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Festschrift ,,500 Jahre Felsenkirche Oberstein"

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Bild 68: ,,Der Schmerzensmann"<br />

von Albrecht Dürer<br />

In diesem Zusammenhang kann man natürlich auch nach anderen, der Christus−Ikonographie eigenen Motiven Ausschau halten.<br />

Ein kniender Christus, der nach oben seine Blicke richtet, wäre auch im Zusammenhang mit der Gethsemane−Szene denkbar.<br />

Dagegen spricht jedoch die Tatsache, dass die vorliegende Figur um den Kopf einen eng anliegenden Wulst trägt, der wohl als<br />

Dornenkrone angesehen werden darf, und mit einem Lendentuch bekleidet ist. In der Ölberg−Szene trägt Christus noch keine<br />

Dornenkrone und auch in der Regel ein langes Gewand. Ziehen wir das Motiv Schmerzensmann weiter in Zweifel, dann können wir<br />

fragen, wer oder was es denn sonst sein könnte.<br />

Im Zusammenhang mit der ersten Obersteiner Kirche, die wohl in der Gemarkung ,auf dem Kreuz“ stand, werden die heiligen<br />

Apostel Philippus und Jakobus, sowie der Märtyrer Dionysius als Patrone genannt 11). Aber abgesehen davon, dass völlig unklar<br />

wäre, wie die Skulptur von der Kirche auf dem Kreuz in die <strong>Felsenkirche</strong> gekommen sein könnte, passt der ikonographische<br />

Bestand zu keinem dieser drei Heiligen. Wohl käme man auch mit einer vernünftigen Datierung nicht zurande. Diese<br />

Kombinationen scheiden also aus. Darüberhinaus bliebe noch die Möglichkeit, die besagte Skulptur als heiligen Sebastian zu<br />

deuten, von welchem ja auch ein stattliches Gemälde in der <strong>Felsenkirche</strong> aufbewahrt wird, allerdings aus viel späterer Zeit.<br />

Überprüfen wir die Sebastian−Ikonographie, dann stellen wir fest, dass der vorliegende Befund bis auf wenige Ausnahmen mit<br />

dieser übereinstimmt. Haltung, Bekleidung, Gebärde und Haartracht könnten akzeptiert werden, aber der Wulst um den Kopf<br />

spricht dagegen. Er muss als Dornenkrone gelten, und damit wird eine Identifizierung mit diesem Heiligen unmöglich 12).<br />

Als letzte Möglichkeit wäre noch zu überprüfen, ob es sich vielleicht um einen heiligen Wolfgang handeln könne, denn es ist uns<br />

aus einer Urkunde von 1492 bekannt, dass in der <strong>Felsenkirche</strong> außer einem Marienaltar auch ein Wolfgang−Altar existierte 13).<br />

Aber auch hier ergibt die Überprüfung der üblichen Wolfgang−Ikonographie keine Übereinstimmung 14).<br />

Somit bleibt die Identifikation der vorliegenden Figur mit einem Schmerzensmann, obwohl die Attribute nicht in der üblichen Art und<br />

Weise und zudem unvollständig anzutreffen sind. Zum einen ist es schwer, den Wulst auf dem Kopf der Figur als Dornenkrone zu<br />

deuten, zum anderen ist zwar der Gestus der diagonal übereinander gelegten Unterarme kanonisch, aber es fehlen sowohl die<br />

Wundmale in den Handrücken15) als auch Geißel und Rutenbündel in den Händen16). Kanonisch im weitesten Sinne ist hingegen<br />

die Gesichtsbildung. Die großen Augen, bei welchen die Pupillen ausgebohrt sind, vermitteln sehr anschaulich das Leiden und den<br />

Marterschmerz, zumal sie ein wenig schräg nach oben in Richtung Nasenwurzel zusammengezogen sind. Dazu passt auch die<br />

leichte seitliche Schrägneigung des Kopfes. Die Nase ist etwas bestoßen, der Mund breit und leicht geöffnet, das Kinn<br />

zurückgenommen und weich. Bart ist nicht zu erkennen, und auch das Haar ist recht summarisch behandelt. Arme und Oberkörper<br />

sind fast ohne Details als Großformen gegeben; lediglich die Schlüsselbeine und der Rippenbogen über dem Leib sind angedeutet.<br />

Das Lendentuch besteht aus einzelnen gratigen Wülsten, die an der rechten Seite der Figur zu einem rautenförmigen Knoten<br />

zusammengezogen sind. Die Oberschenkel sind, so weit sie zu erkennen sind, recht kräftig gestaltet.<br />

Fassen wir unsere Beobachtungen am formalen Bestand zusammen, dann kann − wegen der verunklärten Einzelformen − wenig<br />

Gültiges zum Stil gesagt werden. Auf Grund dessen, dass keine saubere Stilanalyse gemacht werden kann, müssen wir uns auch<br />

bei einem Datierungsversuch sehr zurückhalten.<br />

Deshalb soll hier nur so viel gesagt werden: Sowohl der äußere Kontur der Figur in seiner sehr zurückhaltenden Bewegung als<br />

auch die Haltung17) deuten nicht daraufhin, dass es sich um eine Arbeit aus der Hochgotik handelt. Auch die Art und Weise, wie<br />

Haar und Gewand behandelt sind, lässt einen ähnlichen Schluss zu. Der ganze Formenapparat ist reduziert und als recht<br />

bescheiden zu bezeichnen. In der Architektur würde man von Reduktionsgotik sprechen. Das kann einerseits damit<br />

zusammenhängen, dass unsere Skulptur eben das Produkt eines Provinzbildhauers ist, andererseits sind wir auf das 14. und 15.<br />

Jahrhundert verwiesen. Diese grobe Festlegung kann in etwa von der ikonographischen Seite gestützt werden, ist doch der<br />

Schmerzensmann ein bevorzugtes Bildthema der deutschen Mystik18). Das liebevolle Versenken in Leiden und Sterben Christi<br />

und damit das Annehmen und Hinnehmen des eigenen Elends im Sinne einer Annäherung an den Heiland gehören zum Lebensstil<br />

dieser Epoche. Unsere Skulptur entspricht diesem Lebensgefühl und gehört wohl ins selbe Jahrhundert wie die <strong>Felsenkirche</strong><br />

selbst.<br />

Man wird das Ergebnis des hier vorgelegten Aufsatzes wohl als mager bezeichnen müssen, aber es ist in Anbetracht des<br />

Erhaltungszustandes der Skulptur eher redlich als gewagt.<br />

<strong>Festschrift</strong><br />

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