10.09.2022 Aufrufe

Kunstbulletin Oktober 2022

Unsere Oktober Ausgabe für 2022 mit Beiträgen zu Nora Toratu, Monica Bonvicini, F+F Schule für Kunst und Design, Klodin Erb, uvm.

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Dahm zu spriessen scheint. Erb wendet sich nach der Ausbildung zunächst von diesem<br />

Genre der Kunst ab. Davon zeugt in der Stube des Untergeschosses die älteste<br />

Arbeit von ihr in dieser Ausstellung, die Werkgruppe ‹Plant’s Life› von 1999 – skulpturale<br />

Annäherungen an Zimmerpflanzen aus Stoff, Plastik und Tischchen. Dahms<br />

Plastik ‹Vase mit Papierblumen› fügt sich nahtlos in dieses Ensemble ein, als wären<br />

sie gemeinsam geschaffen worden. Auch wenn sie genrefremd sind, so sind sie doch<br />

aus einem malerischen Gestus zu verstehen und verweisen im Falle von Erb bereits<br />

auf die Serie ‹Flowers for Sale›, 2021/22, ein Konvolut grossformatiger Stillleben in<br />

einer Mischung aus Öl- und Acrylfarben mit aufgesprayten Elementen, die den Betrachtenden<br />

in einem Zustand zurücklassen, als hätte er an Dahms Joint gezogen<br />

und tief inhaliert.<br />

Make him the cutest that I’ve ever seen<br />

«Mr. Sandman, bring me a dream / Make him the cutest that I’ve ever seen», singt<br />

die weibliche, farbige Figur im Video weiter, sie hat sich mittlerweile eine riesige, geschnitzte<br />

Aufsatzmaske angezogen. Halb überdimensionierter Tikibecher, halb schamanistische<br />

Tanzmaske, auf jeden Fall ein Instrument der Transformation. Gleich zu<br />

Beginn der Animation ‹Johnny Woodhead & The Nightmärlis› fliegt die Protagonistin<br />

in der Maske, gekleidet in Leggins mit Leopardenprint, schwarzen Stiefeln und<br />

schwarzem Kleid, aufgehängt an einer abstrahierten Papierwolke durchs All, im Hintergrund<br />

der Erdball. Sie stürzt auf die Erde, mitten in ein Blumenfeld natürlich, rappelt<br />

sich auf, nur um von einer herabstürzenden Fassade eines amerikanischen Hauses<br />

fast getötet zu werden. Gerettet wird sie durch die Tatsache, dass sich das offene<br />

Fenster der Fassade genau an jenem Ort befindet, wo sich die Figur stehend um sich<br />

selbst dreht, und dass Buster Keaton und Steve McQueen als Schutzgeister über sie<br />

wachen. Während wir uns noch vom Schock erholen und sich die Figur munter weiter<br />

um sich selbst dreht, tritt in aller Seelenruhe Klodin Erb ins Bild, schlägt einen Nagel<br />

in den Holzkopf, hängt einen Seidenkimono daran und verschwindet wieder.<br />

Wir sind erst am Anfang, die Figur fährt Auto, traumartige Sequenzen verwandeln<br />

sich in Alpträume, Bomben explodieren im Hintergrund, dieser entpuppt sich jedoch<br />

als Kulisse, alles löst sich auf, wir waren ja nur in einem Märchen. Das Kleid ist jetzt<br />

farbig und geblümt, hübsch, unter der Maske war immer Klodin Erb, die sich dann<br />

selber frisst. Und hier sind wir noch nicht einmal in der Mitte des Fiebertraums, der<br />

in seiner Dichte die rund sieben Minuten, die er eigentlich andauert, weit sprengt.<br />

Das Prinzip der Überlagerung und Appropriation, der Verzerrung, Verkitschung<br />

und grausamen Sezierung, das Verwenden von Fundstücken aus dem Netz, von<br />

Treibgut und Versatzstücken der Kunstgeschichte, die Verquickung von Trivialem und<br />

Abgründigem in einer Sprache, die zugleich zeitgenössisch und anachronistisch ist,<br />

findet sich in diesem Bühnenstück für den Bildschirm genauso wie im Gesamtwerk<br />

der Künstlerin. Kathleen Bühler, Chefkuratorin am Kunstmuseum Bern, nennt Erb in<br />

ihrer Laudatio zur Verleihung des Prix Meret Oppenheim <strong>2022</strong> «eine Vollblut-Malerin<br />

in der postmedialen Phase der Malerei». Und führt aus: «Postmedial ist die Malerei<br />

56 <strong>Kunstbulletin</strong> 10/<strong>2022</strong>

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