WIRTSCHAFT+MARKT 3/2017
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OSTDEUTSCHLAND | 29<br />
Fotos: Harald Lachmann (oben), Zoll (unten)<br />
allenfalls in dem Monat, in dem es ausgezahlt<br />
wird, auf den Mindestlohn anrechnen.<br />
Aber speziell hier wird auch<br />
bereits der Widerstand<br />
gerade ostdeutscher<br />
Arbeitgeber sichtbar.<br />
In einem Forderungspapier,<br />
das Hartmut<br />
Bunsen als Präsident<br />
des Unternehmerverbandes<br />
Sachsen<br />
2016 im Bundestag<br />
übergab, fordert<br />
er namens aller Unternehmerverbände<br />
Ost, auch jene Sonderzahlungen<br />
bei der<br />
Lohnuntergrenze zu<br />
berücksichtigen. Denn andernfalls sei es<br />
ja kein Mindestlohn, sondern schon ein<br />
Grundlohn. Zugleich drängt Bunsen auf<br />
„eine Differenzierung nach Branchen<br />
und Regionen“. Und nötig sei auch eine<br />
„Ausnahmeregelung für die von der Lohnuntergrenze<br />
gefährdeten Unternehmen“.<br />
Nur so bleibe gewahrt, dass hiesige Mittelständler<br />
„konkurrenzfähig am nationalen<br />
wie auch internationalen Markt agieren,<br />
Wertschöpfung in der Region generieren,<br />
Arbeitsplätze erhalten und neue<br />
schaffen“.<br />
Zoll agiert nach geltendem Recht<br />
Doch all das kann nur die Politik ändern.<br />
Der Zoll agiert dagegen auf Basis geltender<br />
Gesetze – auch wenn diese zum Leidwesen<br />
vieler kleinerer Firmenchefs zu „einem<br />
unverhältnismäßig hohen bürokratischen<br />
Aufwand“ führen. Doch diesen zu<br />
betreiben, sei jedem Unternehmer dringend<br />
empfohlen, betont der Zolloberamtsrat.<br />
Werde es doch für ihn schnell teuer,<br />
zahle er die 8,84 Euro nicht oder zu spät,<br />
schludere bei den Aufzeichnungen darüber<br />
oder gebe sich bei Kontrollen sperrig.<br />
Denn wer nicht nach Mindestlohn entgelte,<br />
führe auch „zu geringe Beiträge an<br />
die Sozialkassen ab und hinterziehe unter<br />
Umständen Steuern“. So arbeiteten ihre<br />
Prüfer oft auch parallel zu den Staatsanwaltschaften.<br />
Und sei ein Verdacht „hinreichend<br />
stark, erwirken wir beim Gericht<br />
einen Durchsuchungsbeschluss“.<br />
Zolloberamtsrat Bernhard Pohlmann ist<br />
im Hauptzollamt Erfurt zuständig für die<br />
Mindestlohnprüfungen.<br />
Selten gehe man übrigens anonymen Anzeigen<br />
nach, verrät Pohlmann. Weder Leuten,<br />
die „uns mitteilen, ihr schon lange arbeitsloser<br />
Nachbar geht dennoch<br />
jeden Morgen in Arbeitskleidung<br />
aus dem Haus und<br />
kommt erst abends<br />
wieder“, noch Anrufer,<br />
die „20 Ausländer<br />
auf einer Baustelle“<br />
entdecken, seien<br />
ihre erste Quelle. Die<br />
allermeisten Indizien<br />
erhalte der Zoll aus<br />
eigenen Prüfungen:<br />
„Wir lassen uns von<br />
unserer<br />
Erfahrung<br />
leiten, haben viel<br />
Feldkenntnis, viel<br />
Branchenwissen!“<br />
Man agiere dort, wo „uns Verdächtiges<br />
auffällt – und das stets unangemeldet,<br />
selbst nachts und an den Wochenenden“.<br />
Das meiste Wissen schöpft der Zoll aus<br />
bundesweiten Schwerpunktprüfungen,<br />
wie kürzlich in der Bauwirtschaft:<br />
Damit erarbeite<br />
man sich in den relevanten<br />
Branchen ein<br />
„Lagebild zum aktuellen<br />
Geschäftsgebaren: Gibt<br />
es Verstöße? Welcher Art sind diese? Wie<br />
werden sie kaschiert?“, so Pohlmann.<br />
Hierbei stütze man sich auf „sehr belastbare<br />
Erfahrungswerte, wie ein Unternehmen<br />
funktioniert“. So gleiche man die<br />
Betriebsunterlagen, „die uns offengelegt<br />
werden müssen“, mit dem ab, was man<br />
selbst sieht: „Lässt<br />
sich etwa mit der vorgefundenen<br />
Zahl an<br />
Leuten sowie in der<br />
aus den Arbeitsverträgen<br />
hervorgehenden<br />
– mithin also entlohnten<br />
– Arbeitszeit jener<br />
Umsatz oder jene Produktionsmenge<br />
schaffen,<br />
die die Bilanzunterlagen<br />
ergeben?“<br />
„Wir brauchen<br />
Differenzierungen<br />
nach Branchen und<br />
Regionen.“<br />
Die Mindestlohnprüfer der<br />
Finanzkontrolle Schwarzarbeit<br />
des Zolls beim Einsatz auf einer<br />
Baustelle in Thüringen.<br />
Pohlmann verweist auf<br />
ausgewiesene Spezialisten<br />
in den Prüfteams.<br />
„Wir wissen, was ein LKW oder<br />
ein Taxi kosten und wie lange sie täglich<br />
rollen müssen, damit sie sich amortisieren.<br />
Wir wissen, wie viele Leute in wie<br />
viel Stunden 1.000 Quadratmeter Estrich<br />
verlegen oder eine Tonne Stahl biegen –<br />
und können daraus schnell Schlüsse zur realen<br />
Entlohnung ziehen“, plaudert er aus<br />
der Praxis. Hinzu kämen Profis für IT-Forensik:<br />
„Wir beschlagnahmen ja auch elektronische<br />
Datensätze. Diese müssen gesichert<br />
und später ausgewertet werden.“<br />
Hierzu hätten sie „Befugnisse wie eine Polizeibehörde“.<br />
So trügen ihre Prüfer auch<br />
Dienstkleidung, sie träten meist zu dritt<br />
auf, seien mit Pistolen und Pfefferspray<br />
bewaffnet und zögen „prinzipiell schusssichere<br />
Westen unter“. Das meiste davon<br />
diene der Eigensicherung.<br />
Damit jedoch ein Arbeitgeber erfolgreich<br />
beim Lohn tricksen kann, muss nach Überzeugung<br />
der Zöllner oft „der Beschäftigte<br />
mitspielen, also auch etwas davon haben“.<br />
Das finde man etwa bei ALG-II-Empfängern,<br />
die nur 165 Euro hinzuverdienen dürfen,<br />
bei Leuten in Privatinsolvenz,<br />
die nicht über den<br />
zulässigen Selbstbehalt<br />
kommen wollen, oder bei<br />
Ausländern ohne Arbeitserlaubnis.<br />
Doch so oder<br />
so: Als Arbeitgeber könne man „praktisch<br />
sicher sein, dass man über kurz oder lang<br />
geprüft wird“, betont Bernhard Pohlmann.<br />
Ihr Netz sei engmaschig. Allein im Bereich<br />
des Hauptzollamtes Erfurt führe man jährlich<br />
gut 2.000 Prüfungen sowie 18.000<br />
Personenbefragungen durch. W+M<br />
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