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Berliner Zeitung 19.10.2018

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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 244 · F reitag, 19. Oktober 2018 – S eite 20<br />

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Sport<br />

„Ich mag es nicht, bemitleidet zu werden“<br />

Davie Selke über seine Rückkehr in die Startelf von Hertha, die Kritik an Digitalchef Paul Keuter und die Verantwortung, gemeinsam gegen Rassismus zu kämpfen<br />

Davie Selke geht es wieder<br />

gut, das ist das Wichtigste.<br />

Die schwere Lungenverletzung<br />

hat der<br />

Stürmer von Hertha BSC auskuriert,<br />

die Folgen der Operation überstanden:<br />

„Es ist so, als wäre nichts passiert.<br />

Nur, wenn ich die Narben sehe,<br />

denke ich wieder an die Zeit.“ Nach<br />

fünf Kurzeinsätzen will Selke, 23,<br />

sich wieder für die Startelf empfehlen<br />

–und für größere Aufgaben. Ein<br />

Gespräch über die Nationalmannschaft,<br />

eine besondere Vater-Sohn-<br />

Beziehung und diesen einen rassistischen<br />

Vorfall bei einem Dorffest.<br />

Herr Selke, die Nationalmannschaft<br />

hat sechsmal in diesem Jahr verloren.<br />

Wiebewerten Siedie Situation?<br />

Ichfand den Auftritt gegen Frankreich<br />

sehr gut. DerBundestrainer hat<br />

mutige, junge Spieler gebracht, die<br />

richtig Betrieb gemacht haben. Der<br />

Auftritt kann der Mannschaft Mut<br />

für die Zukunft geben.<br />

Mit Serge Gnabry und Thilo Kehrer<br />

standen zwei Spieler in der Startelf,<br />

mit denen Sie vor einem Jahr U21-<br />

Europameister geworden sind.<br />

Ichfinde es absolut verdient, dass<br />

die Jungs ihre Chance bekommen.<br />

Sie haben Qualität. Es ist ein guter<br />

Wegfür Deutschland, auf diese Spieler<br />

zu setzen.<br />

Auch auf Sie?<br />

Wissen Sie, ich bin eher ein Fan<br />

davon, über Sachen zu sprechen,<br />

wenn sie wirklich anstehen. Meine<br />

Verletzung hat mich leider zurückgeworfen.<br />

Da bringt es nicht viel, über<br />

die Nationalmannschaft zu sprechen.<br />

AufabsehbareZeit will ich erst<br />

mal meinen Platz bei Hertha zurückhaben.<br />

Wenn ich wieder mehr Startelfeinsätze<br />

habe, kann ich mich<br />

durch gute Leistungen für höhere<br />

Aufgaben empfehlen. Ich denke,<br />

dass ich mich letztes Jahr ganz gut<br />

positioniert habe. Jetzt liegt der<br />

letzte Schritt an mir,irgendwann berufen<br />

zu werden.<br />

Wie weit sind Sie denn vom letzten<br />

Schritt entfernt, wieder Stammspieler<br />

bei Hertha zu sein?<br />

Ich bin ready! Im Training und<br />

auch im Testspiel gegen Babelsberg<br />

habe ich gezeigt, dass ich noch weiß,<br />

wo die Kiste steht. Ich bin eher kein<br />

typischer Jokerspieler. Ich will beweisen,<br />

dass ich von Anfang an auf<br />

den Platz gehöre.<br />

Sie leben seit einem Jahr in Berlin. Es<br />

ist das erste Mal ohne Ihren Vater<br />

Die Wand als Trainingshilfe: Davie Selkestärkt seine Muskulatur.<br />

Teddy, mit dem Sie inLeipzig und<br />

Bremen zusammengewohnt haben.<br />

Wiefühlt sich das an?<br />

Er ist nicht nur mein Vater, sondern<br />

auch mein bester Freund. Wir<br />

wissen beide genau, wie der andere<br />

tickt. Wir lachen über die gleichen<br />

Witze, machen gerne Blödsinn. Wir<br />

hatten sehr schöne Zeiten. Aber ich<br />

bin jetzt fünf Jahre mit meiner<br />

Freundin zusammen, sie hat irgendwann<br />

Druck gemacht –dann musste<br />

die Trennung her! Ich vermisse ihn,<br />

aber wir sind täglich in Kontakt. Er<br />

besucht mich regelmäßig.<br />

ZUR PERSON<br />

Wechsler: Allein als Jugendspieler wechselte Davie Selkeachtmal den Klub.Nachdem er in<br />

