2010-02
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Unterhaltung<br />
James Brown<br />
Elvis Presley<br />
Chuck Berry<br />
Jerry Lee Lewis<br />
Buddy Holly<br />
Fats Domino<br />
Zuvor hatte es den 15. Juli 1957 gegeben.<br />
An diesem Tag begann der private Rundfunksender<br />
Radio Luxemburg mit der Ausstrahlung<br />
eines deutschen Programms. Zunächst betrug<br />
die Sendezeit nur ein oder zwei Stunden, aber<br />
schon im Spätherbst dieses Jahres wurde sie auf<br />
vier Stunden verlängert. Mit einer unglaublichen<br />
Geschwindigkeit sprach es sich herum, dass hier<br />
eine neue Musik über den Äther ging. Bei den<br />
Öffentlich-Rechtlichen gab es praktisch keine<br />
Sendungen für junge Leute – den Kinderfunk<br />
einmal ausgenommen.<br />
In der Schule hatte ich von diesem „Radio<br />
Luxemburg” gehört. Hier würde die Post abgehen.<br />
Dass man auf der Kurzwellenfrequenz<br />
6090 Kilohertz im 49-Meter-Band suchen<br />
müsse, wusste ich auch. Und nachdem ich<br />
zum ersten Mal fündig geworden war, nutzte<br />
ich fortan jede freie Minute. Der Sender wurde<br />
meine heimliche Heimat. Dass die Tonqualität<br />
auf der Kurzwelle häufig nicht optimal war<br />
und man ständig nachjustieren musste, weil die<br />
Lautstärke mitunter Kapriolen schlug, spielte<br />
gar keine Rolle.<br />
Der Sender hatte nicht nur ein deutsches,<br />
sondern in den Abendstunden auch ein flämisches<br />
Programm mit einer „Teenager-Muziekparade“.<br />
Besonders hier ertönten ständig<br />
die Lieder von Elvis Presley, Chuck Berry,<br />
Jerry Lee Lewis und die all der anderen. Eingeleitet<br />
wurde die Sendung stets mit „Ready<br />
Teddy”, gesungen von Little Richard. Nur die<br />
Hälfte dessen, was da ertönte, verstand ich -<br />
aber das spielte überhaupt keine Rolle. Das<br />
aggressive Gitarren- und Klavierspiel ging<br />
sofort ins Blut. Dazu setzten sich die eingängigen<br />
Melodien rasch fest. Ich fühlte mich wie<br />
elektrisch aufgeladen. Die „dunkelnde Heide”<br />
wurde völlig unwichtig und war rasch vergessen.<br />
Die „Zauberflöte“ auch. Ich erlebte den<br />
Rock’n’Roll mit seinem nie zuvor gekannten<br />
Rhythmus als eine Art Kulturschock – im positiven<br />
Sinne, versteht sich. Es war vor allem<br />
die Freude an einer anderen Art von Musik,<br />
Little<br />
Richard<br />
Bill Haley<br />
aber auch die Entdeckung einer eigenen Welt<br />
– einer Welt, in der die Erwachsenen gar nicht<br />
vorkamen. Das war noch nie dagewesen.<br />
Je mehr Popularität der Rock’n’Roll innerhalb<br />
der Jugend erlangte, umso mehr wurde vor<br />
der „obszönen Negermusik“ gewarnt. Dieser<br />
Begriff wurde im Nationalsozialismus für den<br />
Blues und den Jazz geprägt und ansatzlos übernommen.<br />
Die Politiker hassten allesamt die<br />
neue Musik und viele hätten am liebsten nicht<br />
nur die Musiker und die Rundfunksprecher,<br />
sondern auch die Hörer mit den schlimms ten<br />
Strafen belegt. Aber leider, leider konnte man<br />
ja nicht mehr so rigoros vorgehen wie noch<br />
wenige Jahre zuvor mit den heimlichen Lauschern<br />
der BBC London. Die Kirchen meldeten<br />
sich zu Wort und sahen voraus, dass die<br />
Konsumenten allesamt auf die schiefe Bahn<br />
geraten würden. Die Schulbehörden hingegen<br />
warnten mit Macht vor der unausbleiblichen<br />
Verdummung der Jugendlichen. Kein Wunder<br />
also, dass sich auch die durch und durch konservativen<br />
Programmmacher der öffentlichrechtlichen<br />
Rundfunkanstalten gänzlich verweigerten.<br />
Und so wurde der Rock’n’Roll nur<br />
aus dem benachbarten Ausland und von den<br />
Besatzungssendern AFN und BFN gesendet.<br />
Doch das Programm begann nicht mehr wie<br />
einst mit dem berühmten Kopfmotiv aus Beethovens<br />
5. Sinfonie „Ta Ta Ta Taaa“, sondern im<br />
Achtelrhythmus mit „Ready Teddy“.<br />
Auch mein Vater sprach wie die meisten<br />
Väter von Negermusik. Seine musikalische<br />
Vorliebe bestand hauptsächlich aus dem<br />
Uralt-Hit „Die Wacht am Rhein“. Gelegentlich<br />
empfahl er mir mit kaum unterdrücktem<br />
Grimm in der Stimme, lieber dieses Lied<br />
doch einmal zu singen. Zum Glück verteidigte<br />
mich meine Mutter: „Der Junge geht auf<br />
die Schule. Mit den fremden Liedern kann er<br />
besser Englisch lernen.“<br />
Ja, wenn in jenen Tagen die Bezeichnung<br />
„Rock’n’Roll“ fiel, dann wurden die Alten<br />
aggressiv. So richtig<br />
übel nahmen<br />
wir es ihnen aber<br />
nicht. Sie steckten<br />
im Wiederaufbaustress<br />
und waren<br />
für uns im Grunde<br />
genommen arme<br />
Schweine. Ihre Jugend<br />
hatten sie Johnny Caroll<br />
als<br />
34 durchblick 2/<strong>2010</strong>