Kunstbulletin Oktober 2022

Editorial — Das leere Versprechen der Werbung
«A limited supply of nothing» – was bedeutet das? Wertschöpfung
durch Verknappung ist ein ökonomisches Prinzip. Doch Verknappung
von was? Von nichts? Nichts ist im alltäglichen Sprachgebrauch
meist auf einen bestimmten Kontext bezogen: … nichts
gekauft, nichts gesehen, nichts gehört. Oft geht es um eine Erwartung
und deren Negation. Im Werk von Nora Turato auf unserem
Cover wird die Erwartung zusätzlich gesteigert durch die formale
Präsentation der Aussage: Ein massiver LED-Leuchtkasten aus
Metall und Glas dient als Medium, und die Textzeile auf den pinken
Ellipsen wirkt, als ob sie grad aus einer Sprechblase rutschen würde.
Nora Turato ist eine Meisterin darin, Erwartungen zu schüren
und ihr Publikum dann im Nichts hängen zu lassen – mal installativ,
mal rein typografisch, mal mit ihrem Körper, ihrer Stimme.
Auch wir wollen mit unserer Titelseite jeweils Erwartungen wecken.
Doch ist es gerechtfertigt, nur ein Detail des Werks zu zeigen?
Und sind diese Leuchtkästen überhaupt repräsentativ für Nora Turato,
oder wären es eher ihre Wandmalereien? Und wie immer kämen
auch alternative Bilder aus anderen Beiträgen für die Titelseite
infrage. Die Vorschläge der Grafikerin liegen auf dem Tisch, beim
Abwägen pendeln wir hin und her, und dann wird entschieden.
Jeder Ausgabe gehen endlos viele Entscheidungen wie diese voraus,
und jede könnte auch anders getroffen werden. Entscheiden
heisst Gestalten, und Gestalten macht Freude. Dafür bin ich als
Chefredakteurin dankbar, doch der Moment ist gekommen, meiner
jungen, hochprofessionellen Co-Redakteurin Deborah Keller das
Steuer in die Hand zu legen (→ S. 98), dem motivierten Team zu danken
– und ebenso allen, die das Kunstbulletin mit ihrem Interesse,
Wohlwollen und Engagement fördern. Claudia Jolles
TITELBILD · Nora Turato · a limited supply of nothing, 2021, LED-Leuchtkasten, bedruckter Stoff,
200 x 300 x 6,6 cm, Courtesy Galerie Gregor Staiger, Zürich
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