GesteinsPerspektiven 01/18
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FORSCHUNG<br />
19<br />
ANGST VOR STAUB, LÄRM UND VERKEHR? Oft sind es diese Aspekte, über die gesprochen<br />
werden muss.<br />
Jenal et al. 2<strong>01</strong>6). Im Folgenden wird zunächst<br />
eine kurze konfliktbezogene Rahmung<br />
vorgenommen, bevor Hinweise für<br />
die Gesteinsindustrie in den Mittelpunkt<br />
gerückt werden.<br />
Konflikte als Normalität anerkennen<br />
Bis heute hält sich vielfach wacker die<br />
Vorstellung, dass Konflikte vermieden<br />
oder unbedingt gelöst werden sollen.<br />
Diese kollidiert allerdings mit aktuellen<br />
gesellschaftlichen Wirklichkeiten in der<br />
Postmoderne, in der Unsicherheiten und<br />
Uneindeutigkeiten nicht ausbleiben<br />
(können) (dazu Bauman 1999, 2000;<br />
Kühne 2006). Die zunehmende Differenzierung<br />
(bspw. in Organisationen, Interessenvertretungen,<br />
Initiativen, Parteien,<br />
aber auch Studienfächern etc.) bedeutet<br />
einerseits eine zunehmende Komplexität<br />
sozialer Beziehungen, andererseits eine<br />
Zunahme an Sichtweisen und Weltverständnissen<br />
(Luhmann 2<strong>01</strong>7). Da die<br />
Gesellschaft nicht stabil ist, sondern<br />
sich stets wandelt, vollziehen sich ständige<br />
Konflikte um die Prioritäten der Gesellschaft,<br />
anerkannte Deutungen von<br />
Prozessen etc. So wird der Wirtschaftsentwicklung<br />
heute nicht mehr automatisch<br />
ein Vorrang gegenüber Naturschutz<br />
oder Lebensqualität eingeräumt. Belange<br />
des Einzelnen, ob Mensch oder Tier,<br />
sind nicht zwangsläufig beispielsweise<br />
einer schnelleren Verkehrsanbindung<br />
unterzuordnen. Widerstreitende Interessen<br />
befinden sich regelmäßig in Auseinandersetzungen.<br />
Ein Perspektivwechsel,<br />
den unter anderem bereits der mittlerweile<br />
als „Klassiker“ geltende Soziologe<br />
Ralf Dahrendorf in der zweiten<br />
Hälfte des 20. Jahrhunderts anregte,<br />
wird damit gerade auch für Unternehmen<br />
der Gesteinsindustrie bedeutsam.<br />
Dahrendorf (1972, S. 20) plädiert für ein<br />
Anerkennen von Konflikten: „Wer den<br />
Konflikt als eine Krankheit betrachtet,<br />
missversteht die Eigenart geschichtlicher<br />
Gesellschaften zutiefst; wer ihn in<br />
erster Linie „den anderen“ zuschreibt<br />
und damit andeutet, dass er konfliktlose<br />
Gesellschaften für möglich hält, liefert<br />
die Wirklichkeit und ihre Analyse utopischen<br />
Träumereien aus. Jede […] selbstgewisse<br />
und dynamische Gesellschaft<br />
kennt und anerkennt Konflikte in ihrer<br />
Struktur“. Zum einen sind Konflikte in<br />
Gesellschaften unausweichlich (Dahrendorf<br />
1961, S. 198, 1972, S. 21). Zum anderen<br />
erfüllen sie auch eine produktive<br />
Funktion, da durch sie Wandel und Fortschritt<br />
befördert werden: „Alles soziale<br />
Leben ist Konflikt, weil es Wandel ist. Es<br />
gibt in der menschlichen<br />
Gesellschaft<br />
nichts Beharrendes,<br />
weil es nichts Gewisses<br />
gibt. Im Konflikt<br />
liegt daher der<br />
schöpferische Kern<br />
aller Gesellschaft<br />
