Berliner Zeitung 19.10.2018
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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 244 · F reitag, 19. Oktober 2018 – S eite 9 *<br />
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Berlin<br />
Wasder Datenschutz<br />
mit Klingelschildern<br />
zu tun hat<br />
Seite 13<br />
Schöner bauen –Bund der Architekten zeichnet beste Entwürfe aus Seite 10<br />
Schöner Anblick –InLinum sind massenhaft Kraniche gelandet Seite 16<br />
Stadtbild<br />
Maurer mit<br />
Schnapsflasche<br />
Nikolaus Bernau<br />
schaut sich Berlin<br />
im Ephraim-Palais an.<br />
Das Baugewerbe wird sich in den<br />
nächsten Jahren radikal ändern.<br />
Die Digitalisierung macht auch hier<br />
keinen Halt, das beginnt in den Planungsprozessen<br />
der Architekturbüros,<br />
geht über die Kalkulation von<br />
Baukosten, die heute viel genauer geschehen<br />
kann als zu Zeiten des hocheffizienten<br />
Rechenschiebers.<br />
Bald werden wir wohl wie in Japan<br />
Baumaschinen haben, die voll automatisiertkomplizierteste<br />
Fertigungsprozesse<br />
leisten. Wird es dann klassische<br />
Maurer nur noch in der Denkmalpflege<br />
geben, so wie sie scheinbar<br />
realistisch von Theodor Hosemann<br />
1860 auf den Gerüsten des Roten Rathauses<br />
gemalt wurden?<br />
Angeblich stehen sich hier der Rathaus-Architekt<br />
Hermann Friedrich<br />
Waesemann und Ratsmaurermeister<br />
Einsiedler gegenüber.Vielleicht ist es<br />
auch Ratszimmermeister Caspar.Die<br />
Forschenden streiten. In jedem Fall<br />
sehen wir links einen Mann etwas<br />
über 30, dunkle Weste, dichter Bart<br />
und vor allem die Möglichkeit, die<br />
auch damals auf Baustellen eigentlich<br />
verbotene Schnapsflache hochleben<br />
zu lassen, kennzeichnet ihn als<br />
den Entscheider.Gegenüber steht ein<br />
jüngerer Mann, dem zugeprostet<br />
wird, ziemlich flaumbärtig, weicher<br />
im Gesicht und mit einem affigen<br />
Strohhut mit Blumen auf dem Kopf.<br />
Ein Geschenk seiner Liebsten? Oder<br />
ein verkümmerter Baukranz? Jedenfalls<br />
dürfte das Kränzchen Stoff für<br />
herbeWitzegegeben haben.<br />
Es ist eine bürgerliche Idylle,die da<br />
im Ephraim-Palais in der Ausstellung<br />
„Die Schönheit der großen Stadt“<br />
hängt, die 1860, als sie gemalt wurde,<br />
gerade noch so aktuell erscheinen<br />
mochte. Aber die Details zeigen: Es<br />
war ein Bild aus der Frühzeit jener<br />
Baurevolution, die bis heute wirksam<br />
ist: DieZiegelsteine sind genau gleich<br />
groß, haben scharfe Kanten, die Mörtelfugen<br />
sind genau gleich breit. Genau<br />
wie heute die Digitalisierung<br />
wurde auch in der frühen Industrialisierung<br />
nicht zuerst der Arbeitsprozess,<br />
sondern das Arbeitsmaterial<br />
verändert und normiert. Das Rote<br />
Rathaus konnte nur deswegen so<br />
schnell gebaut werden, weil auf der<br />
Baustelle bereits straffer Systembau<br />
herrschte, der wenige Jahre später in<br />
ganz Berlin lange Straßenzüge in wenigen<br />
Monaten entstehen ließ. Diese<br />
freundlich-satte Begegnung zwischen<br />
