2010-02
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Unterhaltung<br />
Antilopengesicht<br />
Kein Morgen ohne „Guten Morgen“<br />
Morgens früh um sechs Uhr: Es macht „klack“ und<br />
hinter der Klappe meines Briefkastens ist die<br />
Morgenzeitung verschwunden. Immer pünktlich,<br />
bei Unwetter etwas später.<br />
Ich stehe auf Zeitunglesen beim Frühstück. Jeden Tag<br />
mit dem gleichen Ritual, seit über zwanzig Jahren, und dabei<br />
ist der „Guten-Morgen-Gruß“ für mich ein „Muss“, ansonsten<br />
fehlt mir etwas. Seit einiger Zeit ist auch das Konterfei der<br />
jeweils Schreibenden ersichtlich. Ich kenne sie jetzt, weiß wie<br />
sie aussehen, die Damen und Herren der Redaktion, die allmorgendlich<br />
ein mit wenig Worten<br />
beschriebenes Erlebnis von sich,<br />
einer anderen Person, oft auch von<br />
ihren tierischen Lieblingen, meist<br />
humorig-hintergründig erzählen.<br />
Die Begebenheiten sind oft so realistisch,<br />
dass man sich angesprochen<br />
fühlt. So las ich auch eines Morgens<br />
nebenstehenden Artikel von Florian<br />
Adam und dachte dabei, das ist eine<br />
Gelegenheit, die du wahrnehmen<br />
musst. Und dann habe ich es getan,<br />
ich habe es sofort getan und Florian<br />
Adam folgende e-Mail geschrieben:<br />
Hallo, Florian Adam!<br />
Kein Morgen ohne „Guten Morgen“<br />
der Westfälischen Rundschau. Florian,<br />
Ihre Texte haben immer einen<br />
besonderen Pfiff und dieser gewisse<br />
weiße Stock im heutigen „Guten<br />
Morgen“, der hat‘s mir angetan. Falls<br />
Sie sich davon trennen müssten, – ich<br />
hätte einen wunderbaren Platz dafür,<br />
nämlich in meinem Schlafzimmer.<br />
Bin Single und niemand motzt.<br />
Damit Sie auch wissen, wem Sie<br />
ihr gutes Stück vermachen – wenn –,<br />
es würde sich in bester Gesellschaft<br />
befinden. In meinem Zimmer der<br />
Nacht hängt über dem Bett an einem dicken Nagel ein schwarzer<br />
Herren-Hut, der auf Damen-Hut getrimmt, sein schwarzes Band<br />
verlor und ein heißes Bügeleisen den sogenannten „Kniff im<br />
Hut“ abrundete. Schmucklos ist er keineswegs. Eine fünfundfünfzig<br />
Jahre alte Kette aus gräulichen Leichtmetall-Gliedern<br />
mit schwarzen Perlen und kleinen, hängenden Kettchen ersetzen<br />
das Band - aber nur an der Wand.<br />
Weiter rechts an der Wand, an einer Schraube, einem Nagel<br />
und einer Stecknadel sieht man meine drei schönsten Krawatten.<br />
Zwei Jazz-Kreuzfahrt-Erinnerungen aus Batik, bedruckt<br />
die eine in den Farben helles und changierendes dunkleres Grün<br />
mit einer Trompete, die andere in den Farben rötlich changie-<br />
rendes Karminrot mit einer Flöte aufgezeichnet. Einfach toll!<br />
Dann noch eine schmale, anthrazitfarbene Leder-Krawatte mit<br />
silbrigen Ornamentstreifen.<br />
Links vom Hut hängt ein Foto-Kalender mit zu wechselnden<br />
Fotos, gescannt von Zeitungsausschnitten der WR. Sieht<br />
gut aus, ha-ha-ha. Je nach Farbe der Bettwäsche erscheinen<br />
die Beatles, der Schrei, die Rolling Stones, Lara Croft, auch<br />
Morphine und andere. Direktes Foto von meinem Enkel mit<br />
schwarzer Baskenmütze, bunten Luftballons und einem freundlichen<br />
Geist aus Stoff im Arm auf buntem, sommerlichem Bettbezug.<br />
Mein jüngster Sohn mit überschäumender<br />
Bierflasche ist noch zu sehen und<br />
ein handgemaltes Bild meiner Enkelin mit<br />
vielen roten Herzen für Oma.<br />
Auf einem Nacco liegt ein Schulbuch,<br />
Sagen der Griechen und Römer. Daneben<br />
sitzt der freundliche Geist im weißen Outfit,<br />
außerdem das Liliput-Mainzelmännchen<br />
mit dem verwunderten Gesichtsausdruck,<br />
welches beide Hände über dem<br />
Kopf hält, ein Geschenk von meinem Enkel<br />
mit der Bemerkung: „Oma, das passt<br />
zu dir.“ An der einzigen freien Wand hängt<br />
ein großer, acrylisierter Druck von Claude<br />
Monet, „Seerosenteich“. Daneben in<br />
der Ecke steht aus Verlegenheit, wegen<br />
Platzmangel, ein Benjamini Silver, super<br />
gewachsen, braucht nicht gegossen zu werden.<br />
Über Geschmack lässt sich ja streiten,<br />
mir aber gefällt die Mischung.<br />
Itzend fealt nuer noch dä wisse Schdock.<br />
Bitte nicht entsorgen, kann sofort abgeholt<br />
werden, meine Geschichte als Geschenk,<br />
ha-ha-ha.<br />
Mit freundlichen Grüßen und Lachfältchen<br />
in den Augenwinkeln, Gerda Greis.<br />
Florian Adam mailte mir zurück, dass er<br />
meine Überzeugungskraft zu schätzen wisse<br />
- und so passend sich dieser Stab sicherlich<br />
in das beschriebene Ambiente einfüge, würde er trotz mangelnder<br />
Gegenliebe in seinem Umfeld, diesem weißen Stock mit<br />
dem unverkennbaren Antilopengesicht – ich könne ein Foto<br />
davon haben – die Treue halten und die Widerstände seiner<br />
Lieben einfach aussitzen. Er will ihn partout behalten – dem<br />
Künstler sein Kunstwerk –, ich aber habe jetzt zwei interessante<br />
Fotos mehr, die meinen „Kalender“ schmücken werden.<br />
So geschehen – wie zu sehen – kann‘s im Leben gehen – ein<br />
kleiner Verzicht – das Herze nicht bricht.<br />
Trotzdäm – hädde ech gearn dä wisse Schdock mit däm<br />
Antilopegesechde.<br />
Gerda Greis<br />
22 durchblick 2/<strong>2010</strong>