P-OE - UniversitätsVerlagWebler
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P-<strong>OE</strong><br />
O. Reis & S. Ruschin • Zur Vereinbarkeit von Prüfungssystem und Kompetenzorientierung<br />
• … erlaubt einen hohen Anteil selbststrukturierter Darstellung<br />
des Prüflings,<br />
• … ermöglicht eine Überprüfung des Lösungsweges,<br />
• … ermöglicht (Mit-)Steuerung durch Prüfling,<br />
• … ermöglicht eine Steuerung der Leistungserwartungen<br />
über Kompetenzmodell.<br />
Bewertungskriterien<br />
• standardorientiert bezogen auf das Kompetenzmodell,<br />
• erfahrungsorientiert bezogen auf die Daten der Kompetenzmessung.<br />
Diese Anforderungen betonen einerseits, dass die Prüfung<br />
zum Lernen gehört und den Kompetenzerwerb abschließt;<br />
hier werden die Stufen des Makromodells erkennbar. Dass<br />
sich Kompetenzerwerb zeigen kann, erfordert bestimmte<br />
Rahmenbedingungen – ganz wesentlich die Bereitstellung<br />
einer komplexen, handlungsanregenden, und prozesstransparenten<br />
Situation.<br />
Andererseits betonen diese Anforderungen, dass die Prüfung<br />
als Kompetenzmessung einer bestimmten Objektivität<br />
unterworfen ist. Da die Stufen im Kompetenzmodell gegenstandsspezifisch<br />
zu konkreten „Leistungsstandards“<br />
(Seipp 2004, S. 39ff.; Ravitch 1995, S. 7ff.) verdichtet werden,<br />
ist die so mögliche Kompetenzmessung verstehbar als<br />
„quasi-wissenschaftliches“ Experiment und damit an die<br />
Prüfungslogik anschlussfähig.<br />
2.2 Anforderungen aus Sicht der Prüfungsfunktionen der<br />
Linearisierung und Reproduktion<br />
Für eine Prüfungsstruktur, die zu einer „objektiven“ Linearisierung<br />
kommen soll, sind zumindest die folgenden Konstruktionsbedingungen<br />
wichtig:<br />
Anforderungen an die Aufgabenstellung<br />
• ... enthält fachlichen Feldbezug,<br />
• ... kann durch gelehrtes Wissen bearbeitet werden,<br />
• ... macht genutztes Wissen sichtbar,<br />
• ... erfordert Fragen, die zu eindeutigen Antworten<br />
führen,<br />
• ... Fortschreiten von einfachen zu komplexen Fragen,<br />
• ... erfordert Steuerung durch Prüfer/in.<br />
Bewertungskriterien<br />
• Abbildung der Wissenskomplexität,<br />
• intersubjektiv überprüfbar, valide, reliabel und fair.<br />
Diese Anforderungen beschreiben ein Konstrukt der Wissensexpertise,<br />
das einer wissenschaftlichen Untersuchung<br />
allerdings nur schwerlich standhalten würde: die Antworten<br />
sind in der Regel nicht vereindeutigt, die Kriterien der<br />
Notengenerierung nicht transparent.<br />
Dennoch wird die stoffliche Anforderung wie auch der Vergleich<br />
innerhalb der Lerngruppe als „objektiv“ kommuniziert.<br />
Ob nun eine Prüfung, die o.g. Anforderungen entspricht,<br />
auch tatsächlich objektiv kommunizierbar ist, ist<br />
nur auf den ersten Blick eine Frage der Prüfungsform. Denn<br />
so unterschiedlich Prüfungsformen wie z.B. die Klausur<br />
oder der Lernbericht sind, so organisieren beide asymmetrische<br />
Kommunikationen, bei denen die Konstruktion der<br />
Aufgabe einseitig erfolgt, deren Bewältigung an dem Wissenskonstrukt<br />
der Prüfenden gemessen wird. Objektivität<br />
hängt also nicht von der Prüfungsform ab, sondern von der<br />
transparent zu machenden Messtheorie. In der klassischen<br />
Prüfungsstruktur wird jedoch genau auf diese Messtheorie<br />
verzichtet, da Prüfende, weil sie einen Wissensvorsprung<br />
