Das deutsche Schulsystem. Entstehung, Struktur ... - Bildungswissen
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„All’ das Elend, das im verflossenen Jahre über Preußen hereingebrochen, ist ihre, einzig Ihre Schuld, die<br />
Schuld der Afterbildung, der irreligiösen Menschenweisheit, die Sie als echte Weisheit verbreiten, mit der<br />
Sie den Glauben und die Treue in dem Gemüthe meiner Unterthanen ausgerottet und deren Herzen von<br />
Mir abgewandt haben. Diese pfauenhaft aufgestutzte Scheinbildung habe Ich schon als Kronprinz aus innerster<br />
Seele gehaßt und als Regent Alles aufgeboten, um sie zu unterdrücken. Ich werde auf dem betretenen<br />
Wege fortgehen, ohne Mich irren zu lassen; keine Macht der Erde soll Mich davon abwendig machen.<br />
Zunächst müssen die Seminarien sämmtlich aus den großen Städten nach kleinen Orten verlegt<br />
werden, um den unheilvollen Einflüssen eines verpesteten Zeitgeistes entzogen zu werden. Sodann muß<br />
das ganze Treiben in diesen Anstalten unter die strengste Aufsicht kommen. Nicht den Pöbel fürchte Ich,<br />
aber die unheiligen Lehren einer modernen frivolen Weltweisheit vergiften und untergraben Mir meine Bureaukratie,<br />
auf die bisher Ich stolz zu sein glauben konnte. Doch so lange Ich noch das Heft in Händen<br />
führe, werde Ich solchem Unwesen zu steuern wissen“ (S. 167 f., in: Michael, B./Schepp, H.-H.: Die Schule<br />
in Staat und Gesellschaft. Dokumente zur <strong>deutsche</strong>n Schulgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert. Göttingen<br />
1993, S. 167-168).<br />
Diese Kritik griff die restaurative Schulpolitik der 50er Jahre des 19. Jahrhunderts mit den drei<br />
Stiehl'schen Regulativen von 1854 auf (vgl.: Jeismann, K.-E.: Die Stielschen Regulative. In: Herrmann,<br />
U. (Hrsg.): Schule und Gesellschaft im 19. Jahrhundert. Weinheim 1977, S.137-S.161). In<br />
diesen Erlassen wurde der Volksschulunterricht auf die elementaren Kulturtechniken und Religion<br />
zurückgeführt (vgl. den Normal-Lehrplan von 1854 in Abbildung 2.2), zudem wurde die Volksschullehrerbildung<br />
so begrenzt, dass Lehrer kaum mehr als ihre späteren Schüler und Schülerinnen<br />
lernen durften.<br />
Abbildung 2.2: Normal-Lehrplan für die einklassige Elementarschule (1854)<br />
Lehrgegenstände Wochenstunden<br />
Religion 6<br />
Lesen, dt. Sprache, Schreiben 12<br />
Rechnen 5<br />
Gesang 3<br />
zusätzlich, wenn örtliche Verhältnisse es zulassen:<br />
Vaterlands - u. Naturkunde 3<br />
Zeichnen 1<br />
Quelle: zusammengestellt aus dem 3. Regulativ von 1854, nach: Scheibe, W. (Hrsg.):<br />
Zur Geschichte der Volksschule, Bd. 2, Bad Heilbrunn 1974, S. 23 ff.<br />
Die folgenden Auszüge aus den drei preußischen Regulativen vom 1., 2. und 3. Oktober 1854 über<br />
„Einrichtungen des evangelischen Seminar-, Präparanden und Elementarschul-Unterrichts“<br />
(‚Stiehlsche Regulative‘) vermitteln einen Eindruck vom Geist dieser Politik:<br />
„Der Gedanke einer allgemein-menschlichen Bildung durch formelle Entwicklung der Geistesvermögen an<br />
abstraktem Inhalt hat sich durch die Erfahrung als wirkungslos oder schädlich erwiesen. <strong>Das</strong> Leben des<br />
Volkes verlangt seine Neugestaltung auf Grundlage und dem Ausbau seiner ursprünglich gegebenen und<br />
ewigen Realitäten und auf dem Fundament des Christentums, welches Familie, Berufskreis, Gemeinde<br />
und Staat in seiner kirchlich berechtigten Gestaltung durchdringen, ausbilden und stützen soll. Demgemäß<br />
hat die Elementarschule [...] nicht einem abstrakten System, oder einem Gedanken der Wissenschaft,<br />
sondern dem praktischen Leben in Kirche, Familie, Beruf, Gemeinde und Staat zu dienen, und für dieses<br />
Leben vorzubereiten, indem sie sich mit ihrem Streben auf dasselbe gründet und innerhalb seiner Kreise<br />
bleibt. <strong>Das</strong> Verständnis und die Übung des dahin gehörenden Inhaltes, und dadurch Erziehung ist Zweck;<br />
die Methode ist nur ein Mittel, welches keinen selbständigen Wert hat; die formelle Bildung ergibt sich<br />
durch Verständnis und Übung des berechtigten Inhalts von selbst; ohne Rücksicht auf den Inhalt, oder einem<br />
verkehrten Inhalt nachstrebend, wirkt sie schädlich und zerstörend“ (Jeismann, a.a.O. S. 142 f.).<br />
„Was bisher in einzelnen Seminaren noch unter den Rubriken Pädagogik, Methodik, Didaktik, Katechetik,<br />
Anthropologie und Psychologie usw. etwa gelehrt sein sollte, ist von dem Lektionsplan zu entfernen und ist<br />
statt dessen für jeden Kursus in zwei Stunden Schulkunde anzusetzen. In dem Seminar ist kein System<br />
der Pädagogik zu lehren, auch nicht in populärer Form. Der Unterricht über Schulkunde hat sich vor Abstraktionen<br />
und vor Definitionswerk sorgfältig zu bewahren und möglichst praktisch und unmittelbar zu gestalten<br />
[...]. Was die Erziehung im allgemeinen betrifft, so wird für den künftigen Elementarlehrer eine Zusammenstellung<br />
und Erläuterung der in der Hl. Schrift enthaltenen, hierher gehörigen Grundsätze ausreichen.<br />
Die Lehre von der Sünde, menschlicher Hilfsbedürftigkeit, vom dem Gesetz der göttlichen Erlösung und Hei-<br />
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