2015-02
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Aus dem Siegerland<br />
Der Beginn war von endlosen, bis in<br />
die Nächte dauernden Gesprächen und<br />
hitzköpfigen Diskussionen geprägt. Jedes<br />
Mitglied musste gehört und beachtet werden.<br />
Entscheidungen wurden basisdemokratisch<br />
getroffen, keine Meinung sollte<br />
übergangen werden. Konzepte wurden<br />
entwickelt, Grundsätze beschlossen und<br />
die Arbeit in Broschüren der Öffentlichkeit<br />
vorgestellt. Auf allen möglichen Veranstaltungen<br />
verteidigten die MitarbeiterInnen<br />
ihre Ideen und vernetzten sich mit<br />
ähnlich strukturierten Vereinen in ganz<br />
NRW. Der Einsatz war ein politischer.<br />
Gemeinsam wollten sie die Welt für Pflegebedürftige,<br />
deren Angehörigen und für<br />
sich selbst verbessern. Ihre Ansprüche<br />
in der Betreuung gingen weit über das<br />
hinaus, was Pflegedienste heute im Angebot<br />
haben. Sie wollten die Betroffenen<br />
in allen Lebensbereichen und ganz nach<br />
ihren individuellen Bedürfnissen unterstützen.<br />
Ein Einsatz sollte mindestens eine Stunde dauern.<br />
Neben der Körperpflege übernahmen sie die Versorgung<br />
des Haushaltes, begleiteten die „Betreuten“ zu Einkäufen,<br />
Behördenbesuchen, Spaziergängen, kochten gemeinsam<br />
mit ihnen, machtenAusflüge, Spiele und erledigten bis zum<br />
Schreibkram eigentlich alles, was so anfiel. Wenn nötig,<br />
blieb man auch über Nacht. Für einen einstündigen Einsatz<br />
sind damals zehn DM berechnet worden, wobei die<br />
gesamte Organisation, einschließlich Beratung und Öffentlichkeitsarbeit<br />
ehrenamtlich erledigt wurde.<br />
Im Verein bekam jeder das gleiche Gehalt, egal welche<br />
Qualifikation er oder sie mitbrachte. Den Lebensunterhalt<br />
konnte niemand von den Einnahmen bestreiten. Die meisten<br />
MitarbeiterInnen hatten geregelte Einnahmen durch<br />
Familienangehörige oder feste Arbeitsverhältnisse bei anderen<br />
Arbeitgebern.<br />
Erst 1990 war es soweit, dass die öffentliche Hand Verantwortung<br />
übernahm. Die Kommunen zahlten fortan festgesetzte<br />
Zuschüsse für leichte und schwere<br />
Pflege. Stundensätze konnten abgerechnet<br />
werden, die auch noch nicht belegt werden<br />
mussten. Erstmals nahm der Verein genügend<br />
Geld ein, um feste Beschäftigungsverhältnisse<br />
zu schaffen und „Statt Altenheim“<br />
wurde anerkannte Sozialstation.<br />
1995 kam dann die Pflegeversicherung.<br />
Diese brachte einige Vorteile für<br />
pflegebedürftige Menschen, die nun alle,<br />
unabhängig von ihrem Einkommen,<br />
Gelder beantragen konnten. In der Praxis<br />
zeigten sich jedoch auch Nachteile:<br />
Die Pflegeversicherung garantierte keine<br />
umfassende Hilfe, sie war eher als<br />
4 Fotos: Statt Altenheim<br />
Der Vorstand: Güldeniz Akgün, Gustav Rinder,<br />
Irmgard Simon, Irene Wildner (v.li.)<br />
eine Art „Teilkaskoversicherung“ zu verstehen. Sie trat<br />
erst in Kraft, wenn schon eine erhebliche Pflegebedürftigkeit<br />
bestand und beschränkte sich dann überwiegend<br />
auf körperbezogene Verrichtungen (z. B. Waschen, Betten,<br />
Toilettengänge, Verabreichen von Mahlzeiten). Hilfen<br />
bei den vielen kleinen, aber oft doch so wichtigen Dingen<br />
des Lebens (in der Organisation des Alltags, Gespräche,<br />
persönliche Betreuung, usw.) kamen darin nicht mehr vor.<br />
Ab diesem Moment war „Statt Altenheim“ genau wie die<br />
anderen Pflegedienste, die nun wie Pilze aus dem Boden<br />
schossen, verpflichtet, den neu gegründeten Pflegekassen<br />
jede Einzelleistung nachzuweisen und im Minutentakt zu<br />
pflegen. Hilfen, die nicht im Leistungskatalog der Kassen<br />
standen, mussten privat in Rechnung gestellt werden. Diese<br />
Art der Pflege konnten die MitarbeiterInnen schlecht<br />
mit ihrem Selbstverständnis vereinbaren. „Wir versuchten<br />
weiterhin, den PflegekundInnen (wie die vormals von uns<br />
betreuten Menschen jetzt offiziell genannt wurden), "<br />
Bei den wöchentlichen Mitarbeiterbesprechungen kommt jeder zu Wort.<br />
2/<strong>2015</strong> durchblick 37