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2015-02

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Historisches<br />

in Berlin. Allerdings soll er äußerst schludrig studiert, sich<br />

indes in Kneipen durch enorme Trinkfestigkeit ausgezeichnet<br />

haben. Nach bestandenem juristischem Examen sagte<br />

ihm die Arbeit nicht zu. Es folgte eine Ausbildung zum<br />

Regierungsreferendar in Aachen, die er<br />

ebenfalls rasch quittierte. Sein Weg in die<br />

Politik verlief wahrlich nicht zielstrebig<br />

und ihm lastete der Hang eines „Bruders<br />

Leichtfuß“ an. Er vernachlässigte seine<br />

Aufgaben, stürzte sich in Amouren<br />

mit englischen Adelstöchtern, liebte<br />

Champagner und verlor viel Geld an<br />

Spieltischen. Hochverschuldet und tief<br />

gedemütigt, doch als stolzer Provinzadliger<br />

verwaltete er die väterlichen Güter<br />

in Pommern.<br />

Der Duden schreibt: „Gründer des<br />

Deutschen Reiches. Im Zuge des deutschen<br />

Verfassungskonfliktes 1862 zum<br />

Preußischen Ministerpräsidenten berufen.<br />

Verfolgte eine Politik zur Stärkung<br />

Preußens in Deutschland. Führte nach<br />

dem Krieg gegen Dänemark 1864 und<br />

Österreich 1866 zur Bildung des Norddeutschen<br />

Bundes, nach dem Deutsch-<br />

Französischen Krieg 1870/71 zur Gründung<br />

des Deutschen Reiches. Krönung des Deutschen<br />

Kaisers. Bismarck wurde Reichskanzler“.<br />

Wir nennen die Bismarcksche Epoche heute „Gründerzeit“.<br />

Deutschland hatte sich von einem Agrar- zu einem<br />

Industriestaat gewandelt. Das Land erlebte eine wirtschaftliche<br />

Hochkonjunktur, doch das Massenelend in der Bevölkerung<br />

ließ die sozialen Spannungen immens anwachsen.<br />

Die große Unzufriedenheit äußerte sich im Aufkeimen von<br />

Gewerkschaften, Genossenschaften und Vereinen, um sich<br />

gegen die „herrschenden Klassen“ zu wehren. Es verging<br />

eine lange Zeit, bis sich ersteAnsätze für eine humanere und<br />

sozial sichereArbeitswelt durchsetzten, in der Bismarck als<br />

Reichskanzler der immer bedrohlicher werdenden sozialen<br />

Frage begegnen und weitere Radikalisierungen derArbeiter<br />

stoppen wollte. In einer Botschaft vom November 1881 fiel<br />

der Startschuss für die Bismarcksche Sozialgesetzgebung,<br />

um den innerstaatlichen Frieden zu retten. Im Juni 1883<br />

wurde das „Gesetz betreffend der Krankenversicherung<br />

für Arbeiter“ verabschiedet. Für fast alle Lohnabhängigen<br />

wurde eine Pflichtmitgliedschaft in der Krankenversicherung<br />

eingeführt, die bis heute gilt.<br />

Ein Jahr später, im Juli 1884, wurde das Unfallversicherungsgesetz<br />

beschlossen. Es brachte eine Sicherheit für<br />

Arbeiter. Bismarck erschien es besonders wichtig, dass die<br />

Beiträge allein von den Unternehmern getragen werden<br />

sollten. Am 22. Juni 1889 wurde der Grundstein für die<br />

Rentenversicherung vom Reichstag verabschiedet. Das<br />

„Gesetz betreffend der Invaliditäts- und Altersversicherung“<br />

gilt seit 1891. Der Durchschnittsbeitragssatz betrug<br />

Johanna von Puttkammer.<br />

Erst durch die Heirat 1847 mit<br />

ihr erhielt Bismarcks Leben<br />

Stabilität und Struktur.<br />

zwei Prozent vom Lohn. Pflichtversichert wurden alle Arbeiter<br />

vom 16. Lebensjahr an und Angestellte bis zu einem<br />

Jahreseinkommen von bis zu 2000 RM. Altersrente bekam<br />

man erst nach dreißig Beitragsjahren und ab dem siebzigsten<br />

Lebensjahr. Die Lebenserwartung<br />

eines Mannes lag in jener Zeit bei 37<br />

Jahren. Die Einführung einer Altersrente<br />

stieß bei Bismarcks Gegnern auf große<br />

Widerstände. Begriffe wie Staatssozialismus<br />

oder Wohlfahrtsstaat wurden<br />

laut. Unternehmer lehnten die Gesetze<br />

aus Furcht vor Geldeinbußen ab, die katholische<br />

Zentrumspartei kritisierte die<br />

staatliche Hilfe, weil sie die christliche<br />

Pflicht zur Nächstenliebe unterhöhle,<br />

und selbst die Sozialdemokraten verwarfen<br />

offiziell die Sozialgesetze.<br />

„Der Lotse geht von Bord“, hieß es,<br />

als Otto von Bismarck im März 1890<br />

von seinem Staatsamt zurücktrat. Die<br />

unüberbrückbaren Spannungen zu dem<br />

erst 29 Jahre alten neuen Regenten<br />

Wilhelm II. ließen ihn mit seinem Ausspruch<br />

„Undank ist der Welten Lohn“<br />

verbittert zurück.<br />

Unsere Rente hat nun eine 125 Jahre<br />

lange Geschichte hinter sich und bis heute gelten die drei Säulen<br />

der Bismarckschen Sozialgesetzgebung. Die Zukunftssorgen<br />

sind heute groß, doch nach wie vor hält Herr Blüm<br />

das deutsche Rentensystem für sicherer als alle Alternativen<br />

weltweit.Allerdings, so fügte er einmal erklärend hinzu, müsse<br />

das Rentensystem immer wieder reformiert werden.<br />

Seit ihrer Entstehung erlebte es harte Schläge und regelmäßige<br />

Turbulenzen. Waren es bei ihrer Gründung noch<br />

bescheidene Ein- und Auszahlungen, so fließen heute Milliarden<br />

Beträge in die Rentenkasse.<br />

die immer noch allgemeingültigen Rechenkünste von<br />

Politikern – um sich alles schön zu rechnen – gelten als die<br />

drei Formen der Bismarckschen Definition: Die Zwecklüge,<br />

die Notlüge und die<br />

Statistik. Abschließend<br />

sei angemerkt, dass wir<br />

Bismarck auch die Zivilehe<br />

zu verdanken haben.<br />

Es lohnt, sich mit dem<br />

Leben und Wirken dieses<br />

Mannes zu beschäftigen,<br />

der zweihundert Jahre<br />

nach seiner Geburt noch<br />

verehrt wird und der am<br />

12. Dezember 1891 zum<br />

Ehrenbürger der Stadt<br />

Siegen ernannt wurde.<br />

Eva-Maria Herrmann<br />

1891 wurde Bismarck Ehrenbürger<br />

der Stadt Siegen<br />

2/<strong>2015</strong> durchblick 35<br />

Foto: Archiv<br />

Bild: Stadtarchiv Universitätsstadt Siegen

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