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Das deutsche Schulsystem. Entstehung, Struktur ... - Bildungswissen

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zwischen ‚niederer’ und ‚mittlerer’ Bildung (bzw. in den Begriffen Westdeutschlands zwischen<br />

Volks- und Realschule) entfallen ist.<br />

Gestützt auf diese Expansionsentwicklungen im niederen und mittleren Schulwesen vollzog sich<br />

(breit wahrgenommen und kontrovers diskutiert) die Expansion ‚höherer’ Bildung – allerdings nur<br />

im Westen Deutschlands. Während in der DDR die Zahl der Überwechsler in die zur Studienberechtigung<br />

führenden Bildungswege (‚Erweiterte Oberschule’ und ‚Abiturklassen in der Berufsausbildung’)<br />

bei zwischen 12% und 14% eines Altersjahrgangs verharrte (vgl. Anweiler 1990, S.215<br />

und S.352), erlebte die Bundesrepublik seit den fünfziger Jahren eine rasante Ausweitung der Übergangsquoten<br />

zu Gymnasien (vgl. Imhäuser/Rolff 1992, S.61): Anfang der fünfziger Jahre besuchten<br />

etwa 13% der Schüler der siebenten Klassen Gymnasien, 1990 taten dies 31%. Dieser<br />

Andrang zum Bildungsweg der ‚Höheren Schule’ führte, zeitlich versetzt, zu einem ebenso deutlichen<br />

Anstieg der Abiturientenquoten: Während 1960 erst 6% eines Altersjahrgangs die Allgemeine<br />

Hochschulreife erwarb, erlangten im früheren Bundesgebiet 1990 mit 24% nahezu ein Viertel eines<br />

Altersjahrgangs die allgemeine Studienberechtigung. Dazu kamen noch weitere 9% eines Jahrgangs,<br />

die die Fachhochschulreife erhielten, so dass in diesem Jahr mit 33% ein Drittel eines Jahrgangs<br />

zur Hochschulreife geführt wurde (vgl. bmbf 2001, S. 91).<br />

An diese Expansionsentwicklung haben die neuen Bundesländer sehr schnell Anschluss gefunden,<br />

so dass Deutschland insgesamt im Jahre 2001 bei der Allgemeinen Hochschulreife eine Quote von<br />

fast 26% und bei der Fachhochschulreife von 10% - insgesamt also eine Hochschulberechtigtenquote<br />

von 36% erreichte (vgl. zu diesen Daten KMK 2002, S. 371 ff.).<br />

Neben dem Anstieg der Übergänge zu Gymnasien haben zwei weitere Faktoren die Entwicklung<br />

der im historischen Vergleich sehr hohen Abiturquoten befördert:<br />

- Zum einen kann festgestellt werden, dass die Chancen derer, die zu einem Gymnasium<br />

wechselten, auch dort das Abitur zu erreichen, im Verlauf des Expansionsprozesses deutlich<br />

zugenommen haben. Hansen/Rolff haben dies auf der Basis der Analyse der Schulstatistiken<br />

Nordrhein-Westfalens und Baden-Württembergs gezeigt (1990). Die Erfolgsquote (definiert<br />

als der Anteil der Abiturienten eines Jahres an den Schülern der fünften Klassen der Gymnasien<br />

neun Jahre zuvor) stieg z. B. in Nordrhein-Westfalen von 39% während der fünfziger<br />

Jahre auf 73% während der achtziger Jahre (Hansen/Rolff 1990, S.52). Ein Teil dieses Ansteigens<br />

der Erfolgsquote ist sicherlich darauf zurückzuführen, dass immer mehr Schüler und<br />

Schülerinnen nach der Klasse 10 aus Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien in gymnasiale<br />

Oberstufen wechseln und so den Verlust von Schülern während des gymnasialen Weges<br />

von der Klasse 5 bis zur Klasse 11 tendenziell wieder rechnerisch ausgleichen. Ein weiterer<br />

Teil des Anstiegs der gymnasialen Erfolgsquote erklärt sich daraus, dass die interne<br />

Selektion in den Gymnasien verringert wurde (z.B. durch günstigere Lernbedingungen in<br />

deutlich verkleinerten Klassen): So sank z.B. der Anteil der nicht versetzten Schülerinnen<br />

und Schüler der Gymnasien an allen Gymnasiasten in Nordrhein-Westfalen (KM-NW 1995, T<br />

1.7) von in den sechziger Jahren noch zwischen knapp 10% auf nur noch gut 4% zu Beginn<br />

der neunziger Jahre.<br />

- Zum anderen führte der Ausbau der Gesamtschulen, des Zweiten Bildungswege und der<br />

zum Abitur führenden Bildungsgänge der berufsbildenden Schulen zu einer weiteren Erhöhung<br />

der Abiturquoten. 2000 gilt für Deutschland insgesamt, dass von allen Absolventen mit<br />

Abitur 89% aus allgemeinbildenden und 11% aus berufsbildenden Schulen stammen. Unter<br />

denen, die aus allgemeinbildenden Schulen kamen, hatten aber nur 90% ihr Abitur in Gymnasien<br />

erworben. Von der Gesamtheit der Abiturienten dieses Jahres waren damit nur 80%<br />

‚klassische’ Gymnasiasten (vgl. zu diesen Daten bmbf 2002, S.94 f.). Die Entmonopolisierung<br />

des Gymnasiums hat damit einem Fünftel aller Abiturienten den Weg zu höherer Bildung<br />

geöffnet.<br />

Ein Überblick über den Prozess der Bildungsexpansion im Gebiet der früheren Bundesrepublik<br />

vom Beginn der fünfziger Jahre bis heute zeigt, dass der Zugriff von Eltern und Kindern auf höhere<br />

Bildung weder durch Veränderungen der ökonomischen Bedingungen noch durch politische Einflussversuche<br />

tangiert wurde. Eltern sind auf dem Expansionspfad während der Mangelsituation<br />

der Nachkriegsjahre ebenso wie in der scheinbar nicht endenden Prosperität der sechziger Jahre<br />

gewandelt; auch die Wirtschafts- und Arbeitsmarktkrise seit Beginn der siebziger Jahre hat die Expansionstendenz<br />

nicht durchbrochen, sondern lediglich mit anderen Motiven wie z.B. der Angst vor<br />

Ausbildungs- und Arbeitslosigkeit unterfüttert. In diesen Prozess haben sich die neuen Bundesländer<br />

während der neunziger Jahre ‚eingefädelt‘.<br />

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