der Nachwuchsabteilung der TSG 1899 Hoffenheim den Feinschliff erhalten hatte, wechselte<br />

er in der Winterpause der Saison 2012/13 zu Werder Bremen, um am 3. November 2013 im<br />

Trikot der Hanseaten auch sein Debüt in der Bundesligazugeben.<br />

Jäger: Im Sommer 2015 unterschrieb er einen Vertrag beim damaligen Zweitligisten RB Leipzig,war<br />

mit zehn Toren prompt bester Torschütze des Teams, das als Tabellenzweiter auch sogleich<br />

den Aufstieg in die Bundesligaschaffte. Seit 2017 ist er für Hertha BSC auf Torejagd.<br />

CITY-PRESS/MATHIAS RENNER<br />

Wiewichtig war Ihr Vater auch während<br />

der Lungenverletzung?<br />

Ich mag es nicht, bemitleidet zu<br />

werden. Deshalb wollte ich nicht,<br />

dass die Mannschaft mich besucht.<br />

Mein Vater, meine Freundin waren<br />

natürlich da, auch mein Berater, der<br />

wie ein großer Bruder für mich ist.<br />

Ihr Vater ist in Äthiopien geboren,<br />

kam als Baby nach Deutschland. Ihre<br />

Mutter ist Tschechin. Haben Sie mal<br />

Rassismus in Deutschland erlebt?<br />

Zum Glück nur ein einziges Mal.<br />

Da habe ich Rassismus auf einem<br />

Dorffest gespürt. Ichwurde krass angemacht.<br />

Ichbin ein sehr emotionaler<br />

Typ, ich habe sehr sensibel reagiert.<br />

Ich wüsste nicht, wie ich im<br />

Stadion mit rassistischen Äußerungen<br />

umgehen würde.Wir stehen alle<br />

in der Verantwortung: Rassismus<br />

darfeinfach nicht toleriertwerden!<br />

Sie sind auch auf dem Platz ein sehr<br />

emotionaler Typ.<br />

Ich bin sehr ehrgeizig, auch die<br />

Mitspieler bremsen mich manchmal.<br />

Aber so bin ich nun mal. Ichwill<br />

immer gewinnen. Selbst meinen Vater<br />

und meine Freundin lasse ich bei<br />

Brett- oder Kartenspielen nicht gewinnen.<br />

Als junger Spieler hatte ich<br />

meine Emotionen oft nicht im Griff.<br />

Sie haben aber keinen Profiplatzverweis<br />

erhalten.<br />

Ja, meine letzte Rote Karte war in<br />

der U16-Oberliga in Villingen. In der<br />

Jugend bei Hoffenheim hatte ich einige<br />

Gespräche: Wie entspanne ich<br />

mich? Wie gehe ich mit Stress um?<br />

Seitdem kann ich mich beherrschen.<br />

Undheute bin ich der ruhige Davie.<br />

Sprechen wir über die jüngsten Streitthemen<br />

im Verein, zunächst die Digitalisierung.<br />

Im Zentrum der Fankritik<br />

steht Markenboss Paul Keuter.<br />

Finden Sieauch, dass Hertha moderner<br />

werden muss?<br />

Wir verstehen die Fans, die ihre<br />

alten Bräuche nicht verlieren wollen.<br />

Aber wir befinden uns in einer Zeit,<br />

die viele Veränderungen mit sich<br />

bringt. Social Media etwa hat eine<br />

unglaubliche Tragweite.Wir alle sollten<br />

da offen sein für neue Wege.<br />

Wichtig ist ein guter Austausch auch<br />

mit den Fans.Paul will Hertha nichts<br />

Böses, imGegenteil: Er will nur das<br />

Beste und den Verein voranbringen.<br />

Das geht gar nicht, dass irgendwelche<br />

feigen Menschen Sachen an<br />

seine Hauswand schmieren.<br />

Die Hymne „Nur nach Hause“ wurde<br />

für ein Spiel um einige Minuten nach<br />

vorne verschoben. Wiesehen Siedas?<br />

Es ist klar, dass die Fans sauer<br />

sind. DieHymne ist ein Teil vonHertha<br />

und soll es auch bleiben. Ich<br />

finde sie schön, ich bekomme Gänsehaut,<br />

wenn wir einlaufen und alle<br />

singen. Trotzdem muss Hertha auch<br />

noch attraktiver werden. Da geht es<br />

vorallem um jüngereLeute,die noch<br />

nicht wirklich wissen, was Hertha ist.<br />

Wir sind der Hauptstadtverein und<br />

sollten alle offen für Neues sein.<br />

DasGespräch führten Patrick Berger<br />

und Sebastian Schmitt.<br />

Ein Schuss –und Schluss<br />

Arda Turan ist in der Türkei ein gefeierter Fußballstar und Liebling der Mächtigen gewesen. Seit er sich mit einem Popsänger prügelte, rückt auch Staatspräsident Erdogan von ihm ab<br />

