Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
MÅNNSBILD<br />
warum bist du zu mir nicht nett, ach Rosi,<br />
du weißt, wie gerne ich das hätt“, singt<br />
Gustl. „Kennsch nit?“ Ich muss leider<br />
passen. Der Text ist von ihm, nebst vielen<br />
anderen, geschrieben für die „Alpenoberkrainer“.<br />
Und viele Texte entstanden für<br />
das „Ensemble Slak“ und die „Steiner<br />
Oberkrainer“. Damit nicht genug: Ende<br />
der 70er-Jahre nahm er mit slowenischen<br />
Freunden, allesamt Studenten der Musikhochschule<br />
in Graz, drei LPs unter dem<br />
Namen „Alpenvagabunden“ auf. „Grüaß<br />
Di Gott, Frau Wirtin“ war der Titel einer<br />
der LPs, und dann klingelt’s sogar bei mir<br />
und ich habe die Melodie im Kopf. Der<br />
Komponist und Texter dieses wirklich bekannten<br />
Stücks sitzt also vor mir!<br />
„Musig soll guat und<br />
schian sein, dånn isch<br />
eigentlich koa Musig<br />
schlecht“<br />
Der Stücklmacher<br />
Ja, man erahnt es schon: auch das Komponieren<br />
hat er sich selbst beigebracht,<br />
ohne jegliches satztechnisches Wissen.<br />
„Ich hab mir zuerst eine Melodie ausgedacht<br />
und diese mit dem Tenorhorn<br />
aufgenommen. Dann hab ich die zweite<br />
Stimme dazugeblasen und aufgenommen,<br />
um danach eine Füllstimme dazuzumachen.<br />
Das war das Schwierigste.“<br />
Dass Gustl diese Herausforderung bravourös<br />
gemeistert hat, davon kann man<br />
sich bei seinen mittlerweile fast 400<br />
Stückln überzeugen! Unglaublich, welche<br />
Schaffenskraft mein Gesprächspartner<br />
besitzt. Auf meine Frage, ob er nicht<br />
auch das ein oder andere Mal an Volksmusikseminaren<br />
teilgenommen und so<br />
auch Neues dazugelernt habe, antwortet<br />
Gustl ganz bestimmt: „Nein, das habe ich<br />
nie. Es ist mir eigentlich gar nicht in den<br />
Sinn gekommen, denn ich wurde selbst<br />
einige Male als Referent zum Weisenbläserseminar<br />
ins Allgäu nach Oberstdorf<br />
geholt, dank meines Auswendig-Blasens.<br />
Einstudiert habe ich die Stückln aber<br />
meistens nach Noten. Mein Freund Max<br />
Froschauer aus Leonding in Oberösterreich<br />
ist es, der mir seit einigen Jahren<br />
meine handgeschriebenen Noten auf seinem<br />
Computer in äußerst perfekter Form<br />
digitalisiert und ausdruckt.“ Er steht auf<br />
und verlässt den Raum, um kurz darauf<br />
mit einem Stapel Notenmaterial wieder<br />
zu kommen. „Silberspitzler – Notenheft<br />
1“ bis „Notenheft 4“, „Tiroler Wirtshausmusi<br />
– Notenheft 1“ bis „Notenheft 19“,<br />
„Jodler und Weisen – Heft 1“ bis „Heft<br />
7“ oder „Alpenländische Messe“ steht da<br />
drauf. „Das verkleinere oder vergrößere<br />
ich mir immer mehrfach mit meinem<br />
Farbkopierer, um auf ein bläsertaugliches<br />
Format zu kommen.“ Tatsächlich!<br />
Und die Beschriftung und der schöne<br />
Falz beim Umschlag? „Die Beschriftung<br />
auf dem Umschlag mach‘ ich mit der<br />
Schreibmaschine, wobei ich die Schrift<br />
vergrößere. Und für den Falz hab‘ ich<br />
eine Falzmaschine. Und dann kann man<br />
die Notenheftln über mich beziehen“,<br />
lacht er und ich lache mit, gleichzeitig<br />
meinen imaginären Hut vor ihm ziehend.<br />
Mit welcher Akribie er das gemacht hat!<br />
Gewusst wie! Der Gustl macht’s eben auf<br />
seine Art, wie könnte es anders sein.<br />
Die Talenteschmiede<br />
Ich betrachte auf dem Notenheftumschlag<br />
ein Foto der „Tiroler Wirtshausmusi“.<br />
Seine Töchter Manuela und Danica sind<br />
unter anderem darauf mit Osttiroler<br />
Hackbrett und Harfe zu sehen und mir<br />
fällt die nächste Frage ein: Wie haben seine<br />
Kinder ihre Instrumente gelernt? „Danica<br />
hat Harfe in der Musikschule gelernt,<br />
aber Manuela hab ich das Hackbrettspielen<br />
beigebracht.“ Meine immer größer<br />
werdenden Augen lassen ihn gleich weitersprechen.<br />
„Der Stefan Pedarnig hat mir<br />
gezeigt, wie das Instrument funktioniert,<br />
und ich hab’s der Manuela gezeigt. Alle<br />
meine Kinder musizieren, hauptsächlich<br />
Stubenmusikinstrumente, meinem Sohn<br />
Gustl hab ich auch das Flügelhornspielen<br />
beigebracht.“ Erst jetzt sehe ich das<br />
Foto seiner Kinder, das an der Wand<br />
hängt. Ich zähle sechs Mädchen und einen<br />
Bub! Und alle musizieren? „Ja, und<br />
vier haben auch gesungen, als ‚Geschwister<br />
Retschitzegger‘“. Daneben hängt eine<br />
Urkunde, verliehen im Jahr 1982 vom<br />
Tiroler Volksmusikverein. „Geschwister<br />
Retschitzegger“ steht da, und „Ausgezeichnet“!<br />
Text und Melodie der meisten<br />
jener Lieder, die sie damals vortrugen,<br />
hat Gustl natürlich selbst geschrieben.<br />
Schön langsam kann ich das alles nicht<br />
mehr glauben. Aber es muss wohl stimmen,<br />
und deshalb hat ihm der Tiroler<br />
Volksmusikverein im Jahr 2004 auch das<br />
Goldene Ehrenzeichen verliehen. Ich bin<br />
erleichtert, dass sich der Verein dieses<br />
wirklich umtriebigen, seine Leidenschaft<br />
mit Feuereifer an jüngere Generationen<br />
weitergebenden aber niemals Druck ausübenden<br />
Erzmusikanten entsann. Nicht<br />
umsonst ist die „Tiroler Wirtshausmu-<br />
Gustl lässt die Vergangenheit nicht hinter<br />
sich, auch wenn er vor ihr posiert.<br />
G‘SUNGEN & G‘SPIELT | 41. JAHRGANG | HEFT 03 | SEPTEMBER <strong>2016</strong> 55