30.11.2017 Aufrufe

Landkreis Marburg Biedenkopf - ganz persönlich

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Ab der fünften Klasse fuhr ich mit dem Zug nach <strong>Marburg</strong><br />

zur Elisabethschule und tat das mit einer Unterbrechung<br />

eines Auslandsjahres in den USA bis zum Abitur. „Fahrschülerin“<br />

sein, das war nicht immer einfach, der Zug fuhr um<br />

7:07 Uhr, da musstest du schon mit dem Fahrrad hingekommen<br />

sein, in <strong>Marburg</strong> dann mit dem Bus bis Wilhelmplatz.<br />

Mit viel Glück wurde der Eilzug um 13:21 Uhr erwischt, mit<br />

Pech erst der Bummelzug um 14:30 Uhr. Lange Tage waren<br />

das und manchmal auch eine Spaltung zwischen den „<strong>Marburg</strong>ern“<br />

und den „Fahrschülern“ aus dem Ebsdorfergrund<br />

wie auch aus Stadtallendorf.<br />

Nachdem ich zunächst in Tübingen, Edinburgh und Göttingen<br />

studiert hatte, kam ich 1981 nach <strong>Marburg</strong> zurück und<br />

machte dort an der Universität 1983 mein Examen. <strong>Marburg</strong><br />

ist eine wunderbare Universitätsstadt. Übersichtlich, du<br />

fühlst dich nicht verloren. Und doch bietet die Stadt eine<br />

große, intellektuelle Weite, die eine Universität mit sich<br />

bringt. Als ich 1968 zur Schule kam, habe ich mit Staunen<br />

die Demonstrationen gesehen. An der Schule wurde selbstverständlich<br />

diskutiert über die Schuldgeschichte des<br />

Nationalsozialismus und auch über Atomkraft.<br />

Ein Regenbogen im Ostkreis<br />

Ich selbst wurde in <strong>Marburg</strong> im Klinikum Wehrda geboren.<br />

In derselben Klinik starb 16 Jahre später mein Vater<br />

und wurde 23 Jahre später meine älteste Tochter geboren.<br />

Aufgewachsen bin ich in Stadtallendorf. Meine Eltern wurden<br />

dort ab 1949 angesiedelt, ebenso die Großmutter und<br />

die Tante mit ihren Kindern. Es waren Flüchtlinge aus<br />

Schlesien, dem Sudentenland, Ostpreußen und Hinterpommern,<br />

die hier eine Heimat fanden, wo noch bis 1945 die<br />

„Dynamit Aktien Gesellschaft“ mit Zwangsarbeitern<br />

Rüstungsgüter produzierte. Eine merkwürdige Stadt, zusammengesetzt<br />

aus Menschen, die ihre Heimat verloren<br />

hatten, aber neu anfangen wollten. Bald kamen Italiener<br />

dazu, die bei Ferrero Arbeit fanden, es folgten Jugoslawen<br />

und Griechen und mit der Eisengießerei auch viele Türken.<br />

Ich habe dort eine unbeschwerte Kindheit erlebt inmitten<br />

dieser Vielfalt.<br />

Mit dem <strong>Landkreis</strong> verbindet mich vor allem Beheimatung,<br />

Zugehörigkeit trotz oder gerade wegen großer Vielfalt. Das<br />

war auf den einzelnen Dörfern vielleicht anders. Aber in<br />

Stadtallendorf haben wir wenig über die Unterschiede gesprochen,<br />

ob sie nun sozialer oder religiöser Natur waren.<br />

Da war ein Grundgefühl von Chancengleichheit. Es war<br />

möglich, dass ein Arbeiterkind studierte. Und wenn ein junger<br />

Muslim gern zum Kindergottesdienst kam, dann war er<br />

im Krippenspiel halt einer der Hirten. Die verbitterten<br />

Kämpfe um Herkunft, Zugehörigkeit, Nationalität und<br />

Religion, die wir heute erleben, kannte ich damals nicht.<br />

Das hat mir einen großen Schub an Toleranz mit ins Leben<br />

gegeben, dafür bin ich dankbar.<br />

„In Stadtallendorf haben wir wenig über die Unterschiede<br />

gesprochen, ob sie nun sozialer oder religiöser Natur waren.<br />

Da war ein Grundgefühl von Chancengleichheit.“<br />

Und ich mag bis heute diese besondere mittelhessische Landschaft.<br />

Sie ist mir ans Herz gewachsen: Hügelig, waldreich,<br />

voller Abwechslungen – als ich später nach Niedersachsen<br />

kam, habe ich das vermisst.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!