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P-<strong>OE</strong><br />

O. Reis & S. Ruschin • Zur Vereinbarkeit von Prüfungssystem und Kompetenzorientierung<br />

Oliver Reis & Sylvia Ruschin<br />

Zur Vereinbarkeit von Prüfungssystem<br />

und Kompetenzorientierung<br />

Teil 2: Rollenanforderungen<br />

Oliver Reis<br />

Sylvia Ruschin<br />

1. Bedingungen der Möglichkeit<br />

Sind kompetenzorientierte Prüfungen möglich? Obwohl<br />

sich in Studiengangs- und Modulbeschreibungen Hinweise<br />

auf dieses Prüfungsformat finden lassen, ist doch festzustellen,<br />

dass kompetenzorientierte Prüfungen bislang<br />

mehrheitlich nicht realisiert sind. Dies liegt am besonderen<br />

Prüfungsformat, denn es geht um formative Prüfungen, die<br />

prüfungsrechtlich im Studiengang verankert sind und die<br />

einen Kompetenzerwerb abschließen, dem ein Kompetenzmodell<br />

zugrunde liegt. Es handelt sich also um Prüfungen,<br />

die zwei auf den ersten Blick gegensätzliche Logiken<br />

erfüllen: in ihrer didaktischen Funktion schließen sie einen<br />

Prozess des Lehrens und Lernens ab. Zugleich erfüllen sie<br />

aber auch die Funktionen der Linearisierung und Systemreproduktion<br />

(vgl. Reis/Ruschin 2008, Kap. 3).<br />

Im ersten Teil in diesem Heft haben wir die strukturellen<br />

Bedingungen dieses Formats untersucht und insbesondere<br />

ein Prüfungskonstrukt vorgestellt, das den Anforderungen<br />

dieses Prüfungsformats entspricht. Wie wir in diesem zweiten<br />

Teil zeigen wollen, folgen aus Prüfungsformat „kompetenzorientierte<br />

Prüfung“ für Lehrende und Studierende<br />

spezifische Rollenanforderungen.<br />

2. Rollen von Lehrenden und Lernenden in<br />

kompetenzorientierten Prüfungen<br />

Der erste Blick führt zunächst zu einer Beschreibung der<br />

Rollenskripte (2.1) und der Frage, welche Kompetenzen es<br />

voraussetzt, diese Rollenskripte auszufüllen (2.2). Schließlich<br />

werden die sich ergebenden Rollenchancen und Rollenkonflikte<br />

erörtert (2.3).<br />

2.1 Rollenbeschreibungen<br />

2.1.1 Rollenskripte in Prüfungen – eine rollentheoretische<br />

Perspektive<br />

Um die Herausforderung kompetenzorientierter Prüfungen<br />

für die Personen im Prüfungsgeschehen besser zu verstehen,<br />

nutzen wir den Begriff des „Rollenskripts“. Unter<br />

einem Rollenskript verstehen wir die Erwartungshaltung,<br />

die an das Rollenverhalten geknüpft ist, die aber von beiden<br />

Seiten aktiviert werden muss. Das bedeutet, dass in<br />

Prüfungen nicht einfach Personen über Rollen agieren,<br />

sondern dass<br />

a) Personen in der Prüfungssituation zueinander passende<br />

Rollenskripte finden müssen, damit die Prüfungskommunikation<br />

an Form gewinnen kann. Zudem stehen,<br />

P-<strong>OE</strong> 1+2/2008<br />

b) in einer Situation für die Rollen „Prüfling“ und „Prüferin“<br />

verschiedene Rollenskripte zur Verfügung, die von beiden<br />

Seiten passend ausgewählt werden müssen, damit<br />

es zur Prüfungskommunikation kommen kann.<br />

Unbestreitbar ist auch, dass<br />

c) alle Rollenskripte für Prüfungen unabhängig von den verschiedenen<br />

Prüfungsformaten eine Rollenasymmetrie<br />

vorsehen. Denn rechtlich relevante Prüfungen – und nur<br />

solche interessieren hier – verlangen eine Kompetenzmessung,<br />

die der Prüfende nach allen möglichen didaktischen<br />

Patizipationsmöglichkeiten auf eine Note verdichtet<br />

und die er gegenüber Dritten vertritt. Durch die<br />

grundsätzliche Asymmetrie kommt es in jeder Prüfungssituation<br />

zu einer spezifischen Verteilung der Modi „Erleben“<br />

und „Handeln“ (vgl. Luhmann 1981). Studierende<br />

„erleben“ die Prüfung, da die Steuerung der Prüfung den<br />

Prüfenden zugeschrieben wird. Lehrende „erleben“ die<br />

Studierenden als „Handelnde“, die das Ereignis verursachen<br />

aufgrund dessen ihnen eine individuelle Leistung zugeschrieben<br />

werden kann. Durch diese Zuschreibung<br />

sehen sich die Prüfenden als Reagierende, die selbst die<br />

Leistung der Studierenden wenig beeinflussen können.<br />

Rollenskripte müssen mithin Formen finden, die mit der<br />

Asymmetrie – und den wechselseitigen Zuschreibungen –<br />

arbeiten und die Prüfungskommunikation im Fluss halten.<br />

Kompetenzorientierte Prüfungen verlangen zweifelsohne<br />

spezifische Rollenskripte, die von klassischen abzugrenzen<br />

sind; sie können aber auch nicht die Rolleneinschränkung<br />

der Asymmetrie aufheben. So wirkt sich das Format der<br />

kompetenzorientierten Prüfungen mit seiner doppelten<br />

Logik bis auf die Personen-Ebene aus: Wie sind kompetenzorientierte<br />

Rollenskripte mit der grundsätzlichen Asymmetrie<br />

vereinbar? Wer dieses Problem bestreitet, löst die komplexen<br />

Anforderungen an kompetenzorientierte Prüfungen<br />

auf. Wenn man den subjektiv-persönlichen Kompetenzerwerb<br />

nicht der verobjektivierenden Prüfung aussetzen<br />

möchte, wird entweder der formale Prüfungscharakter aufgegeben<br />

oder der persönliche Kompetenzerwerb tritt hinter<br />

der verobjektivierten Prüfung z.B. durch die Wahl der<br />

Prüfungsform zurück. So führen unsere Überlegungen zu<br />

der Frage, ob kompetenzorientierte Prüfungen als echte Innovation<br />

im Prüfungswesen wirklich erwünscht sind. Wer<br />

dafür eintritt, wird sich aber auch mit den nachfolgenden<br />

Konsequenzen beschäftigen müssen.<br />

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