Kunstbulletin Oktober 2022
Unsere Oktober Ausgabe für 2022 mit Beiträgen zu Nora Toratu, Monica Bonvicini, F+F Schule für Kunst und Design, Klodin Erb, uvm.
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Georg Freuler<br />
Basel/Riehen — Seit über sechzig Jahren<br />
ist Georg Freuler (*1938) mit seiner Leica<br />
unterwegs. In seinen unzähligen Schwarz-<br />
Weiss-Aufnahmen steht der Mensch im<br />
Fokus, individualisiert und subjektiv. Das Werk<br />
entsteht im Kontrast zur zeitgleichen glatten<br />
Hochglanzwelt aus Werbung und Internet, zeigt<br />
Ausgestossene, Drogensüchtige, Prostituierte<br />
in der Schweiz und in den Metropolen der Welt.<br />
Freuler ist ein Vielgereister, der in New York<br />
und Amsterdam mit den Obdachlosen zusammenlebte,<br />
seine süchtige Partnerin empathisch<br />
begleitet. Nie ist er Fremdkörper, sondern stets<br />
im Dialog mit den Porträtierten, keine Aufnahme<br />
ist eine «Gestohlene».<br />
Entstanden ist ein eindrückliches Gesellschaftsporträt,<br />
das auf die Ränder der Zivilisation<br />
fokussiert und die Condition humaine<br />
thematisiert. Die Lichtbilder wecken Anklänge<br />
an berühmte Klassiker wie Edward Steichen,<br />
Diane Arbus, Brassaï oder Robert Frank. Bisher<br />
wurden sie in vereinzelten Ausstellungen gewürdigt,<br />
einige erhielten Preise, doch generell<br />
sind sie noch zu wenig in der Öffentlichkeit<br />
angekommen. Der Kunstraum fächert das Lebenswerk<br />
nun in einer Retrospektive unter dem<br />
Titel ‹Augenblick und Wahrhaftigkeit› von rund<br />
250 Bildern thematisch auf.<br />
Aufgewachsen in einer Arbeiterfamilie in Kleinhüningen,<br />
lernte Freuler zunächst Retuscheur,<br />
später Zeichnen und Farbgestaltung an der<br />
Kunstgewerbeschule Basel. Etwas Malerisches<br />
ist vielen seiner Fotografien geblieben. Ohne<br />
Blitz aufgenommen, leben sie von einer dramatischen<br />
Lichtführung und teilweisen Unschärfen.<br />
In den 1960er-Jahren hält er das Beizenleben<br />
fest. Namenlose, einsame Gestalten sitzen<br />
vor einem Glas ähnlich den melancholischen<br />
Trinkern des jungen Picasso. Auch Treffpunkte<br />
der damaligen Kunstszene Basel dokumentierte<br />
Freuler. Viele der bekannten Grössen aus<br />
Malerei und Musik sind heute verstorben.<br />
Im geschützten Rahmen zeigt die Kuratorin die<br />
intimen Bilder der 1980er-Jahre vom Platzspitz<br />
und Letten. Freuler kocht für seine Klientel,<br />
bringt ihnen Nahrung vorbei. Aus Begegnungen<br />
entstehen berührende Porträts. Bitterkeit, Trotz<br />
und Gleichmut sprechen aus den Gesichtern.<br />
Wunden werden gezeigt, versehrte Körper öffnen<br />
sich dem Kameraauge im Wissen, dass hier<br />
jemand am Werk ist, der sein Gegenüber nicht<br />
blossstellt. Freulers fotografisches Können<br />
beruht auf Einfühlung und präzisem Auslösen:<br />
Der «fruchtbare Augenblick» wird in diesen<br />
ikonischen Bildern auf eindrückliche Weise<br />
erlebbar. IK<br />
Georg Freuler · Junge Fixerin, Zürich Letten,<br />
1980er-Jahre, Schwarz-Weiss-Aufnahme,<br />
Handvergrösserung<br />
Georg Freuler · Frau mit Hund (Beiz im<br />
Gundeldingerquartier), 1980er-Jahre,<br />
Schwarz-Weiss-Aufnahme, Handvergrösserung<br />
→ Kunstraum Riehen, bis 6.11.<br />
↗ www.kunstraumriehen.ch<br />
HINWEISE // BASEL / BASEL/RIEHEN<br />
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