Berliner Zeitung 19.10.2018
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6 <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 244 · F reitag, 19. Oktober 2018<br />
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Made in Berlin<br />
BERLINER BEKANNTE<br />
Vonschwarzen<br />
Revoluzzern<br />
und E-Taxis<br />
Ladesäulen gibt’sgenug<br />
Das liegt allerdings nur an der geringen Zahl von Elektroautos auf Berlins Straßen. Deshalb ist es mit<br />
dem Umstieg auf umweltschonende Antriebe immer noch ein weiter Weg<br />
VonTheresa Dräbing (Text) und Isabella Galanty (Infografik)<br />
NEU IN DER STADT<br />
Der<br />
vernetzte<br />
Handwerker<br />
VonJochen Knoblach<br />
Eswar eine langwierige Suche,für<br />
die die Scouts der Ford Motor<br />
Company aus Detroit Anfang der<br />
20er-Jahre des vorigen Jahrhunderts<br />
in der Stadt unterwegs waren. Am<br />
Ende entschieden sie sich für eine<br />
Lagerhalle am Westhafen. Wo bis<br />
dato per Schiff angeliefertes Getreide<br />
deponiert wurde, sollte eine<br />
Automobilproduktion entstehen.<br />
Fließbandfertigung am Pier des<br />
Nordbeckens.<br />
Dabei ging es um ein Auto,das bis<br />
heute zu den drei meistverkauften<br />
Automobilen aller Zeiten gehörtund<br />
vor allem als der Begründer der modernen<br />
Automobilproduktion gilt:<br />
das T-Modell vonFord. DerTin Lizzy<br />
genannte Viersitzer war das erste<br />
Auto, das auf motorgetriebenen<br />
Fließbändern hergestellt wurde und<br />
somit das Ende des Manufakturbetriebs<br />
sowie den Beginn der Industrieproduktion<br />
im Automobilbau<br />
markierte.Umhöchste Produktivität<br />
zu erreichen, ließ Henry Ford sogar<br />
nur ausschließlich schwarze Exemplare<br />
des T-Modells produzieren, da<br />
dafür seinerzeit nur eine Lackierstraße<br />
benötigt wurde. Ergebnis:<br />
Nachdem die Fertigung in Detroit<br />
am 14. Januar 1914 auf diese industrielle<br />
Produktionsweise umgestellt<br />
war, konnte der Verkaufspreis von<br />
850 auf 370 US-Dollar gesenkt werden.<br />
Undsosollte eben auch in Berlin<br />
produziertwerden.<br />
Bedeutender Automobilstandort<br />
Am 18. August 1925 wurde dafür hier<br />
in Berlin die Ford Motor Company<br />
offiziell ins Handelsregister eingetragen.<br />
Danach bereitete in Moabit ein<br />
37-köpfiges Team die Produktion<br />
vor. In Rekordzeit. Denn nur drei<br />
Monate nachdem Anfang 1926 der<br />
Mietvertrag für die Lagerhallen unterzeichnet<br />
wurde, rollte am 8. April<br />
1926 das erste Ford T-Modell „Made<br />
in Berlin“ am Westhafen vom Band.<br />
Zunächst montierten dort 30Mitarbeiter<br />
die Autos aus Teilen, die aus<br />
den USA importiert wurden. Später<br />
wurden Teile ebenfalls hier gefertigt.<br />
1929 waren bereits 450 Mitarbeiter in<br />
dem Moabiter Ford-Werk beschäftigt.<br />
BisEnde 1930 rollten dortinsgesamt<br />
etwa 37 000 Tin Lizzys vom<br />
Band. Dann war Schluss. Zwar fiel<br />
seinerzeit in Detroit die Entscheidung,<br />
nach England auch in<br />
Deutschland eine eigene große Produktion<br />
aufzubauen, doch war dafür<br />
das Gelände in Berlin zu klein. Es<br />
wurde nach neuen Standorten gesucht.<br />
Am Ende entschied sich Ford<br />
jedoch für Köln, wo das Werk bis<br />
heute besteht und die Deutschland-<br />
Zentrale vonFordihren Sitz hat.<br />
Dabei war Berlin seinerzeit ein bedeutender<br />
Automobilstandort und<br />
Ford ohnehin eher ein Nachzügler.<br />
Denn bereits 1902 hatte die AEG-<br />
Tochter Neue Automobilgesellschaft<br />
