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Das deutsche Schulsystem. Entstehung, Struktur ... - Bildungswissen

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der Ausweitung schulisch vermittelter Qualifikationen wird abgelöst durch das der Qualitätssicherung.<br />

Unabhängig von all den Wechselfällen der neueren <strong>deutsche</strong>n Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts<br />

behauptet die Funktion der Schule, Qualifikationen zu vermitteln, ihre Stellung als einer<br />

der Dreh- und Angelpunkte der Schulentwicklung – wenn auch mit unterschiedlichen, gelegentlich<br />

sogar konträren Folgen für die jeweilige Schulpolitik.<br />

5.2 Selektion und Allokation<br />

Eine vergleichbare Konstanz kommt der schulischen Selektions- und der mit ihr verbundenen Allokationsfunktion<br />

zu. Mit dem Ende der Ständegesellschaft, das sich in Deutschland anders als in<br />

Frankreich mit seiner großen Revolution von 1789 weniger abrupt, sondern eher allmählich vollzog,<br />

übernahm die Schule auch in Deutschland eine in ihrer Bedeutung anwachsende Rolle bei<br />

der auf schulisch erbrachte Leistungen gestützten Auswahl junger Menschen (Selektion) und bei<br />

ihrer Zuweisung zu den hierarchisch gegliederten Positionen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft<br />

(Allokation). Neben dem Qualifikationsbedarf der Gesellschaft war es der Wechsel von der Standes-<br />

zur Leistungsgesellschaft, der der Schule im Verlauf des 19. Und 20. Jahrhunderts ihre überragende<br />

Stellung eröffnete.<br />

Dieser Systemwechsel, der sich überall im Prozess der gesellschaftlichen Modernisierung vollzog,<br />

wurde zwar bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert eingeleitet, fand aber erst mit dem Ende des<br />

Kaiserreiches einen vorläufigen Abschluss. Erst mit der Einführung einer gemeinsamen Grundschule<br />

durch den Weimarer Schulkompromiss (1919) konnte sich die Weichenstellung für unterschiedliche<br />

Schulkarrieren auf der Grundlage von in der (Grund-)Schule erbrachten schulischen<br />

Leistungen vollziehen. Die damit gegeben Öffnung schulischer Karrieren für Jungen und Mädchen<br />

aller sozialen Schichten machte erstmals in der <strong>deutsche</strong>n Schulgeschichte ernst mit dem Anspruch,<br />

das Erreichen gesellschaftlicher Positionen vom Erbringen schulischer Leistungen abhängig<br />

zu machen.<br />

Es war dann die relative Erfolglosigkeit dieses Versuchs, soziale Herkunft und schulischen Erfolg<br />

und damit gesellschaftliche sowie berufliche Karrieren zu entkoppeln, die in den sechziger Jahren<br />

dieses Jahrhunderts – gemeinsam mit der Sorge, nicht genügend Qualifikationen zu vermitteln –<br />

der <strong>Struktur</strong>reform des west<strong>deutsche</strong>n Bildungssystems seinen Antrieb verlieh. Angesichts der<br />

Einsicht in die „Illusion der Chancengleichheit“ (so titelte der französische Soziologe Bourdieu)<br />

wurde ein radikaler Umbau des Bildungssystems gefordert: Die gruppenspezifische Selektion im<br />

gegliederten <strong>Schulsystem</strong> und die damit verbundene „Vererbung“ sozialer Chancen von Generation<br />

zu Generation sollte in einem ungegliederten <strong>Schulsystem</strong>, in Gesamtschulen, aufgehoben,<br />

zumindest jedoch abgeschwächt werden.<br />

Der heftige Widerstand gegen diesen strukturellen Umbau erklärt sich nicht zuletzt daraus, dass<br />

die damit verbundenen Veränderungen schulischer Auslese die Verteilung gesellschaftlicher<br />

Chancen von Generation zu Generation in Frage gestellt hätte – zu Lasten der Mittel- und Oberschichten.<br />

Der Erfolg, den die Gegner einer Umstrukturierung des <strong>deutsche</strong>n <strong>Schulsystem</strong>s in<br />

Westdeutschland und nach 1989 mit der Auflösung der polytechnischen Oberschulen der DDR<br />

auch in Ostdeutschland verzeichnen konnten, wurde dadurch erleichtert und abgestützt, dass Länder<br />

mit gesamtschulähnlichen <strong>Schulsystem</strong>en bei ihren Bemühungen, zwischen den sozialen<br />

Schichten bestehende Chancenungleichheiten abzubauen, auch nur geringe Erfolge vorweisen<br />

konnten und können.<br />

Selektion und Allokation, so zeigt dieser knappe Überblick noch einmal, sind mit jeweils wechselndem<br />

Gewicht neben der Qualifikation ein weiteres konstantes Element der Schulentwicklung.<br />

5.3 Legitimation<br />

Ebenso wie auf die Qualifikations- und Selektionsfunktion führt eine Betrachtung der Schulentwicklung<br />

immer wieder zur Legitimationsfunktion der Schule. So wie die preußischen Herrscher im 19.<br />

Jahrhundert ihre Schulen immer wieder in den Dienst von ‚Krone und Altar’ gestellt haben (etwa<br />

bei der Bildungsbegrenzungspolitik der Stiehl’schen Regulative), so hat auch der nationalsozialistische<br />

Staat die Schulen zur Legimitation der nationalsozialistischen Diktatur und zur nationalsozialistischen<br />

Indoktrination genutzt. Auch er tat dies zu Lasten der Qualifikation der Schülerinnen und<br />

Schüler.<br />

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