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WOLL Magazin 2020.4 Winter I Warstein, Möhnesee, Rüthen

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Meine liebe Freundin Dorothea!<br />

Du kannst nicht erahnen, wie sehr ich Dich vermisse.<br />

Deine unbeschwerte Fröhlichkeit, Deine Vertrautheit,<br />

Deine tief empfundene Anteilnahme an meinem Leben.<br />

Nun sind es schon fast zwanzig Jahre her, dass ich mich<br />

von meiner wundervollen und geliebten Freundin in unserem<br />

heimatlichen Eslohe verabschieden musste. Ich erinnere,<br />

wie Du mich damals schwesterlich und ausdauernd in<br />

meinem Entschluss bestätigt hast und mir die Zukunft in<br />

den buntesten Farben ausgemalt hast: „<strong>Warstein</strong> ist nicht<br />

das Ende der Welt. Mit der Kutsche ist man immer in einem<br />

Tag dort.“ Notfalls, so versprachst Du es, würdest Du<br />

auch zu Fuß kommen. Da mussten wir dann doch lachen,<br />

weil das ja viel zu gefährlich ist.<br />

Wilhelm Bergenthal war mir damals schon vorgestellt<br />

worden, er sei, so mein Herr Vater „ein ehrgeiziger, begabter<br />

Unternehmer in der Eisenindustrie“, und mein Bruder<br />

ergänzte „der traut sich was, und der wird Erfolg haben“.<br />

Sie hatten beide recht, auch wenn es meine damaligen<br />

Bedenken, bezüglich seiner Eignung als Gatte und zukünftiger<br />

Vater meiner Kinder nicht unbedingt zerstreute. Es<br />

war ja von Anfang an klar, dass sich die Gabriel-Werke<br />

unserer Familie mit Bergenthals Unternehmen vereinigen<br />

wollten. Damals wusste ich aber noch nicht einmal, was<br />

ein „Stahlraffinierhammer“ ist, und wenn ich ehrlich bin,<br />

weiß ich es bis heute immer noch nicht richtig. Ich weiß<br />

nur, dass es vielen Menschen Lohn und Arbeit gibt, dass<br />

mein Gatte ein guter Unternehmer ist, der sich fürsorglich<br />

um seine Arbeiter kümmert. Inzwischen hat er übrigens<br />

noch einen Reckhammer und ein Achsenwerk gegründet.<br />

Alle diese Werke und Gründungen haben <strong>Warstein</strong> zu<br />

einem bedeutenden Standort der Eisenindustrie gemacht,<br />

und ja, man kann wohl auch sagen, meinen Gatten zu<br />

einem wohlhabenden Mann. Manchmal mache ich mir allerdings<br />

Sorgen: Er arbeitet zu viel, will immer noch mehr<br />

erreichen und neue Ideen verwirklichen.<br />

Dir nur vorstellen kannst. Nein, es geht einmal nicht um<br />

meine Haare oder die unsäglichen Perücken, die mir schier<br />

den Kopf eindrücken und an die ich mich wohl nie gewöhnen<br />

werde. Wie gerne denke ich an die wilde Zeit unserer<br />

Kindheit zurück, als sich die Zöpfe auflösen und im Wind<br />

flattern durften. Wenn ich heute ausgehen möchte, muss<br />

ich mindestens eine Stunde für die Toilette einrechnen und<br />

bin auf die Hilfe meiner Haar- und Ankleide-Mädchen<br />

angewiesen. Und jetzt steht auch noch das neue Heim wie<br />

ein Riesenberg vor mir: Wilhelm hat vor zwei Jahren das<br />

„Haus Kupferhammer“ gekauft. Es ist kein Haus, sondern<br />

eher ein Herrschaftssitz, riesengroß, unzählige Zimmer,<br />

<strong>Winter</strong>garten, alles, was man sich nur erträumen kann. Die<br />

Einrichtung hat Wilhelm überwiegend in meine Hände<br />

gelegt. Wir werden exotische Gewächse haben, Vögel in<br />

Volieren, Skulpturen, Gemälde und das feinste Mobiliar.<br />

Ich denke da an ein Biedermeierzimmer, einen Festsaal,<br />

und Wilhelm hat angedeutet, dass er mich zu meinem<br />

nächsten Geburtstag bestimmt überraschen werde. Ob<br />

er wohl meine dezenten Hinweise der letzten 20 Jahre<br />

für meine Vorliebe florentinischen Mobiliars umzusetzen<br />

gedenkt? Ach, das wäre wirklich eine große Überraschung.<br />

Genug von mir, ich bin gespannt auf Deinen Bericht und<br />

wünsche, dass mein sehnlichster Wunsch nach Deiner<br />

Gegenwart in unserem neuen Haus sich endlich erfüllen<br />

kann. Wilhelm hat als Hausinschrift „Nichts ohne Müh“<br />

gewählt. So lass uns denn gemeinsam Mühe aufwenden,<br />

uns recht bald zu sehen. ■<br />

Deine treu und innigst<br />

verbundene Freundin Therese<br />

Das Florentiner Zimmer im Haus Kupferhammer.<br />

Stell Dir vor, er redet von einem Puddlings- und Walzwerk,<br />

und sogar von einer <strong>Warstein</strong>-Lippstädter-Eisenbahn<br />

träumt er. Wo soll das nur enden?<br />

Die Eisenbahnidee stößt natürlich bei Constantin Wilhelm<br />

und Hubert auf großes Interesse. Beide Söhne sind wohlauf<br />

und gescheite Buben, die uns viel Freude bereiten.<br />

Liebste Dorothea, wenn Du doch jetzt hier sein könntest,<br />

Ich stehe vor den allergrößten Herausforderungen, die Du<br />

<strong>WOLL</strong> <strong>Winter</strong> 2020 - 65

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