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MÅNNSBILD<br />
MUSIKANTENBLUT<br />
In Gustl Retschitzeggers Adern fließt Musik, seit er denken<br />
kann. Für den Vollblutmusikanten aus dem Tiroler Oberland<br />
ist sie Jungbrunnen und Lebenselixier.<br />
Text: Yvonne Kathrein | Fotos: Günther Laimböck, Foto Mathis<br />
rüaß Di Gott, Frau Wirtin“,<br />
„G„Grüße aus dem Tirol“, „Lebenslust“,<br />
„Wenn mi des Hoamweh plågt“,<br />
„Musikantenbluat“ … Wir stehen im<br />
Hausgang und bewundern die unzähligen<br />
so und so ähnlich benannten Kassetten,<br />
Schallplatten und CDs, die einem sofort<br />
ins Auge fallen, wenn man Gustls Haus in<br />
Schönwies betritt. „Des isch mei Lebnswerk,<br />
kånn ma so sågn“, blitzt es aus seinen<br />
blitzblauen Augen, die noch blauer<br />
wirken durch sein blau-weiß kariertes<br />
Hemd, das er zur kurzen Lederhose trägt.<br />
Er zeigt sichtlich stolz auf seine mittlerweile<br />
acht Singles, 16 Langspielplatten<br />
und 15 CDs umfassende Sammlung, auf<br />
der „Die Silberspitzler“, „Die Original<br />
Tiroler Spitzbuam“, „Die Alpenvagabunden“,<br />
die „Tiroler Wirtshausmusi“,<br />
das „Flügelhornduo Retschitzegger“, die<br />
„Gamsbergmusi“, das „Gustl Trio“, der<br />
„Zwoa Länderklang“, die „Almröslbläser“,<br />
das „Bläserduo Alpenklang“ … verewigt<br />
sind – bei all diesen Gruppen war<br />
beziehungsweise ist Gustl im wahrsten<br />
Sinne tonangebend, ob als Gründer, Leiter,<br />
Sänger und Musikant oder als Komponist<br />
und Texter. Eine Stiege führt in<br />
das Untergeschoß. Gustl deutet hinunter:<br />
„Ietz zoag i enk glei mei Musigzimmer.“<br />
Wir folgen ihm. Ich wundere mich über<br />
die vielen Lederhosen, die an der Wand<br />
hängen. Ich zähle zwölf Stück. „Sind das<br />
alles deine?“, frage ich. Er schmunzelt,<br />
bejaht es und öffnet die Tür zum Musikzimmer.<br />
Vor uns steht eine Unzahl an Instrumenten.<br />
Sechs Posaunen, griffbereit<br />
auf Posaunenständern, zwei Tuben, zwei<br />
Tenorhörner, eine Basstrompete, drei<br />
Flügelhörner, eine Harfe, ein Osttiroler<br />
Hackbrett und drei Steirische! Ich bin begeistert<br />
und frage, ob das die Instrumente<br />
seiner Musikanten sind. Gustl lacht: „Die<br />
haben ihre eigenen Instrumente. Die hier<br />
gehören alle mir.“ Unglaublich! Und<br />
schon greift Gustl zur Posaune und lässt<br />
einen Jodler erklingen. Dann aber bittet<br />
er uns in seine getäfelte Stube. Ich kenne<br />
Gustl noch aus jener Zeit, in der ich<br />
mit meinen Geschwistern als „Menas<br />
Hausmusig“ herumkam und des Öfteren<br />
mit der „Tiroler Wirtshausmusi“ zusammentraf,<br />
und ich erinnere mich als erstes<br />
immer daran, mit wie viel Enthusiasmus<br />
Gustl es verstand, das Publikum musizierend<br />
und lustige Geschichtln erzählend zu<br />
unterhalten. Und ich bewunderte damals<br />
schon seine unbändige Energie, die mir<br />
dann so richtig zu Bewusstsein kam, als<br />
ich im Juni 2001 den verhinderten Harfenist<br />
Franz Madreiter bei der Tiroler<br />
Wirtshausmusi in Laterns vertreten durfte:<br />
keine Spur von Müdigkeit bei Gustl,<br />
noch ein Stückl und noch eins, und noch<br />
eins mit dem ebenfalls anwesenden Andi<br />
Pirschner, und eins mit Stefan Tschol<br />
undundund … und am nächsten Morgen<br />
ging’s weiter: Johann Öttl, bei dem<br />
wir übernachtet hatten, wollte mit Gustl<br />
noch unbedingt sein neues Tenorhorn<br />
ausprobieren! Ach, es war ein Erlebnis,<br />
das damit endete, dass ich erst mit etwas<br />
Verspätung zum Geigenunterricht in<br />
Landeck kam. Egal, so viel Energie muss<br />
irgendwo ein Ventil haben, und sei es<br />
das von Gustls Posaune, Tenorhorn oder<br />
Flügelhorn. Oder von seiner Tuba. Und<br />
irgendwo gibt’s sicher auch eins auf dem<br />
Osttiroler Hackbrett, und wenn nicht,<br />
dann vielleicht eins auf dem E-Bass. Ja,<br />
Gustl ist ein Allround-Talent, wovon ich<br />
mich überzeugen kann, als ich nebenbei<br />
im Booklet einer seiner jüngsten CDs<br />
blättere und auf den Fotos den Vollblutmusikanten<br />
mit immer anderen Instrumenten<br />
entdecke. Hat er denn Unterricht<br />
auf all diesen Instrumenten erhalten?<br />
„Nein“, lacht Gustl. Das hat er sich selbst<br />
beigebracht. Er sagt das eher beiläufig,<br />
aber mit einem verschmitzten Lächeln.<br />
Ich bin baff und will nun aber wissen, wie<br />
alles angefangen hat.<br />
Musikalische Wurzeln<br />
Ich erfahre, dass er in Fulpmes seine<br />
Kindheit verbrachte – der Vater war als<br />
Sensenschmied aus Roßleithen bei Windischgarsten<br />
in Oberösterreich dorthin<br />
gekommen. Aber nicht er, sondern die<br />
Mutter war es dann, die ihre Sangesfreude<br />
auf ihre Kinder übertrug: besonders<br />
die Melodien der damals sehr populären<br />
Geschwister Buchberger waren da von<br />
ihrer wunderschönen Sopranstimme zu<br />
hören. Sie lehrte Gustl und seine Schwester<br />
Mely unzählige ihrer Lieder, zuerst<br />
ein-, dann zweistimmig, und schon bald<br />
konnten sich die beiden Geschwister ein<br />
Gustl vor seinem Lebenswerk. In 53 Jahren<br />
als Tanzmusikant kommt einiges zusammen.<br />
G‘SUNGEN & G‘SPIELT | 41. JAHRGANG | HEFT 03 | SEPTEMBER <strong>2016</strong> 53