und die Chance der Freiheit“ (Dahrendorf<br />
1961, S. 235). Alle gesellschaftlichen<br />
Teile streben nach einer Verbesserung<br />
von Lebenschancen, die aber Restriktionen<br />
und Konkurrenzen unterliegen.<br />
Die Gemengelage unterschiedlicher<br />
Interessen, Wünsche und Erwartungen<br />
zu beobachten, zu analysieren und zu<br />
versuchen, nicht nur die eigene Sichtweise<br />
als sinnvoll zu betrachten, kann<br />
dabei helfen, eine Konflikt-Regelung zu<br />
„Aktives Zuhören wird zur<br />
Pflicht und zum Gebot, ebenso<br />
der Versuch, bei emotional aufgeladenen<br />
Situationen kein ‚Öl<br />
ins Feuer‘ zu gießen.“<br />
ermöglichen. Zu beachten ist explizit die<br />
zweite Worthälfte „Regelung“: Ralf Dahrendorf<br />
(1961, S. 225–230, 1972, S. 40–<br />
44; hierzu resümierend Kühne 2<strong>01</strong>7, S.<br />
40–41) hält weder die dauerhafte Lösung<br />
von Konflikten (da diese die Beseitigung<br />
der Ursachen von Konflikten, also letztlich<br />
der Ungleichheit von Menschen bedeutete)<br />
noch deren herrschaftliche Unterdrückung<br />
(da sich diese letztlich in<br />
blutigen Revolutionen auswüchse) für<br />
möglich, sondern setzt auf eine Regelung<br />
von Konflikten. Vier Aspekte sind<br />
für ihn entscheidend:<br />
Gegensätze müssen als berechtigt<br />
anerkannt werden. Es ist in Ordnung<br />
und legitim, dass um Veränderungen<br />
gerungen wird.<br />
Konkrete Konflikte in ihren spezifischen<br />
Ausprägungen sind zu bearbeiten,<br />
nicht deren allgemeine Ausgangspunkte.<br />
Verlässliche Partner müssen aufeinandertreffen,<br />
die in der Lage sind, für<br />
andere zu sprechen und für sie um<br />
Regelungen zu ringen.<br />
Gemeinsame Spielregeln sind aufzustellen<br />
und einzuhalten. Hierzu zählen<br />
Gleichberechtigung, ein Abrücken von<br />
Maximalforderungen, eine Fokussierung<br />
auf den konkreten Konfliktgegenstand<br />
und ein Akzeptieren getroffener<br />
Vereinbarungen (dazu auch Kühne<br />
2<strong>01</strong>8).<br />
Haben sich erst einmal Fronten verhärtet<br />
und treffen statt Gegnern unerbittliche<br />
Feinde aufeinander (hierzu<br />
Mouffe 2<strong>01</strong>4; Weber 2<strong>01</strong>8), wird es zu<br />
einer umso größeren Herausforderung,<br />
zu einer Regelung beizutragen, die für<br />
möglichst viele Beteiligte tragbar erscheint.<br />
Der Weg von einem Gespräch,<br />
das eine Tendenz<br />
zu einer gewissen<br />
Unnachgiebigkeit<br />
aufweist, bis hin zu<br />
einer gewaltsamen<br />
Auseinandersetzung<br />
ist zwar einerseits<br />
ein weiter, andererseits<br />
können unbedachte Schritte<br />
schnell auch zu einer Konflikteskalation<br />
führen, in der das Gegenüber immer<br />
mehr als unmoralisch diskreditiert wird.<br />
Mit diesem in Aushandlung zu kommen,<br />
wird dann weder als möglich noch als<br />
sinnvoll angesehen. Unternehmen der<br />
Gesteinsindustrie brauchen Verlässlichkeit<br />
und Zukunftsperspektiven, Naturschutzverbände<br />
sind auf einen Schutz<br />
von Natur und Umwelt bedacht, Bürger<br />
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