2010-02
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Buchbesprechung<br />
der Kaiserin bei Repräsentationspflichten. Man stelle sich<br />
heute Merkels Starfriseur Udo Waltz in einem Hosenanzug<br />
à la Angie vor. Sie erzählt uns die bezaubernde Geschichte<br />
von Echo und Narziss, als sie auf die Erfindung<br />
des Spiegels zu sprechen kommt.<br />
Sie hat zu sich selbst gefunden, besitzt daher ihren eigenen<br />
Stil, was die Mode angeht, muss sich nicht aufwerten<br />
durch teure Klamotten, tätigt keine Frustkäufe mehr. Was<br />
Letzteres angeht, müsste ich sie mir zum Vorbild nehmen,<br />
ich neige immer noch zu diesen Ersatzhandlungen, um die<br />
vielen Verluste, die einem im Prozess des Alterns ereilen,<br />
zu kompensieren. Selbstzweifel scheinen ihr fremd, ich<br />
stelle fest, dass die paar Leichen, die man im Keller hat,<br />
jetzt häufiger sich zu Wort melden, sie vermitteln mir das<br />
Gefühl, auf dieser Welt schon mit dem Jüngsten Gericht<br />
konfrontiert zu sein.<br />
Sie spart Betrachtungen über die Endlichkeit unseres<br />
Daseins nicht aus. Ernst Bloch hat einmal geäußert: Ich bin<br />
neugierig auf das Sterben. Eine<br />
Erfahrung, die ich noch machen<br />
möchte.<br />
Mir erscheint die Dame sehr<br />
euphorisch. Vergeben sei ihr,<br />
denn sie ist erst 61. Einige Dämpfer<br />
werden ihr im Laufe der Jahre<br />
nicht erspart bleiben. Auch<br />
ich hatte mit 60 das Gefühl, mir<br />
stünde die Welt noch offen. Diese<br />
Utopie als Lebenskraft wurde<br />
ad absurdum geführt. Spätestens<br />
wenn Krankheit den Menschen<br />
heimsucht, er an die Peripherie<br />
gedrängt wird, sich stigmatisiert<br />
fühlt, auf einmal erkennt, dass<br />
er verwundbar ist, wird ihm der<br />
feste Boden unter den Füßen weggezogen.<br />
Wir wissen, dass es auch<br />
andere Altersbilder gibt. Philip<br />
Roth zeigt es uns in seinem<br />
„Jedermann“, einer morbiden<br />
Erzählung über den Verfall eines Menschen. Er stellt ihr<br />
den Spruch voraus: Hier, wo der Mensch palavert und wehklagt,<br />
der graue Schopf, erbärmlich dünn sich neigt, wo<br />
Jugend bleich und geisterhaft verdirbt, wo denken heißt,<br />
sich sorgen (John Keats – Ode an die Nachtigall).<br />
Philip Roth bezeichnet Alter als Massaker. Eine langwierige<br />
Erkrankung ist die Verzerrung des eigenen Wesens.<br />
Seine Titelfigur gibt im Ruhestand sein Apartment<br />
in New York auf und zieht an die Küste, an den Ort, mit<br />
dem ihn die schönsten Kindheitserinnerungen verbinden.<br />
Er vermeint dort im Leben angekommen zu sein, stellt<br />
aber im Laufe der Zeit fest, dass er einer Täuschung erlegen<br />
ist, die jetzt ihre Macht über ihn verliert. Die Bücher,<br />
die er lesen wollte, die Bilder, die er zu malen gedachte,<br />
steigern nur seine Vorstellung von dem hoffnungslosen<br />
Amateur, der er ist, und von der Nichtigkeit der Beschäftigungen,<br />
denen er seinen Ruhestand widmen wollte. Sie<br />
alle waren Ersatzhandlungen für das, was verloren ging,<br />
was ihm zerronnen war. Er trieb im Nichts, zu jemandem<br />
geworden, der er nicht sein wollte. Das einzige, was ihn<br />
noch erreichte, war die Sehnsucht nach einer jungen Frau.<br />
Fast alle Erzählungen der älteren Autorenriege, sei es nun<br />
Walser, Karasek oder wer auch immer, können sich von<br />
ihren sexuellen Fantasien nicht lösen. Sie werden, zumindest<br />
in ihren Texten, davon beherrscht. Es scheint für sie<br />
das größere Problem im Alterungsprozess darzustellen.<br />
Die Autorin Margit Schönberger kommt fast ohne dieses<br />
Thema aus. Ich halte den Herren zugute, dass sie älter<br />
sind. Sie streift es nur kurz, wenn sie Stillettos, derer sie<br />
sich schon entledigt hat, als erotisches Symbol bezeichnet<br />
oder einmal auch von<br />
Hirnerotik spricht, die sich<br />
Der Panther.<br />
Sein Blick ist vom Vorübergehen der Stäbe<br />
so müd geworden, dass er nichts mehr hält;<br />
ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe<br />
und hinter tausend Stäben keine Welt.<br />
in einem guten Gespräch<br />
ergeben kann. Putzig ausgedrückt,<br />
aber ich weiß, was<br />
sie meint.<br />
Max Frisch in seinen Tagebüchern,<br />
die in der „Zeit“<br />
vorgestellt wurden, ist auch<br />
des Alters müde, kann ihm<br />
nichts abgewinnen. Eine sogenannte<br />
Loft in New York<br />
gibt er auf, da ihn die Stadt<br />
nach drei Jahrzehnten ankotzt.<br />
Er zieht aufs Land. Er<br />
trinkt. Ekel erfasst ihn vor<br />
seiner Schreibmaschine, er<br />
versucht es mit Handschrift<br />
und Tonband. Er gibt auf,<br />
merkt an: Ich werde ein<br />
Greis. Man wird zum Greis,<br />
wenn man sich zu nichts<br />
mehr verpflichtet fühlt,<br />
wenn einem zunehmende<br />
Nachlässigkeit gegenüber Freunden und Gleichgültigkeit<br />
gegenüber öffentlichen Ereignissen erschreckt.<br />
Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,<br />
im allerkleinsten Kreise dreht,<br />
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte<br />
in der betäubt ein großer Wille steht.<br />
Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille<br />
sich lautlos auf –, dann geht ein Bild hinein,<br />
geht durch der Glieder angespannte Stille –<br />
und hört im Herzen auf zu sein.<br />
Rainer Maria Rilke<br />
Martin Walser nimmt alles etwas gelassener. Er sucht<br />
an seinem „Jenseits“. Manchmal meint er es in Rom gefunden<br />
zu haben, dann in der Liebe oder in seiner Überzeugung,<br />
dass man glauben lernt, wenn einem nichts anderes<br />
übrig bleibt.<br />
Margit Schönberger verabschiedet sich mit der Frage:<br />
Ist Ihnen je bewusst gewesen, wie viel der Panther hinter<br />
den Stäben mit Ihnen und Ihrem Leben zu tun hat?<br />
Erika Krumm<br />
durchblick 2/<strong>2010</strong> 51