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WIRTSCHAFT+MARKT 3/2017

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POLITIK | 41<br />

Verschläft der Osten die Digitalisierung?<br />

Foto: Innolytics<br />

Eine Homepage mit allen Angeboten<br />

im Netz, Kundenkontakt über Videokonferenzen<br />

und Chat, Vertrieb und<br />

Akquise über soziale Medien – das war die<br />

erste Stufe der Digitalisierung. Sie ist so<br />

gut wie abgeschlossen. Jetzt beginnt die<br />

nächste Stufe: Das Internet der Dinge, die<br />

Verfügbarkeit mobiler Angebote beinahe<br />

flächendeckend und Trends wie künstliche<br />

Intelligenz verändern Kunden und Unternehmen,<br />

Geschäftsmodelle und Märkte.<br />

Unternehmen müssen Produkte und Angebote<br />

für Kundenbedürfnisse entwickeln,<br />

die sie heute noch gar nicht kennen. Tätigkeitsbereiche,<br />

die bislang durch Mitarbeiter<br />

erledigt wurden, werden mehr und<br />

mehr durch Algorithmen ersetzt.<br />

Aktuell gibt es kaum eine Managementkonferenz,<br />

auf der das Wort Digitalisierung<br />

nicht als Topthema gelistet ist. Und kaum<br />

ein Tag vergeht ohne Erfolgsmeldungen aggressiver<br />

Technologieunternehmen, die traditionelle<br />

Marktteilnehmer angreifen. Wo ist<br />

Ostdeutschland an dieser Stelle? Wo steht<br />

die Wirtschaft zwischen Rostock und Plauen?<br />

Sind ostdeutsche Unternehmen Vorreiter<br />

der Digitalisierung oder verschlafen sie<br />

den Trend?<br />

Jens-Uwe Meyer: Digitale Disruption.<br />

Die nächste Stufe der Innovation, Business<br />

Village 2016, 288 Seiten, 24,95 Euro.<br />

Berlin geht voran<br />

In Berlin hat sich eines der weltweit führenden<br />

Start-up-Cluster entwickelt. Wer<br />

eine Idee hat, findet in Coworking Spaces<br />

Mitstreiter. Wer ein vielversprechendes<br />

Geschäftsmodell und Investoren gefunden<br />

hat, kann in der Factory Büroräume<br />

und eine Infrastruktur finden. Und auf einem<br />

der unzähligen Events finden sich Investoren<br />

und Ratgeber. Doch was ist außerhalb<br />

von Berlin? In Cottbus, Magdeburg<br />

und Erfurt? In Leipzig oder Rostock?<br />

Wer aktuelle Diskussionen verfolgt, stellt<br />

fest: Praktisch jede Landesregierung hat<br />

irgendwo eine Digitalisierungsinitiative auf<br />

ihrer Homepage stehen. Es finden sich<br />

Verbände und Vereinigungen, die das Thema<br />

vorantreiben. Doch die Wirtschaft insgesamt?<br />

Euphorie? Aufbruch? Wer danach<br />

sucht, sucht lange. Ein Silicon Saxony oder<br />

ein weltweit führendes digitales Innovationscluster<br />

im Osten – Fehlanzeige. Das<br />

ist alarmierend. Denn digitale Disruption<br />

verändert heute bereits Branchen radikal.<br />

Es ist Zeit zum Handeln<br />

Der Umbruch der Banken- und Versicherungsbranche<br />

nimmt bereits zum Teil dramatische<br />

Formen an, der klassische Einzelhandel<br />

meldet kontinuierlich sinkende<br />

Umsatzzahlen und selbst traditionelle Unternehmen<br />

aus dem Bereich der Landwirtschaft<br />

können sich den Folgen der Digitalisierung<br />

nicht entziehen. Produkte, von<br />

denen im Entferntesten niemand glaubt,<br />

dass sie durch die Digitalisierung bedroht<br />

werden, erhalten plötzlich Konkurrenz<br />

durch Algorithmen. Ein Gewächshausbetreiber,<br />

der die Qualität seiner Pflanzen<br />

durch Bodensubstrate sichert, kann den<br />

gleichen Nutzen durch den Einsatz von<br />

Bodensensorik, algorithmengesteuerten<br />

Licht- und Beheizungssystemen und mobilen<br />

Düngerobotern erzielen. Was heute<br />

klingt wie Zukunftsmusik, ist ein Wandel,<br />

der Unternehmen in immer schnellerer<br />

Geschwindigkeit erfasst.<br />

Ostdeutsche Unternehmer haben etwas,<br />

was ihnen eigentlich einen Vorsprung geben<br />

sollte: Wendeerfahrung. Es ist an der<br />

Zeit, das eigene Unternehmen auf die<br />

„Stunde null“ zurückzustellen und an der<br />

Frage zu arbeiten: Würden wir das Unternehmen<br />

heute noch genauso aufbauen<br />

wie nach der Wende? Sie müssen sich in<br />

die Perspektive eines aggressiven Startups<br />

versetzen: Wie würden wir unser eigenes<br />

Unternehmen heute angreifen?<br />

Diese gedankliche Übung gehört zum<br />

Pflichtrepertoire innovativ denkender Unternehmer.<br />

Dr. Jens-Uwe Meyer ist Geschäftsführer<br />

der Innolytics GmbH und Autor des Buches<br />

„Digitale Disruption“.<br />

Schizophrene Strategien<br />

Unternehmen brauchen Innovationskulturen,<br />

die beides zulassen: die Verbesserung<br />

des Bestehenden durch kontinuierliche Erneuerung<br />

sowie die Erfindung des Neuen.<br />

In einem Unternehmensteil sind die<br />

Strategien auf das Optimieren ausgerichtet,<br />

im anderen auf das radikale Erneuern.<br />

In einem werden inkrementelle Innovationen<br />

wie beispielsweise Prozessverbesserungen<br />

und Erweiterungen klassischer<br />

Produktlinien gefördert, im anderen radikale<br />

Ideen und Visionen, die mutiger und<br />

riskanter sind. In einem Unternehmensteil<br />

existieren Richtlinien zur Risikovermeidung,<br />

im anderen wird experimentelles<br />

Scheitern gefördert. Die Entwicklung<br />

schizophrener Strategien ist kein Widerspruch,<br />

sondern ein zwingender Bestandteil<br />

moderner Unternehmensstrategien.<br />

<br />

Jens-Uwe Meyer<br />

www.wirtschaft-markt.de <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 3/<strong>2017</strong>

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