zunächst dadurch, dass sie an Skatespots andere Skater<br />

beobachten oder Skate-Videos rezipieren. Dadurch<br />

erlangen sie einen Überblick darüber, welche Tricks<br />

gängig und möglich sind. Allerdings wissen sie nun<br />

zunächst ‚nur’, wie die Tricks aussehen, jedoch noch<br />

nicht, wie sie bezeichnet werden. Die Aneignung der<br />

Tricknamen gestaltet sich insofern nicht ganz einfach,<br />

146 Über Ansehen und Anerkennung in der Szene entscheidet allerdings nicht (ausschließlich) das sportliche Leistungsniveau, sondern vielmehr das sportliche<br />

Engagement. Respekt wird demjenigen entgegengebracht, der ein ernsthaftes Bemühen erkennen lässt, sich die schwer zu erlernende Sportart des<br />

Skateboardfahrens mit ihren vielfältigen und komplizierten Tricks aneignen zu wollen.<br />

147 Diese Rolle wird z.B. auch im Eingangstext der ‚Female Corner’ des ‚Titus-Mail-Order’ deutlich: „Fazit: Hier bekommt ihr wirklich alles, was ihr zum<br />

Ausgehen, Party machen oder Abhängen braucht!“ (www.titus.de; (Stand: 11.12.2004)). Mit keinem Wort wird hier das Skateboardfahren erwähnt.<br />

148 Als Beispiel sei hier das Mensch-Ärger-Dich-Nicht-Spiel im Vergleich zum Fußballspielen angeführt. So kann ein Spieler beim Mensch-Ärger-Dich-Nicht-<br />

Spiel einen Mitspieler bitten, für ihn zu würfeln und seine Figur um die entsprechende Augenzahl des Würfels auf dem Spielbrett weiter zu bewegen. Trotzdem<br />

spielt er selbst Mensch-Ärger-Dich-Nicht. Ein Fußballer spielt jedoch nur dann Fußball, wenn er selbst den Ball mit dem Fuß vorwärts bewegt<br />

(vgl. dazu Hitzler 1991).<br />

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