10.09.2022 Aufrufe

Kunstbulletin Oktober 2022

Unsere Oktober Ausgabe für 2022 mit Beiträgen zu Nora Toratu, Monica Bonvicini, F+F Schule für Kunst und Design, Klodin Erb, uvm.

Unsere Oktober Ausgabe für 2022 mit Beiträgen zu Nora Toratu, Monica Bonvicini, F+F Schule für Kunst und Design, Klodin Erb, uvm.

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Georg Freuler<br />

Basel/Riehen — Seit über sechzig Jahren<br />

ist Georg Freuler (*1938) mit seiner Leica<br />

unterwegs. In seinen unzähligen Schwarz-<br />

Weiss-Aufnahmen steht der Mensch im<br />

Fokus, individualisiert und subjektiv. Das Werk<br />

entsteht im Kontrast zur zeitgleichen glatten<br />

Hochglanzwelt aus Werbung und Internet, zeigt<br />

Ausgestossene, Drogensüchtige, Prostituierte<br />

in der Schweiz und in den Metropolen der Welt.<br />

Freuler ist ein Vielgereister, der in New York<br />

und Amsterdam mit den Obdachlosen zusammenlebte,<br />

seine süchtige Partnerin empathisch<br />

begleitet. Nie ist er Fremdkörper, sondern stets<br />

im Dialog mit den Porträtierten, keine Aufnahme<br />

ist eine «Gestohlene».<br />

Entstanden ist ein eindrückliches Gesellschaftsporträt,<br />

das auf die Ränder der Zivilisation<br />

fokussiert und die Condition humaine<br />

thematisiert. Die Lichtbilder wecken Anklänge<br />

an berühmte Klassiker wie Edward Steichen,<br />

Diane Arbus, Brassaï oder Robert Frank. Bisher<br />

wurden sie in vereinzelten Ausstellungen gewürdigt,<br />

einige erhielten Preise, doch generell<br />

sind sie noch zu wenig in der Öffentlichkeit<br />

angekommen. Der Kunstraum fächert das Lebenswerk<br />

nun in einer Retrospektive unter dem<br />

Titel ‹Augenblick und Wahrhaftigkeit› von rund<br />

250 Bildern thematisch auf.<br />

Aufgewachsen in einer Arbeiterfamilie in Kleinhüningen,<br />

lernte Freuler zunächst Retuscheur,<br />

später Zeichnen und Farbgestaltung an der<br />

Kunstgewerbeschule Basel. Etwas Malerisches<br />

ist vielen seiner Fotografien geblieben. Ohne<br />

Blitz aufgenommen, leben sie von einer dramatischen<br />

Lichtführung und teilweisen Unschärfen.<br />

In den 1960er-Jahren hält er das Beizenleben<br />

fest. Namenlose, einsame Gestalten sitzen<br />

vor einem Glas ähnlich den melancholischen<br />

Trinkern des jungen Picasso. Auch Treffpunkte<br />

der damaligen Kunstszene Basel dokumentierte<br />

Freuler. Viele der bekannten Grössen aus<br />

Malerei und Musik sind heute verstorben.<br />

Im geschützten Rahmen zeigt die Kuratorin die<br />

intimen Bilder der 1980er-Jahre vom Platzspitz<br />

und Letten. Freuler kocht für seine Klientel,<br />

bringt ihnen Nahrung vorbei. Aus Begegnungen<br />

entstehen berührende Porträts. Bitterkeit, Trotz<br />

und Gleichmut sprechen aus den Gesichtern.<br />

Wunden werden gezeigt, versehrte Körper öffnen<br />

sich dem Kameraauge im Wissen, dass hier<br />

jemand am Werk ist, der sein Gegenüber nicht<br />

blossstellt. Freulers fotografisches Können<br />

beruht auf Einfühlung und präzisem Auslösen:<br />

Der «fruchtbare Augenblick» wird in diesen<br />

ikonischen Bildern auf eindrückliche Weise<br />

erlebbar. IK<br />

Georg Freuler · Junge Fixerin, Zürich Letten,<br />

1980er-Jahre, Schwarz-Weiss-Aufnahme,<br />

Handvergrösserung<br />

Georg Freuler · Frau mit Hund (Beiz im<br />

Gundeldingerquartier), 1980er-Jahre,<br />

Schwarz-Weiss-Aufnahme, Handvergrösserung<br />

→ Kunstraum Riehen, bis 6.11.<br />

↗ www.kunstraumriehen.ch<br />

HINWEISE // BASEL / BASEL/RIEHEN<br />

69

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!