VonTobias Schächter<br />

Im„Gizli Kalsın“ feiern Istanbuls<br />

Stars und Sternchen ungestört,<br />

Diskretion ist das Markenzeichen<br />

des angesagten Ladens im noblen<br />

Stadtteil Emirgan auf der europäischen<br />

Seite der Metropole am Bosporus.<br />

„Gizli Kalsın“ heißt übersetzt<br />

„Es soll geheim bleiben“, nichts soll<br />

nach außen dringen, wenn die Prominenz<br />

hier entspannt. Und dennoch<br />

ist nichts geheim geblieben,<br />

was sich Anfang voriger Woche in<br />

diesem Klub abspielte und Arda Turaneine<br />

Anklage wegen sexueller Belästigung,<br />

unerlaubten Waffenbesitzes<br />

und vorsätzlicher Körperverletzung<br />

eingebrachte. Die Istanbuler<br />

Staatsanwaltschaft fordert zwölfeinhalb<br />

JahreGefängnis für den 31-jährigen<br />

Fußballstar. Die bizarren Vorfälle<br />

bilden den Tiefpunkt in einer<br />

Reihe von Skandalen, in die Turan<br />

nach seinem Aufstieg zum besten<br />

Fußballer der Türkei verwickelt war.<br />

An jenem Dienstag war neben Turans<br />

Entourage der in der Türkei berühmte<br />

Popsänger Berkay Sahin, 36,<br />

mit Frau und Freunden im „Gizli<br />

Kalsın“. Laut Medienberichten entzündete<br />

sich ein Streit zwischen Turanund<br />

Sahin, weil der Fußballer die<br />

Frau des Sängers anmachte. Ihrer<br />

Version zufolge habe Turan ihr gesagt,<br />

wenn er nicht verheiratet wäre,<br />

könnte er nicht an einer Frau wie ihr<br />

vorbeigehen. Es kam zu Pöbeleien<br />

und Handgreiflichkeiten zwischen<br />

den beiden Männern, Turan brach<br />

Sahin mit einem Kopfstoß die Nase.<br />

Turan folgte Sahin ins Krankenhaus.<br />

Erwollte –offenbar mit einer<br />

Pistole in der Hand –umVergebung<br />

bitten: „Ich wusste nicht, dass das<br />

deine Frau war.Töte mich!“ Die beiden<br />

stritten weiter, irgendwann soll<br />

sich ein Schuss gelöst haben.<br />

DiePolizei verhörte Turan<br />

drei Stunden lang. Die<br />

Enfant terrible:<br />

Arda Turan<br />

gierungsnahen Istanbuler Klub ausgeliehen<br />

ist.<br />

Eine Rückkehr des Linksaußen<br />

auf den Rasen in der Türkei erscheint<br />

IMAGO/SESKIM PHOTO<br />

nun unwahrscheinlich.<br />

Derzeit büßt der 100-malige<br />

Nationalspieler ohnehin<br />

eine Sperre von 16<br />

Spielen ab, die auf zehn<br />

Partien reduziert wurde.<br />

Derzum Jähzornneigende<br />

Star hatte in einem Spiel<br />

der Süperlig einen<br />

Schiedsrichter attackiert.<br />

Offenbar hat Turan seinen<br />

Aufstieg zum Superstar<br />

nicht verkraftet. Geliebt und verhätschelt,<br />

