Das deutsche Schulsystem. Entstehung, Struktur ... - Bildungswissen
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serte Lehrmethode und angestrengten Fleiß der Lehrer und Schüler auch noch für die neugeforderten<br />
Lehrgegenstände Zeit gewonnen worden wäre. Da aber die Verfassung des neu geschaffnen Reiches<br />
zugleich von allen Seiten die Bedürfnisse vermehrt, die Lasten erhöht, die Nothwendigkeit schnellen Erwerbes<br />
vergrößert, und die Unterthanen gezwungen hatte, alle ihre Kräfte für ihre Subsistenz anzustrengen;<br />
da zu eben diesem Zwecke auch die Kinder früher zur Arbeit angehalten werden mußten und alles in<br />
Amt und Brod zu kommen eilte: da musste nicht nur die Schulzeit abgekürzt, sondern auch unmittelbar für<br />
Erwerbszweck und Brodwissenschaft verwendet werden; da kamen die Realien zur Tagesordnung in den<br />
Schulen, da musste vor allem andern auf materielle Kenntnisse, das Hauptgewicht gelegt, und die Übung<br />
geistiger Lehrgegenstände hintangesetzt werden. In dieser Stimmung musste man insbesondere bald<br />
auch finden, dass es weit besser in der Welt forthelfe, lebende Sprachen zu verstehen, als jene todten, die<br />
als ein todtes Capital ohne Vortheil seyen; und man darf sich kaum noch wundern, dass die Herabwürdigung<br />
des Studiums der alten Sprachen bis zu dem Grade zunahm, dass endlich sogar laut und öffentlich<br />
die Erlernung jener Sprachen für entbehrlich erklärt wurde, und selbst Männer von Ansehen, die sich der<br />
einseitigen Behauptung ernstlich widersetzten, doch nicht verhindern konnten, dass nicht nur die Erlernung<br />
der alten Sprachen, sondern das philosophische Studium überhaupt und die Bekanntschaft mit der<br />
alten classischen Welt, in den Schulen immer mehr vernachlässigt wurde, und am Ende fast nur noch in<br />
einigen Klosterschulen – die aber eben deshalb als Muster des Pedantismus galten – ein ganz ungestörtes<br />
Asyl fand.<br />
In dieser Gährung der alten und der neuen Unterrichts-Methode, während noch in den Gymnasien bald die<br />
eine bald die andere sich im Übergewicht erhielt, trat mit einemmal das Philanthropin als erster Versuch<br />
einer vollständigen Darstellung der modernen Theorie hervor“ (Auszug).<br />
<strong>Das</strong> Gegenkonzept zum Utilitarismus findet sich – zumindest in seinen zentralen Elementen – in<br />
Wilhelm von Humboldts „Unmaßgeblichen Gedanken über den Plan zur Einrichtung des Litauischen<br />
Stadtschulwesens“ (1809). Dort schreibt er zu Reformvorhaben in Litauen:<br />
„Wenn ich, mit Vorbeilassung alles Details, gleich auf das Wesentliche des Plans gehe, so weicht er in den<br />
Hauptgesichtspunkten weit von den bisherigen Grundsätzen der Section ab; in der Ausführung nach der<br />
örtlichen Lage würde diese Abweichung grösstentheils wieder verschwinden. Allein es ist dennoch ebenso<br />
nothwendig, als mit denkenden Männern erfreulich, auch über die Grundsätze zu discutiren. Von ihnen<br />
hängt der Geist ab, in dem auch auf demselben Wege gewirkt wird, und dieser macht offenbar durch seine<br />
innere Kraft durchaus verschieden, was den äussren Einrichtungen nach, Eins und dasselbe scheint.<br />
Die Abweichung nun liegt in dem Begriffe der Bürgerschulen, welche in dem Plane als eine eigne, ihrem<br />
Begriff und Zweck nach abgegränzte Gattung von Schulen, und selbst wo sie das nicht sind, (für den Gelehrten)<br />
als ein besonderes Stadium des Unterrichts betrachtet werden.<br />
Die durch die wirkliche Ausführung wieder herbeigeführte Übereinstimmung würde daraus entstehen, dass<br />
doch nur in Lyk Bürger- und Gelehrtenschule getrennt seyn sollten, sonst aber nah und enge verbunden<br />
wären.<br />
Die Frage über die Zulässigkeit abgesonderter Bürger- oder Realschulen scheint weitläufig und schwierig<br />
zu erörtern. Sie hat zwei verschiedene Systeme hervorgebracht, wovon man das realistische neulich, in<br />
Baiern, so weit getrieben hat, dass man beinahe RealUniversitäten aufstellt.<br />
Alle Schulen aber, deren sich nicht ein einzelner Stand, sondern die ganze Nation, oder der Staat für diese<br />
annimmt, müssen nur allgemeine Menschenbildung bezwecken. – Was das Bedürfnis des Lebens oder<br />
eines einzelnen seiner Gewerbe erheischt, muss abgesondert, und nach vollendetem allgemeinen Unterricht<br />
erworben werden. Wird beides vermischt, so wird die Bildung unrein, und man erhält weder vollständige<br />
Menschen, noch vollständige Bürger einzelner Klassen.<br />
Denn beide Bildungen – die allgemeine und die specielle – werden durch verschiedene Grundsätze geleitet.<br />
Durch die allgemeine sollen die Kräfte, d.h. der Mensch selbst gestärkt, geläutert und geregelt werden;<br />
durch die specielle soll er nur Fertigkeiten zur Anwendung erhalten. Für jene ist also jede Kenntnis, jede<br />
Fertigkeit, die nicht durch vollständige Einsicht der streng aufgezählten Gründe, oder durch Erhebung zu<br />
einer allgemeingültigen Anschauung (wie die mathematische und ästhetische) die Denk- und Einbildungskraft,<br />
und durch beide das Gemüth erhöht, todt und unfruchtbar. Für diese muss man sich sehr oft auf in<br />
ihren Gründen unverstandene Resultate beschränken, weil die Fertigkeit da seyn muss, und Zeit oder Talent<br />
zur Einsicht fehlt. So bei unwissenschaftlichen Chirurgen, vielen Fabrikanten u.s.f. Ein Hauptzweck<br />
der allgemeinen Bildung ist, so vorzubereiten, dass nur für wenige Gewerbe noch unverstandene, und als<br />
nie auf den Menschen zurück wirkende Fertigkeit übrigbleibe.<br />
Die Organisation der Schulen bekümmert sich daher um keine Kaste, kein einzelnes Gewerbe, allein auch<br />
nicht um die gelehrte – ein Fehler der vorigen Zeit, wo dem Sprachunterricht der übrige geopfert, und auch<br />
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