an der Ostendstraße in Oberschöneweide<br />
mit der Pkw-Fertigung begonnen.<br />
1907 wurden dort, wo sich bis<br />
zurWende dasWerk für Fernsehelektronik<br />
befand, sogar auch Elektro-Taxis<br />
für Berlin produziert. UndDaimler<br />
fertigte ab 1905 Lastwagen in Marienfelde.<br />
Das 1902 eröffnete Werk ist<br />
heute der älteste produzierende<br />
Standortvon Daimler.<br />
Autos aus Moabit: Ford-Fertigung in einer<br />
Lagerhalle am Westhafen<br />
FORD<br />
Die Dieselkrise führt nicht<br />
automatisch zum Elektroauto-Boom.<br />
Noch ist<br />
der Anteil vonElektroautos<br />
auf Berlins Straßen äußerst gering.<br />
Genau 2007 zugelassene Elektroautos<br />
in Berlin zählte das Kraftfahrtbundesamt<br />
zu Jahresbeginn –<br />
gegenüber rund 863 000 Benzinern<br />
und knapp 308 000 Dieseln.<br />
In der Debatte um den Umstieg<br />
auf umweltschonende Antriebe wird<br />
in aller Regel das zu dünne Netz an<br />
Ladesäulen angeführt. Das Henne-<br />
Ei-Problem lautet wie folgt: Wo nicht<br />
genügend Ladesäulen in naher Umgebung<br />
zur Verfügung stehen, kauft<br />
niemand Elektroautos, und wo es<br />
keine große Anzahl an Elektroautofahrern<br />
gibt, werden keine Ladesäulen<br />
installiert.<br />
Rein rechnerisch gibt es zumindest<br />
in Ballungsräumen von Großstadtregionen<br />
gar keinen Mangel an<br />
Ladesäulen. So hat das Institut der<br />
deutschen Wirtschaft (IW) anhand<br />
der Zahlen der zugelassenen Elektroautos<br />
in Großstädten zu Jahresbeginn<br />
und den bei der Bundesnetzagentur<br />
gemeldeten öffentlich verfügbaren<br />
Ladepunkten je Region errechnet,<br />
wie viele Elektroautos sich<br />
momentan einen Ladepunkt teilen<br />
müssen. In Berlin sind das im Schnitt<br />
3,2 Autos.<br />
„In einigen Städten ist die Abdeckung<br />
bereits so hoch, dass sich gerade<br />
eine Handvoll Autos einen Ladepunkt<br />
teilen“, sagt auch Stefan<br />
Kapferer, Hauptgeschäftsführer des<br />
Bundesverbands der Energie- und<br />
Wasserwirtschaft (BDEW). „Was<br />
fehlt, sind die passenden Fahrzeuge“,<br />
so Kapferer.„Damit Elektromobilität<br />
in Deutschland den<br />
Durchbruch schafft, muss die Autobranche<br />
endlich mehr Modelle auf<br />
den Markt bringen, die den Erwartungen<br />
einer breiteren Käuferschicht<br />
entsprechen.“<br />
Komplizierte Zugänge<br />
Die geringe Auslastung der Ladesäulen,<br />
die zwar positiv für die Verbraucher<br />
ist, hat außerdem zur Folge,dass<br />
die Betriebskosten durch den Verkauf<br />
vonStrom nicht gedeckt werden können.<br />
„Betreiber öffentlicher Ladepunkte<br />
können sich nur über Aufschläge<br />
auf den Abgabepreis refinanzieren“,<br />
heißt es in der IW-Auswertung.<br />
Ladesäulen-Strom ist<br />
durchgehend teurer als der „normale“<br />
Haushaltsstrom. Zwar laden<br />
viele Elektrowagenbesitzer mit eigener<br />
Ladedose zu Hause (und diese<br />
Zahlen sind in der Statistik noch nicht<br />
einmal mit aufgeführt), wer aber auf<br />
das öffentliche System angewiesen<br />
ist, muss nicht nur höhere Kosten in<br />
Kauf nehmen, sondern sich mit Zugangsbeschränkungen<br />
rumärgern.<br />
Anbieter von öffentlichen Ladestationen<br />
verlangen entweder eine<br />
kostenpflichtige Reservierung, eine<br />
spezifische Smartphone-App oder<br />
eine Ladekarte. Außerdem sind die<br />
Zugangsmöglichkeiten uneinheitlich<br />
und häufig kompliziert. Und<br />
Ladesäulen<br />
in Deutschland<br />
6068<br />
Nur öffentlich zugängliche Ladesäulen,<br />
die bei der Bundesnetzagentur gemeldet sind.<br />
