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Gsungen & G\'spielt 3/2016

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INT´RESSANTERWEIS<br />

GÜRTEL MIT TRADITION<br />

Wilfried Weiss ließ fast vergessene Handwerkstechniken<br />

wieder aufleben. Er fertigt mit Zinnstift und Federkiel<br />

einzigartige Produkte und haucht alten Stücken neues<br />

Leben ein.<br />

Text: Lisa Thurner | Fotos: Christina Holaus<br />

Einer ganz besonderen Schatzkammer<br />

gleicht der Raum, in den uns<br />

Wilfried Weiss bei unserem Besuch<br />

führt. Der Geruch von Leder, originelle<br />

Motive, das Glitzern der kleinen<br />

Zinnstifte und Glassteine sowie das<br />

Funkeln der Schnallen sorgen für eine<br />

ganz spezielle Atmosphäre. Helle Spots<br />

beleuchten einzigartige Schätze. Wilfried<br />

zeigt uns seine Sammlung von<br />

altertümlichen Ranzen, Gürteln und Taschen.<br />

Zu jedem einzelnen Stück weiß<br />

er eine Geschichte zu erzählen. Seine<br />

Begeisterung und Leidenschaft für diese<br />

geschichtsträchtigen Wegbegleiter und<br />

für das Traditionshandwerk ist merklich<br />

spürbar. Er lässt uns zuschauen, wie er<br />

mit dieser alten, fast vergessenen Handwerkstechnik,<br />

der Zinnstifttechnik, einen<br />

Lederstreifen bearbeitet, erklärt uns<br />

jeden einzelnen Schritt, wie so ein Zinnranzen<br />

entsteht und gibt uns Einblick in<br />

diese alte Tradition.<br />

später mit liebevollen Ornamenten,<br />

Sprüchen, Zunftzeichen usw. je nach<br />

Geldbeutel des Trägers aufgepeppt. Bei<br />

der Musterung wurden kleine Lederflächen<br />

freigelassen, die mit färbigem<br />

Leder unterlegt waren. Dabei wurden<br />

oft sehr knallige Farben verwendet.<br />

Auch symbolträchtige Figuren wie der<br />

Doppeladler oder der Löwe waren häufige<br />

Motive. Betuchte Leute ließen sich<br />

oftmals Buchstaben, sogar das ganze<br />

Alphabet, Wörter und Sprüche auf ihre<br />

Gürtel machen. Die Ranzenträger wollten<br />

zeigen, dass sie des Lesens kundig<br />

waren. Vielfach waren die Sprüche jedoch<br />

von sagenhaften Rechtschreibfehlern<br />

übersät, weil die Hersteller leider<br />

nicht lesen konnten. Frauen entdeckten<br />

dieses besondere Accessoire ebenso für<br />

sich. Die Schmuckgürtel, auch Messerriemen<br />

oder Brautgürtel genannt,<br />

wurden ebenfalls mit Zinnnägeln verziert.<br />

Die Frau trug sie um die Taille<br />

und an der Hüfte herab. „Anfangs befanden<br />

sich an diesen Gürteln Messer,<br />

Wetzstein und eine Gabel. Auch der<br />

Schlüssel zur Vorratskammer war dort<br />

zu finden. Später löste das Klappmesser<br />

diese Gegenstände ab“, weiß der<br />

Ranzenmacher. Um 1800 entwickelte<br />

sich der Lederschlauch. Im geschlauchten<br />

Zinnranzen konnte der Mann Geld<br />

und Dokumente aufbewahren. Außerdem<br />

wurden Querstege befestigt, um<br />

den Lederstreifen durchzustecken. Ein<br />

jähes Ende erwartete den Zinnranzen<br />

zur Zeit der napoleonischen Kriege.<br />

Damals wurde das Silber des armen<br />

Mannes, das Zinn, dazu verwendet,<br />

um eingeschmolzen und im Krieg als<br />

Munition genutzt zu werden. Mit dem<br />

Krieg verschwanden die Zinnranzenmacher<br />

und mit ihnen die Zinnstifttechnik.<br />

Die Nachfolge trat der Federkielranzen<br />

an, der sehr bekannt ist.<br />

„Früher wurde der Zinnstiftranzen hergestellt,<br />

um den Unterleib des Mannes<br />

vor einem Bajonettstich, einem Messerstich<br />

oder auch vor einer Bleikugel<br />

zu schützen. Bis zu 20 cm breit und<br />

vollflächig mit mehreren zehntausend,<br />

winzig kleinen Zinnnägeln besetzt waren<br />

diese Gürtel“, erzählt er. Um 1730<br />

veränderten sich die Funktion und<br />

schließlich auch die Aufmachung dieser<br />

Kleidungsstücke. Die Gürtel wurden<br />

zu einem wesentlichen Bestandteil des<br />

Festtagsgewands. Die Ranzen wurden<br />

anfangs mit einfachen Verzierungen,<br />

Eine Auswahl an Zinnranzen von Wilfried Weiss. Jedes Stück ist ein Unikat.<br />

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G‘SUNGEN & G‘SPIELT | 41. JAHRGANG | HEFT 03 | SEPTEMBER <strong>2016</strong>

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