Das deutsche Schulsystem. Entstehung, Struktur ... - Bildungswissen
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Der Schulunterricht führt den Schüler nun in Mathematik, Sprach- und Geschichtskenntnis bis zu dem<br />
Punkte wo es unnütz seyn würde, ihn noch ferner an einen Lehrer und eigentlichen Unterricht zu binden,<br />
er macht ihn nach und nach vom Lehrer frei, bringt ihm aber alles bei, was ein Lehrer beibringen kann.<br />
Der Universität ist vorbehalten, was nur der Mensch durch und in sich selbst finden kann, die Einsicht in<br />
die reine Wissenschaft. Zu diesem Selbst-Actus im eigentlichsten Verstand ist nothwendig Freiheit, und<br />
hülfereich Einsamkeit, und aus diesen beiden Punkten fliesst zugleich die ganze äussere Organisation der<br />
Universitäten. <strong>Das</strong> Kollegienhören ist nur Nebensache, das Wesentliche, dass man in enger Gemeinschaft<br />
mit Gleichgestimmten und Gleichaltrigen, und dem Bewusstseyn, dass es am gleichen Ort eine Zahl<br />
schon vollendet Gebildeter gebe, die sich nur der Erhöhung und Verbreitung der Wissenschaft widmen,<br />
eine Reihe von Jahren sich und der Wissenschaft lebe.<br />
Übersieht man diese Laufbahn von den ersten Elementen bis zum Abgang von der Universität, so findet<br />
man, dass, von der intellectuellen Seite betrachtet, der höchste Grundsatz der Schulbehörde (den man<br />
aber selten aussprechen muss) der ist: die tiefste und reinste Ansicht der Wissenschaft an sich hervorzubringen,<br />
indem man die ganze Nation möglichst, mit Beibehaltung aller individuellen Verschiedenheiten,<br />
auf den Weg bringt, der weiter verfolgt, zu ihr führt, und zu dem Punkte, wo sie und ihre Resultate nach<br />
Verschiedenheit der Talente und Lagen, verschieden geahndet, begriffen, angeschaut, und geübt werden<br />
können, und also den Einzelnen durch die Begeisterung, die durch die reine Gesammtstimmung geweckt<br />
wird, zu Hülfe kommt“ (in: Michael, B./Schepp, H.-H. (Hrsg.): Die Schule in Staat und Gesellschaft. Göttingen<br />
1993, S. 104-108)<br />
Am Ende des Prozesses der Etablierung ‚höherer’ Schulbildung hat sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts<br />
ein höheres Schulwesen herausgeschält, das durch zwei Aspekte charakterisiert ist:<br />
- zum einen durch das Berechtigungssystem:<br />
Schulbildung, die in einer staatlich kontrollierten Prüfung nachgewiesen werden musste,<br />
wurde zur notwendigen Voraussetzung akademischer Ausbildung und staatlicher Beamtenkarrieren.<br />
- zum andern durch das Konzept der Allgemeinbildung:<br />
Gymnasiale Bildung war in Abgrenzung von jeder (berufsbezogenen) Spezialbildung für die<br />
künftigen ‚Eliten’ in Staat und Gesellschaft inhaltlich philologisch ausgerichtet.<br />
Erreicht wurde damit dreierlei:<br />
- Die Loyalität der durch Bildung aufgestiegenen Beamtenschaft wurde erzeugt und gesichert.<br />
- Die Qualifikation der ‚führenden’ Schichten wurde in staatlicher Institutionen geleistet und<br />
durch den Staat kontrolliert.<br />
- Die erfolgreiche Teilhabe an höherer Bildung ermöglichte den Söhnen des Bürgertums, in<br />
Konkurrenz zu dem bis dahin privilegierten Adel zu treten und sich dadurch aus den bis dahin<br />
engen Standesgrenzen zu befreien.<br />
■ Zur Etablierung des ‚niederen’ Schulwesens<br />
Die Etablierung des ‚niederen Schulwesens’ ist eng verbunden mit dem Prozess der Durchsetzung<br />
der Schulpflicht. Diese Schulpflicht wurde – wie schon dargestellt – im 18. Jahrhundert in Preußen<br />
wiederholt proklamiert (1717 „General Edict", 1763 „Generalschulreglement", 1794 „Allgemeines<br />
Landrecht"), aber erst im 19. Jahrhundert tatsächlich realisiert (1816 besuchten etwa 60 %, 1846<br />
etwa 80 % und 1871 etwa 90 % aller Heranwachsenden Schulen).<br />
Da die breite Volksbildung ökonomisch zunächst weniger wichtig war als die qualifizierte Beamtenbildung,<br />
entwickelte sich das ‚niedere’ zeitlich erst nach dem ‚höheren’ Schulwesen. Diese Entwicklung<br />
fand – anders als von z.B. Wilhelm von Humboldt gewünscht – in klar getrennten Institutionen<br />
nach deutlich unterschiedlichen Konzepten statt.<br />
Die mit dieser strukturellen Gliederung verbundene Position formuliert L. v. Beckedorff, ein Gegner<br />
der schulpolitischen Ansätze eines Wilhelm von Humboldt und seiner Mitstreiter, in seiner Beurteilung<br />
des Süvernschen, im Geiste Humboldts verfassten, Unterrichtsgesetzentwurfes (zwischen<br />
1819 und 1822):<br />
„Um aller dieser Gründe willen aber bedürfen wir in der menschlichen Gesellschaft nicht gleichartiger Stufen-,<br />
sondern verschiedenartiger Berufs- und Standesschulen; nicht wie der Entwurf vorschlägt, neu eingerichteter<br />
allgemeiner Elementarschulen, allgemeiner Stadtschulen und Gymnasien, als Anstalten, in welchen<br />
durchaus dieselben Gegenstände, nur in unterschiedenen Graden und in geringerer oder größerer<br />
Ausführlichkeit und Vollkommenheit gelehrt werden, sondern nach bisheriger alter Weise, guter Bauern-,<br />
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