einem älteren Meister und einem<br />
jüngeren mit Tabakpfeifchen,<br />
die war da längstVergangenheit.<br />
Maurer beim Bau des Roten Rathauses,<br />
1860 STADTMUSEUM<br />
A100<br />
Neue Kantstr.<br />
A111<br />
„Wir müssen die Autos zurückdrängen“<br />
Das Parlament diskutiert die Diesel-Fahrverbote. Koalition will mehr Straßenbahnen und günstige Tickets<br />
VonFrederik Bombosch<br />
Der Diesel-Skandal stellt<br />
die <strong>Berliner</strong> Politik vor<br />
ein Dilemma. Siehat ihn<br />
nicht zu verantworten,<br />
die Schuld liegt bei den Autokonzernen<br />
und bei der Bundesregierung,<br />
die sie jahrelang gewähren ließ. Den<br />
politischen Schaden trägt trotzdem<br />
der Senat. Die Schadstoffe sind<br />
schließlich da und müssen weg.<br />
Nachdem Verkehrssenatorin Regine<br />
Günther (parteilos, für Grüne)<br />
bislang nicht ausreichend wirksame<br />
Maßnahmen erlassen hat, wurde sie<br />
vor einer Woche vom Verwaltungsgericht<br />
zur Grausamkeit gegenüber<br />
vielen Autobesitzern gezwungen:<br />
Das Gericht verhängte Fahrverbote<br />
auf elf Straßenabschnitten ab Sommer<br />
2019, weiterekönnten folgen.<br />
Umsetzung hakt<br />
Alt-Moabit<br />
(Gotzkowskystr.–<br />
Beusselstr.)<br />
Beusselstr.<br />
Kapweg<br />
CHARLOTTENBURG<br />
Hindenburgdamm<br />
REINICKENDORF<br />
Stromstr.<br />
(Bugenhagenstr.-<br />
kurz vorder Turmstr.)<br />
MITTE<br />
Turmstr.<br />
Martin-Luther-Str.<br />
A103<br />
Leonorenstr.<br />
(Kaiser-Wilhelm-Str.–<br />
Saarburger Str.)<br />
Reinickendorfer Str.<br />
Dorotheenstr.<br />
Kolonnenstr.<br />
Invalidenstr.<br />
Manteuffelstr.<br />
Am Donnerstag diskutierte das Abgeordnetenhaus<br />
in seiner Aktuellen<br />
Stunde das Urteil. Die Angriffslinie<br />
der Opposition: Der Senat betreibe<br />
„ideologische, bürgerfeindliche<br />
Anti-Mobilitätspolitik“ (Burkard<br />
Dregger, CDU). Er nutze die Deutsche<br />
Umwelthilfe, die das Land Berlin<br />
verklagt hatte,als „politische Vorfeldorganisation“<br />
(Frank Scholtysek,<br />
AfD). Und der Senat lade das Problem<br />
bei kleinen Leuten ab, die sich<br />
kein neues Auto leisten können –<br />
Fahrverbote seien „auch eine soziale<br />
Frage“ (Henner Schmidt, FDP).<br />
Verteidigungsstrategie der Koalition:<br />
„Das Gericht hat ausdrücklich<br />
anerkannt, dass Berlin den richtigen<br />
Weg eingeschlagen hat“ (Daniel<br />
Buchholz, SPD). DieIndustrie sei gefragt,<br />
nicht nur ihreschmutzigen Autos<br />
nachzurüsten, sondern auch innovative<br />
Produkte wie Elektrobusse<br />
zu entwickeln (Harald Moritz,<br />
Grüne). Und der bisherige Weg<br />
müsse fortgesetzt werden:„Wir müssen<br />
die Autos zurückdrängen“ (Harald<br />
Wolf, Linke).<br />
Nun lässt sich vortrefflich darüber<br />
streiten, wie viel Einfluss die<br />
Prinzenallee<br />
Städte haben, um die Luftverschmutzung<br />
durch den Autoverkehr<br />
zu begrenzen –neben den unpopulären<br />
restriktiven Eingriffen. Siekönnen<br />
den Nah- und Radverkehr attraktiver<br />
machen. Dafür hat die Koalition<br />
