2015-02
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von fetten, nackten Körpern. Diese Bilder galten erst als<br />
unverkäuflich. Doch es kam anders. Das Aktgemälde der<br />
Arbeitsamtsangestellten Sue Tilley brachte dann auch 2010<br />
bei einer Kunstauktion in New York einen spektakulären<br />
Preis. Er war nun ein anerkannter Künstler von Weltrang.<br />
Zurück zu denAnfängen. Das früher datierte Ölgemälde<br />
„Girl with a White Dog“ (1950/52) (Foto links) der Sonderausstellung<br />
in Siegen, kuratiert von Ines<br />
Rüttinger, porträtiert wohl seine erste Ehefrau<br />
Kitty mit einem Bullterrier auf dem Schoß.<br />
Mit starrem, glasigem Blick, eher unglücklich<br />
schaut sie den Betrachter an. Sie sitzt auf einem<br />
Sofa, bekleidet mit einem Frotteebademantel,<br />
die rechte Brust ist entblößt. Mit Akribie hat<br />
Lucian Freud die Textur des weichen Stoffes<br />
und das Hundefell gemalt. Im Katalog kann<br />
man nachlesen, dass seine junge Frau zu diesem<br />
Zeitpunkt schwanger war und dass das<br />
Paar kurz vor der Trennung stand.<br />
Ganz anders zeigt das großformatige Gemälde<br />
„Bramham Children and Ducks“ (1995)<br />
(Foto re.) Nachbarskinder mit Enten. Die Enten<br />
wirken hier lebendiger als die Teenager. Eine<br />
Ente scheint sogar den Maler zu beobachten,<br />
während die Geschwister eher lethargisch wirken,<br />
vielleicht von der langen Sitzung ermüdet.<br />
Auch sein unvollendetes, letztes Ölgemälde<br />
„Portrait oft the Hound“ (2010/11) zeigt einen<br />
privaten Moment, die Vertrautheit zwischen<br />
Mensch und Tier. Der Mann (seinAssistent David Dawson)<br />
schaut direkt den Maler an. Hockt nackt und entspannt auf<br />
einer Matratze – im Atelier. Neben ihm liegt sein Gefährte,<br />
ein Windhund. Er scheint zu schlafen oder zu chillen. Die<br />
Komposition der beiden Figuren greift ineinander. Eine<br />
Einheit zwischen Mensch und Tier. Tiere haben bei Freud<br />
nicht den Charakter von Accessoires, die den Status des<br />
Portraitierten erhöhen sollen wie in vergangenen Epochen<br />
die Schoßhündchen, Pferde oder Jagdhunde. Er fasst sie<br />
als ebenbürtige Gefährten und Vertrauten des Menschen, ja<br />
auch als Spiegelbild in gewisser Weise auf. Sie reflektieren<br />
Charakter und Befindlichkeit.<br />
Sigmund Freud wollte die Psyche ergründen. In Gesprächen<br />
mit Patienten analysierte er die unsichtbaren Gründe<br />
für das Verhalten und die seelischen Abgründe. Er wollte<br />
erklären und heilen. Der Enkel Lucian hält sich an die<br />
sichtbaren Tatsachen, seine persönliche Wahrnehmung des<br />
Menschen. Die Wirklichkeit seines Gegenübers hält er mit<br />
Pinsel und Farbe auf den Leinwänden fest. In seinen Worten:<br />
„Der Mensch ist ein Tier, bekleidet nur mit Malerei.“<br />
So fühlte er sich in der Tradition eines Rubens oder Jordaens<br />
auch immer mehr zu üppigen Modellen hingezogen.<br />
Lucian Freud führte ein exzessives Leben. Vielen Frauen<br />
war er ergeben – oft nur für kurze Zeit. Als Ehemann war er<br />
untreu und egozentrisch. Eine Parallele zu Picasso, Immendorf<br />
und anderen Malerfürsten. Man sagt Freud 14 eheliche<br />
und noch viel mehr uneheliche Kinder zu. Er liebte sie, war<br />
aber zu ständiger Nähe und einem Familienleben unfähig.<br />
Ein Liebesbeweis war, dass er sie einzeln – auch nackt – im<br />
Foto: Hartmut Reeh<br />
Atelier porträtierte und ihnen so über viele Stunden seine<br />
Wertschätzung und Aufmerksamkeit schenkte. Spielsüchtig<br />
forderte er Fortuna heraus und verjuxte Geld ohne Ende beim<br />
Buchmacher. Ein typischer Engländer, der vor allem Pferdewetten<br />
liebte. So gehörten auch immer wieder Pferde zu<br />
seinen Lieblingsmotiven. Den Buchmacher Guy porträtierte<br />
Freud 1980/81 gemeinsam mit seinem Hund Speck. Eine gewisse<br />
Skrupellosigkeit ist dem Pokerface des Porträtierten anzusehen.<br />
Und der feste Griff seiner Hände verraten Brutalität.<br />
Die immer höher werdenden Wettschulden zwangen Freud<br />
dazu, die Hilfe des NewYorker Galeristen WilliamAcquavella<br />
zu suchen. Erfolgreich. Der verhalf ihm zum Kontakt mit<br />
zahlungskräftigen Sammlern sowie amerikanischen Museen.<br />
Plötzlich spielte der Verkauf seiner Gemälde enorme Summen<br />
in Lucian Freuds Kasse. Damit verlor er auch die Lust<br />
am Glücksspiel. Er war nun ein internationaler Star.<br />
Freud erlaubte sich einen Lebensstil jenseits der Konventionen:<br />
Sex,Alkohol und – nicht Rock’n’Roll – sondern Malerei<br />
bestimmten sein Leben. Das Private wollte er unter Verschluss<br />
halten. So gab er über 40 Jahre angeblich kein Interview mehr<br />
und machte sich rar. Das beflügelt natürlich die Neugier des<br />
Publikums und sein Leben blieb lange geheimnis- und skandalumwittert.<br />
Erst nach seinem Tod 2013 veröffentlichte der<br />
britische Journalist Geordie Greig das Buch „Frühstück mit<br />
Lucian Freud“. In den letzten Jahren seines Lebens fasste Lucian<br />
Freud Vertrauen zu dem Journalisten und ließ einen sehr<br />
persönlichen Blick auf Leben und Werk zu.<br />
Ernst ergeben war er nur seiner obsessiven Liebe zur<br />
Malerei. Ein Leben lang. Seine Arbeit im Atelier war ihm<br />
heilig. Auch wenn die figurative Malerei mit Ölfarben auf<br />
Leinwand schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts abgemeldet<br />
schien. Lucian Freud ließ sich nie beirren und blieb<br />
seinem Stil und seinem Thema, dem gemalten Porträt des<br />
Menschen, treu.<br />
Tessie Reeh<br />
Literatur: Ausstellungskatalog „Lucian Freud und das Tier“, Museum für Gegenwartskunst<br />
Siegen, Köln <strong>2015</strong>; Geordie Greig, „Frühstück mit Lucian Freud“, München 2014<br />
2/<strong>2015</strong> durchblick 55