wurde er später als neureicher<br />

Star verteufelt. In der Bewertung<br />

seiner Fußballer kennt die<br />

Türkei nur Extreme, mit Kritik tun<br />

sich die Stars schwer, immer wieder<br />

Staatsanwaltschaft erhob<br />

Anklage. Sahin soll den<br />

Fußballer auf eine Million<br />

türkischer Lira Schmerzensgeld<br />

(rund 150 000<br />

Euro) verklagt haben. TuransVerein<br />

Istanbul Basaksehir<br />

FK verdonnerte den<br />

Profi zur Rekordstrafe von<br />

2, 5Millionen Lira und behält<br />

sich„weitereStrafen vor, solange<br />

die juristischen Schritte gegenüber<br />

unserem Spieler geprüft werden“.<br />

Auch der FC Barcelona bekundete<br />

sein Missfallen über Turans Verhalten,<br />

der vonBarça an den kleinen, resind<br />

prominente Fußballer in Schlägereien<br />

und Skandale verwickelt.<br />

Turan feierte seinen Durchbruch<br />

bei der EM 2008; die Türkei scheiterte<br />

damals erst im Halbfinale an<br />

Deutschland, das Talent von Galatasaray<br />

war der gefeierte Ziehsohn von<br />

Trainer Fatih Terim. Doch das Verhältnis<br />

ging während der EM 2016 in<br />

Frankreich in die Brüche. Turan,<br />

mittlerweile Kapitän, wurde vonden<br />

Fans als Sündenbock für das Vorrundenaus<br />

verhöhnt. Staatspräsident<br />

Erdogan rügte jene,die ihn während<br />

der Vorrundenspiele auspfiffen. Erdogan<br />

stand auch zu seinem Lieblingsspieler,als<br />

der ein Jahr später einen<br />

Journalisten würgte, der über<br />

hohe Prämienforderungen der Spieler<br />

während der EM berichtet hatte.<br />

Turantratbeleidigt aus der Nationalmannschaft<br />

zurück, weil er nicht<br />

die Unterstützung vonVerband und<br />

von Terim spürte. Unter Mircea Lucescu<br />

feierte er dann ein umstrittenes<br />

Comeback. Der Ruhm stieg diesem<br />

Hochtalentierten endgültig zu<br />

Kopf, als er vonAtletico Madrid zum<br />

FC Barcelona wechselte.Den Durchbruch<br />

schaffte er dortnie.<br />

Nun ist es einsam geworden um<br />

Turan. Auch Erdogan, im Märznoch<br />

Trauzeuge Turans bei dessen Hochzeit,<br />

schweigt. Der ehemalige Fußballer<br />

und TV-Kommentator Ridvan<br />

Dilmen distanzierte sich von dem<br />

tief gefallenen Star.Dilmen gilt als regierungsnah<br />

und Mentor der AKPtreuen<br />

Kicker um Turanund Stürmer<br />

BurakYilmaz, der bei dem Vorfall im<br />

„Gizli Kalsın“ anwesend war. Lediglich<br />

Turans Frau versicherte ihrem<br />

Mann, zu ihm zu stehen. Sie ist im<br />

achten Monat schwanger.

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