Ideen: mehr Straßenbahnen,<br />
günstige Tickets. Die Umsetzung ist<br />
aber an vielen Stellen schwierig: Ge-<br />
TEMPELHOF-<br />
SCHÖNEBERG<br />
Torstr.<br />
Reinhardtstr.<br />
(Charitéstr.–Kapelle-Ufer)<br />
Leipziger Str.<br />
(Bundesrat<br />
bis Charlottenstr.)<br />
A100<br />
Sonnenallee<br />
Friedrichstr.<br />
(Unter den Linden –<br />
Dorotheenstr.)<br />
Brückenstr.<br />
(Köpenicker Str.–<br />
S-Bahnhof Jannowitzbrücke)<br />
Adalbertstr.<br />
Oranienstr.<br />
„Wir erwarten von der Automobilindustrie,<br />
dass Dieselfahrzeuge nachgerüstet werden,<br />
und zwar auf Kosten der Hersteller.Hier muss<br />
das Verursacherprinzip gelten.“<br />
Burkard Dregger, CDU-Fraktionschef, glaubt aber zugleich nicht daran,<br />
dass Nachrüstungen mehr als ein Teil der Lösung sein können.<br />
Frankfurter Allee<br />
Elsenstr.<br />
NEUKÖLLN<br />
Hier müssen Autofahrer<br />
mit Fahrbeschränkungen rechnen<br />
Fahrverbot für Diesel-Pkw und Diesel-Lkw<br />
bis Euro 5abSommer 2019<br />
mögliche Umfahrungsstrecken,<br />
Dieselfahrverbote denkbar<br />
mögliche neue Tempo-30-Bereiche<br />
BLZ/HECHER; QUELLE: SENATSVERWALTUNG FÜR UMWELT, VERKEHR UND KLIMASCHUTZ; EIGENE RECHERCHEN<br />
rade rechneten die Initiatoren des<br />
Radverkehr-Volksentscheids vor,<br />
dass die geplante Erweiterung des<br />
Radwegenetzes beim bisherigen<br />
Tempo wohl noch 160 000 Jahredauernwerde.<br />
An anderen Stellen nutzt der Senat<br />
die Handlungsspielräume nicht.<br />
Dass der Fuhrparkder Landesbehörden<br />
zu großen Teilen überaltert ist,<br />
hätte sich frühzeitiger ändernlassen.<br />
Gerade bestellte die BVG 200 neue<br />
Diesel-Busse. Elektromodelle seien<br />
nicht zu bekommen, erklärte das<br />
Landesunternehmen. Dass in vielen<br />
anderen Städten schon seit Jahren<br />
Gasmodelle unterwegs sind, ist in<br />
Berlin scheinbar unbemerkt geblieben.<br />
„Es ist nicht in Ordnung, im öffentlichen<br />
Auftrag mit Dreckschleudern<br />
durch die Gegend zu fahren<br />
und von Privaten zu fordern, sie<br />
müssten ihre Autos stehenlassen“,<br />
sagte CDU-Fraktionschef Dregger.<br />
Günther sieht Bund in der Pflicht<br />
Verkehrssenatorin Regine Günther<br />
bemühte sich am Ende der Debatte<br />
auf ihre unnachahmlich nüchterne<br />
Weise, die Gemüter zu beruhigen.<br />
Sie betonte, die Richter teilten die<br />
Auffassung des Senats, dass die<br />
Stickoxid-Grenzwerte in Zukunft seltener<br />
überschritten werden.<br />
Sie verwies auch auf den Teilerfolg<br />
des Senats: dass das Gericht<br />
nämlich nicht wie in anderen Städten<br />
flächendeckende Fahrverbote<br />
verfügt hat. Die Koalition werde<br />
auch weiter für eine Verkehrswende<br />
und für saubere Luft kämpfen. Aber<br />
alles hat eben seine Grenzen. „Der<br />
Schlüssel zu einer umfassenden Lösung<br />
liegt weiterhin beim Bund“,<br />
sagte Günther.<br />
NACHRICHTEN<br />
Mutmaßlicher Mörder von<br />
Melanie R. angeklagt<br />
DieStaatsanwaltschaft Berlin hat Anklage<br />
gegen Stoyan A. wegen Mordes<br />
und versuchterVergewaltigung erhoben.<br />