Ladesäulen in Berlin<br />
Ladezeiten je nach Batteriekapazität und Ladeleistung<br />
Normalladesäulen (etwa 2bis 4Stunden)<br />
Schnellladesäulen (etwa 30 Minuten Ladezeit)<br />
Wie viele Elektroautos auf einen<br />
Ladepunkt kommen Ausgewählte Städte<br />
Bestand an Elektroautos<br />
Gemeldete Ladepunkte<br />
Berlin<br />
Hamburg<br />
Frankfurt am Main<br />
527<br />
37<br />
Essen<br />
234<br />
62<br />
Dortmund<br />
224<br />
112<br />
Elektroautos pro öffentlichem Ladepunkt<br />
Zugelassene Elektro-Pkw in Berlin<br />
Bestand jeweils am 1. Januar<br />
657 849<br />
1668<br />
1445<br />
328<br />
2013 2014 2015 2016 2017 2018<br />
Bestand an Pkw in Berlin<br />
in Klammern Vergleich gegenüber Vorjahr in Prozent<br />
Benzin<br />
863 140 (+0,7)<br />
Zahl der Förderanträge<br />
für Elektroautos Auswahl<br />
Berlin Hamburg Brandenb.<br />
1218 855 768<br />
626<br />
Saarland NRW<br />
425 14 700<br />
785<br />
Stand<br />
Januar<br />
2018<br />
1387<br />
2007<br />
2,3<br />
3,4<br />
2,0<br />
Diesel<br />
307 976 (–0,3)<br />
Hybrid gesamt<br />
13 337<br />
(+27,6)<br />
Flüssiggas<br />
13 039 (–5,4)<br />
Erdgas<br />
2945 (–0,7)<br />
Elektro 2007 (+20,3)<br />
QUELLEN: KRAFTFAHRT-BUNDESAMT, BUNDESNETZAGENTUR, IW, ADAC<br />
3,2<br />
14,2<br />
2007<br />
auch wenn allein die Anzahl der Ladepunkte<br />
ausreichend erscheint, ist<br />
es auch in Berlin der Fall, dass das<br />
Netz zu den Stadtrandgebieten hin<br />
immer dünner wird. Hier wollte Berlin<br />
Vorreiter sein und startete 2015<br />
das „<strong>Berliner</strong> Modell“. Hauptstädter<br />
können am eigenen Wohn- und Arbeitsortdie<br />
Installation einer öffentlichen<br />
Ladesäule beantragen. Auch<br />
das Abrechnungschaos sollte mit<br />
einheitlichen städtischen Säulen ein<br />
Ende haben. Doch bestehen Konkurrenten<br />
wie Vattenfall und Innogy<br />
am Markt auf eigene Standards und<br />
Preismodelle.<br />
„Wichtiger als der Ausbau der öffentlichen<br />
Ladeinfrastruktur ist<br />
jetzt, die Verfügbarkeiten in anderen<br />
Räumen zu verbessern“, sagt<br />
Gerd Lottsiepen, verkehrspolitischer<br />
Sprecher vom Verkehrsclub<br />
Deutschland (VCD). „Auf Kaufhausparkplätzen<br />
oder in Tiefgaragen von<br />
Neubauten.“ Für die gewerblichen<br />
Nutzer müssen außerdem mehr<br />
Schnelllader auf die Straße. Die Bemühungen,<br />
die Taxiflotte in Berlin<br />
zu elektrisieren,<br />
stößt noch<br />
immer auf Widerstand.<br />
Argumente<br />
dagegen<br />
sind von praktischer<br />
Natur: Die<br />
überwiegende<br />
Anzahl der Ladestationen<br />
hat eine<br />
Leistung von elf<br />
bis maximal 22 Kilowatt.<br />
Abhängig<br />
vom Auto beträgt die<br />
Ladedauer ungefähr<br />
zwei bis vier Stunden. Mit<br />
elf Kilowatt können etwa 65<br />
Kilometer zurückgelegt werden.<br />
Schnelllader mit einer<br />
Leistung von 50kWgibt es in<br />
Berlin hingegen gerade einmal<br />
etwa ein halbes Dutzend.<br />
Dennoch sind es nicht mehr in<br />
erster Linie die geringe Anzahl an Ladesäulen,<br />
die den Elektromobilitätsmarkt<br />
bremsen. Zukünftig geht es um<br />
leichtereZugangsmöglichkeiten, verbesserte<br />
Batterieleistungen und ein<br />
besseres preisliches Angebot an Elektroautos.<br />
Derweil ist in dem im September<br />
veröffentlichten Fortschrittsbericht<br />
der Nationalen Plattform<br />
Elektromobilität das Ziel der Bundesregierung<br />
von einer Million E-Autos<br />
bis 2020 auf Deutschlands Straßen<br />
zuletzt um zwei Jahre nach hinten<br />
verschoben worden.<br />
