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2010-02

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Lyrik<br />

Die Alte<br />

von Uwe Erwin Engelmann<br />

Die Alte mit ihrem grauen, zerschlissenen Haar und<br />

ihrem schäbigen Mantel stand plötzlich, ohne dass einer der<br />

Gäste von ihr Notiz genommen hätte, mitten in dem Restaurant<br />

in London, in dem eine Schar wohl ausgebildeter<br />

Kellner ihres Amtes walteten.<br />

„Haben Sie nicht ein Pfund<br />

für mich übrig?“, ging sie glückfragend,<br />

das Gespräch der miteinander<br />

Plaudernden kurz unterbrechend,<br />

von einem Tisch zum<br />

anderen.<br />

Da ich – alleinsitzend – die<br />

ganze Zeit über so tat, als sei ich<br />

mit anderen Dingen beschäftigt,<br />

ging sie an meinem Tisch nichts<br />

sagend vorbei. An einem der Nebentische steckte ihr ein<br />

junger Mann eine Fünfpfundnote zu, als auch schon ein<br />

Oberkellner erschien und sie höflich zu einer Tasse Kaffee<br />

an einen Tisch in der Nähe der Essensausgabe bat.<br />

Die Alte folgte wortlos und setzte sich hin. Kurze Zeit<br />

später wurde ihr schon das (offenbar) Versprochene gebracht.<br />

Bedächtig wickelte sie aus einem Tüchlein ein<br />

Päckchen Zigaretten heraus, ging zum Sideboard, nahm<br />

einen Aschenbecher, stellte ihn vor sich auf den Tisch und<br />

zündete sich eine Zigarette aus ihrem Päckchen an.<br />

Ins Nichts starrend, blies sie den Rauch vor sich hin und<br />

trank langsam ihre Tasse aus.<br />

Als sie bezahlen wollte, bedeutete<br />

ihr der Oberkellner, dass<br />

die Tasse auf Kosten des Hauses<br />

gehe. Wenig später stand die<br />

Alte auf, ging zu dem Tisch des<br />

jungen Mannes und wollte ihm<br />

die Fünfpfundnote wiedergeben.<br />

Dieser aber ignorierte sie.<br />

Nach kurzem Warten ging sie<br />

an ihren vorherigen Platz zurück,<br />

nahm den Aschenbecher und<br />

stellte ihn wieder auf das Sideboard, trug Untertasse und<br />

Kaffeetasse zum Kücheneingang, wickelte ihr Zigarettenpäckchen<br />

wieder in ihr Tüchlein und verließ unauffällig,<br />

wie sie eingetreten war, wieder das Lokal.<br />

Tief beschämt hielt ich noch Augenblicke später eine<br />

Einpfundmünze, die ich zwischenzeitlich aus meiner Hosentasche<br />

gekramt hatte, in der nun zur Faust geballten<br />

Hand. ● Mehr von Uwe E. Engelmann auf Seite 47.<br />

Seejerlänner Mäckes vor 100 Joahr<br />

von Helga Düringer<br />

D’r Mäckes zoch va Doarf ze Doarf,<br />

met brung Geschearr<br />

en sinnem Koarf.<br />

Vor Klatsch on Tratsch<br />

woar hä bekannt<br />

on broachde Näjjichkeide ewert Land.<br />

Met schwarzer Kabbe em Gesechde,<br />

ferzeälde hä so manch’ Geschechde.<br />

Det bloe Hemd ewer d'r Botze,<br />

nohm hä och mo foar de Rotze!<br />

Manchmo verkaufde hä en Däller,<br />

do verdende hä en Heller,<br />

och mo nix, orrer en Schoddel,<br />

doch hä bleeb en armer Troddel!<br />

Hä leef bi Rä on och bi Sonn’,<br />

bes owends späh de Fös sech wonn.<br />

So manche Nacht schleaf<br />

hä em Schdroh,<br />

on moarjens ston hä off ganz froh!<br />

Wenn d’r Goggel hät gegräht,<br />

da woar et foar d’r Mäckes spät.<br />

Do drabte hä met Koarf on Kiebe,<br />

en näjje Duor zo sinner Liebe!<br />

Do gob et Wurscht, en goare Soppe,<br />

on herno och noch en Schoppe.<br />

Doch et konn än keiner haale,<br />

hä bleeb d’r Mäckes ald d’r Ale.<br />

Gestärkt zoog hä va Oart ze Oart,<br />

on machde sech ganz heimlech foart.<br />

So woahr hä no, vam ale Schlach,<br />

d’r Seejerlänner Mäckes,<br />

Dach vor Dach!<br />

durchblick 2/<strong>2010</strong> 37

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