Der38-jährige Bulgaresoll am<br />
25. Mai2018 in einer Grünanlage in<br />
Pankowdie 30-jährige Melanie R. von<br />
hinten angegriffen und versucht haben,<br />
sie zu vergewaltigen. Aufgrund<br />
ihrer heftigen Gegenwehr konnte er<br />
der Anklageschrift zufolge die Tat<br />
nicht vollenden. AusAngst entdeckt<br />
zu werden,soll er die Frau getötet haben.<br />
Anschließend füchtete er nach<br />
Burgos.Am3.Juli konnte der Beschuldigte<br />
verhaftetwerden. Er befindet<br />
sich in Untersuchungshaft. (dpa)<br />
Demonstration<br />
für Seenotretter<br />
DieOrganisation Seebrücke und das<br />
private Bard-College in Pankowunterstützen<br />
eine Solidaritätsdemonstration<br />
für drei inhaftierte Seenotretter,die<br />
am Sonnabend um 13 Uhram<br />
Neptunbrunnen in Mittestartet. Dabei<br />
geht es unter anderem um die am<br />
Bard-College studierende SarahMardini,<br />
eine aus Syrien stammende<br />
Flüchtlingshelferin –eine Tätigkeit,<br />
für die sie vorzweiJahrenmit dem<br />
Medienpreis Bambiausgezeichnet<br />
worden war.Mardini war Ende August<br />
zusammen mit zwei Mitstreitern<br />
auf der griechischen Insel Lesbos<br />
festgenommen worden, wo sie<br />
Flüchtlinge aus Seenot retteten beziehungsweise<br />
an Land versorgten und<br />
betreuten. Ihnen wirdunter anderem<br />
die Mitgliedschaft in einer kriminellen<br />
Organisation vorgeworfen. SeitdemwartetSarah<br />
Mardini in einem<br />
Gefängnis in Athenauf ihrenProzess.<br />
Am gleichen Tagwirdauch in Dublin,<br />
London, Stockholm und Boston unter<br />
demMotto„Rescue the Rescuers“<br />
(Rettet dieRetter) fürdas Trio demonstriert.<br />
(elm.)<br />
Bei 60 000 <strong>Berliner</strong> reicht<br />
Krankenversicherung nicht<br />
In Berlin haben rund 60 000 Menschen<br />
keinen oder nur einen unzureichenden<br />
Krankenversicherungsschutz.<br />
Diese Zahl nannte Gesundheitssenatorin<br />
Dilek Kolat (SPD) am<br />
Donnerstag im Abgeordnetenhaus.<br />
Hauptbetroffene sind laut Kolat<br />
Menschen ohne Papiere, EU-Bürger,<br />
aber auch Deutsche.Darunter seien<br />
viele Selbstständige,die sich<br />
Krankenkassenbeiträge nicht mehr<br />
leisten könnten. (dpa)<br />
Erstes Parklet in Prenzlauer<br />
Berg erweist sich als zu groß<br />
Daserste Parklet an der Schönhauser<br />
Allee in Prenzlauer Berg kann<br />
noch nicht freigegeben werden,<br />
teilte die Senatsverkehrsverwaltung<br />
mit. Diehölzerne Erweiterung der<br />
Gehwegfläche sei laut Plan aufgebaut<br />
worden. Es habe sich aber herausgestellt,<br />
dass der Bordstein anders<br />
verläuft als erwartet. DieDifferenz<br />
führedazu, dass die 2,50 Meter<br />
breite und bis zu zwölf Meter lange<br />
Konstruktion in den Seitenraum neben<br />
dem Radweg hineinrage.Damit<br />
25 Zentimeter Abstandbleibt, müssen<br />
die Seitenwände um sieben Zentimeter<br />
gekürzt werden. Nunsoll das<br />
Parklet, das zunächst Fahrrädernals<br />
Stellplatz dient, im November freigegeben<br />
werden. Dann werden in der<br />
Schönhauser Allee auch die drei restlichen<br />
Parklets aufgestellt. (pn.)