Tankstellen<br />
in Deutschland<br />
14 152<br />
ohne Autobahntankstellen und reine<br />
Biodiesel bzw. Erdgastankstellen<br />
VonJochen Knoblach<br />
Es sind wohl wirklich diejenigen<br />
Geschäftsideen die besten, die<br />
aus selbst erfahrenem Druck entstehen.<br />
Beim Start-up Openhandwerk<br />
spricht jedenfalls einiges dafür. Die<br />
Firma aus Plänterwald in Treptow<br />
entstand aus einem Handwerksbetrieb<br />
heraus und will die Digitalisierung<br />
im Handwerk nicht nur<br />
schlechthin vorantreiben, sondern<br />
unmittelbar Vorteile bieten. Es wurde<br />
erst in diesem Jahr gegründet und<br />
doch schon mit Auszeichnungen dekoriert.<br />
Der Innovationspreis-IT der<br />
Initiative Mittelstand gehört dazu,<br />
auch im TechBoost Programm der<br />
Deutschen Telekom haben die Jungunternehmer<br />
gesiegt.<br />
Martin Urbanek, Chef und Gründer<br />
des Start-ups,ist bei der Eigendarstellung<br />
nicht gerade bescheiden.Wie<br />
er sagt, könnten Firmen mit seiner<br />
Software und der entsprechenden<br />
App zwei der aktuell wohl größten<br />
Probleme im Handwerk lösen: „Zu<br />
viele Aufträge mit zu wenig Fachpersonal.“<br />
Umsatzsteigerung versprochen<br />
Tatsächlich geht es um Digitalisierung<br />
von Arbeitsprozessen in Handwerksbetrieben.<br />
Dafür hat Openhandwerkein<br />
cloudbasiertes Softwarepaket<br />
entwickelt, mit dem sich<br />
nach Firmenangaben ein ganzer Betrieb<br />
managen ließe –von der Angebotserstellung<br />
und Auftragsannahme<br />
über die Abwicklung bis hin zur Übermittlung<br />
der Rechnung. Zudem<br />
könne durch die Softwareder Kontakt<br />
zum Kunden verbessertwerden. Termine<br />
werden automatisch bestätigt,<br />
die Anfahrt des Handwerkers wird<br />
angekündigt und schließlich auch die<br />
Ausführung bestätigt.<br />
Das Programm samt App hat Urbanek<br />
zusammen mit IT-Experten<br />
und eben eigener Erfahrung entwickelt.<br />
Denn der 43-Jährige ist zugleich<br />
Chef eines Unternehmens, das sich<br />
auf Schimmelbekämpfung in Wohnungen<br />
und Gewerberäumen spezialisiert<br />
hat. Seit 2009 besteht es. Dort<br />
hat er angefangen, für immer wiederkehrende<br />
und zeitraubende Arbeiten<br />
digitale Unterstützungen zu entwickeln.<br />
Das sei der Anstoß für Openhandwerkgewesen,<br />
sagt er.„Wirsind<br />
Kunde der ersten Stunde.“ Mittlerweile<br />
betreue das Unternehmen mit<br />
nur 15 Mitarbeitern rund 600 000<br />
Wohneinheiten.<br />
Der Gründer verspricht viel. Das<br />
Programm spare vor allem Zeit und<br />
erhöhe damit die Effizienz. Im Ergebnis<br />
könne der Jahresumsatz eines<br />
Handwerksbetriebs um 20 Prozent<br />
gesteigert werden, was offenbar verlockend<br />
klingt. Denn immerhin ist<br />
das Software-Paket bereits in 200 Unternehmen<br />
im Einsatz. Einige Firmen<br />
testen das System noch, andere haben<br />
sich vertraglich festgelegt. In diesem<br />
Fall klingelt bei Urbanek im Monatstakt<br />
die Kasse. Denn Openhandwerk<br />
gibt es im Abo. 15 Euro kostet es<br />
pro digital vernetztem Mitarbeiter<br />
und Monat.<br />
Dass Openhandwerk auch bei<br />
den Mitarbeitern einhellig Gefallen<br />
findet, ist indes zu bezweifeln. Denn<br />
zum Paket gehört auch eine sogenannte<br />
„Mitarbeiterterminierung<br />
inklusive Zeiterfassung, Tracking<br />
und Performancemessung“, mit der<br />
sich jeder Mitarbeiter permanent orten<br />
und kontrollieren lässt. „Wir bieten<br />
das an. Ob der Handwerksbetrieb<br />
das nutzt, liegt bei ihm“, sagt<br />
Martin Urbanek.