2015-02
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Im Jahr nach seinem Todkam ich zum Jungvolk. Dort<br />
gefiel es mir,wie den meisten Jungen, gut. Kameradschaft<br />
wurde großgeschrieben, wir machten Geländespiele,<br />
Fahrten und alles, wonach sich ein Jungenherz damals<br />
sehnte. Ich hätte dort sicher eine gute Führungslaufbahn<br />
einschlagen können, aber als ich durchblicken ließ, dass<br />
ich einmal Aerodynamik studieren wollte und deshalb mit<br />
vierzehn Jahren zur Flieger-HJ gehenwürde, wurde ich wegen<br />
des Konkurrenzdenkens innerhalb der verschiedenen<br />
Naziorganisationen praktisch kaltgestellt. In der Flieger-HJ<br />
absolvierte ich unentgeltlich einen vierzehntägigen Lehrgang,<br />
in dem wirklich von den Schuhen über Uniform bis<br />
zu den Flugzeugen alles gestellt wurde. Das trug entscheidend<br />
dazu bei, dass sich der Nationalsozialismus ganz fest<br />
in meinem Inneren verankerte, ohne von den politischen<br />
Zielen der Nazis irgendeine Ahnung zu haben.<br />
Meine Frau, die in ihrer Jugendzeit eine ähnliche Entwicklung<br />
durchlief, stand sehr konträr zuihren Eltern, die<br />
gar nichts von den Nazis wissen wollten. Aber sie wäre für<br />
ihren Führer durchs Feuer gegangen. Dann kam das Ende.<br />
Unfassbar füruns beide, dass wir den Krieg verloren hatten<br />
und dass wir von fremden Truppen besetzt waren. Das durfte<br />
doch einfach nicht wahr sein, dass das alles soschlecht<br />
gewesen sein sollte. Wirhaben uns dann später,als wir uns<br />
kennenlernten und wir erwachsen wurden, oft darüber unterhalten.<br />
Wasuns Jugendlichen damals zugemutet wurde,<br />
wäre in der heutigen Zeit unmöglich. Wirmussten praktisch<br />
von heute auf morgen total umdenken und uns ohne therapeutische<br />
Hilfe selbst aus dem Sumpf ziehen.<br />
Statt „Heil Hitler“ sagten wir nun „Guten Tag“,und ich<br />
weiß nicht mehr,wie oft ich mich bei einer Begrüßung versprochen<br />
habe. Meistens haben wir dann gelacht, aber es<br />
gab auch Menschen, die glaubten, wirwollten sie veralbern.<br />
Im Laufe des Jahres 1945 kamen dann immer mehr<br />
Dinge zutage, die den wahren Charakter der Nazidiktatur<br />
aufzeigten und ich habe dann immer noch gedacht, dass das<br />
der Rest der Feindpropaganda wäre. Als ich dann seriöse<br />
Zeitzeugen hörte, wie zum Beispiel Pfarrer Martin Niemöller,<br />
der zuerst mit den Nazis sympathisierte, dann aber<br />
jahrelang im KZ gesessen hatte, wurde ich anderen Sinnes<br />
und ich begann den Nazidreck aus mir herauszumisten.<br />
Schlimm wurde es noch mal, als die ersten freien Wahlen<br />
abgehalten wurden und die demokratischen Parteien<br />
sich gründeten. Während des Krieges war in der Nazipresse<br />
die britische Demokratie eng mit der Plutokratie, der Herrschaft<br />
des Geldes, in Verbindung gebracht worden und das<br />
kam jetzt erneut in mir hoch und ich betrachtete sehr argwöhnisch<br />
die Angehörigen der neuen deutschen Parteien.<br />
Mittlerweile hatteich ein Mädchen kennengelernt, meine<br />
spätere Frau, die mit den gleichen Problemen zu kämpfen<br />
hatte wie ich. Aber gemeinsam und unter Zuhilfenahme<br />
unseres Verstandes und den immer erdrückenderen Beweisen<br />
gegen die Naziherrschaft, ist es uns gelungen, uns aus<br />
dieser geistigen Umklammerung zu lösen und die politische<br />
Vergangenheit unserer Jugendjahre hinter uns zu lassen und<br />
zu echten Demokraten zu werden. Otto Schneider<br />
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