haben, als gleichsam unpersonale, verobjektivierende Wissensträger<br />
definiert sind. Unter Effizienz-Gesichtspunkten<br />
ist diese unhinterfragte Aufladung der Rolle entscheidend,<br />
denn sie entbindet von der Notwendigkeit eine Messtheorie<br />
zu entwickeln.<br />
Grundsätzlich könnten also auch kompetenzorientierte<br />
Prüfungen den Anforderungen an intersubjektiver Überprüfbarkeit<br />
genügen, sofern die geforderte Kompetenz Teil<br />
des Konstrukts der Kompetenzorientierung ist und insofern<br />
eine Messtheorie vorliegt.<br />
Ohne eine entsprechende Messtheorie ermöglicht die Prüfung<br />
keinen externen Beobachtungsstandpunkt mehr und<br />
wäre dann zu Recht anfechtbar.<br />
Bei einer kompetenzorientierten Perspektive kommt es darauf<br />
an, dass sich die Asymmetrie im Wissen (Wissensexpertise)<br />
verlagert zu einer Asymmetrie der Beobachtung der<br />
Kompetenz in der gezeigten Performanz (Verfahrensexpertise).<br />
Zwei Probleme stehen dem entgegen: Es fehlt zum<br />
einen an der Kompetenz der Lehrenden Kompetenzmodelle<br />
zu entwickeln; zum anderen beeinträchtigt der notwendige<br />
Aufwand die Prüfungseffizienz. Da beide Probleme<br />
aber grundsätzlich mit entsprechendem Ressourceneinsatz<br />
lösbar sind, ist nun näher zu besprechen, wie eine solche<br />
Messtheorie konstruiert sein könnte.<br />
2.3 Kompetenzorientierte Prüfungstaxonomie<br />
Es ist mithin eine Messtheorie für kompetenzorientierte<br />
Prüfungen notwendig, die den Kompetenzerwerb mit den<br />
Prüfungsanforderungen in Beziehung setzt. Eine gute<br />
Grundlage hierfür bietet die Prüfungstaxonomie von Bloom<br />
(Bloom 1956; vgl. auch Kennedy 2007), da bei ihm die Prüfungsanforderungen<br />
anschlussfähig an unser Makromodell<br />
des Kompetenzerwerbs sind (vgl. Abb. 1). 4<br />
Wenn wir Brückel folgen, der die Taxonomie mit Notenziffern<br />
versehen hat (vgl. Brückel u.a. 2000, S. 70), dann erhält<br />
man einen ersten Überblick, welche (beobachtbaren)<br />
Tätigkeiten auf welche Stufe im Kompetenzerwerb<br />
schließen lassen und welche Note damit einhergehen<br />
würde:<br />
Da eine kompetenzorientierte Prüfung Kompetenzerwerb<br />
abschließen soll, wird so über die Performanz – die sichtbare<br />
Leistung – ein erster Rückschluss auf die Stufe im Kompetenzerwerb<br />
möglich. 5<br />
Wenn im Rahmen einer kompetenzorientierten Prüfung ein<br />
Prüfling zeigt, dass er den Stoff verstanden hat, aber die zu<br />
leistende Transformation nicht vornehmen und nicht zu<br />
einem abverlangten Urteil kommen kann, dann ist diese<br />
4 Wir fokussieren hier bewusst die ursprüngliche kognitive Taxonomie und<br />
lassen die Weiterentwicklungen und Ausdifferenzierungen (vgl. Anderson/Krathwohl<br />
2001) unberücksichtigt. Für unser pragmatisches und dennoch<br />
hinreichend komplexes Konstrukt reicht diese als Grundlage, da sie<br />
gut aus dem handlungsorientierten Kompetenzbegriff abzuleiten ist und<br />
das Makromodell des Kompetenzerwerbs mit Blick auf die Prüfungsperspektive<br />
umsetzt.<br />
5 Es ist keine Beobachtung der Kompetenzentwicklung bei einem Individuum<br />
möglich. Es ist lediglich von der Performanz auf die Kompetenz zu<br />
schließen (vgl. z.B. Erpenbeck/von Rosenstiel 22007, XVIIIf).<br />
P-<strong>OE</strong> 1+2/2008<br />
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