Kunstbulletin Oktober 2022
Unsere Oktober Ausgabe für 2022 mit Beiträgen zu Nora Toratu, Monica Bonvicini, F+F Schule für Kunst und Design, Klodin Erb, uvm.
Unsere Oktober Ausgabe für 2022 mit Beiträgen zu Nora Toratu, Monica Bonvicini, F+F Schule für Kunst und Design, Klodin Erb, uvm.
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heute deshalb, weil sich ihre Prinzipien nicht auf Farbmaterial, Leinwand und Pinsel<br />
beschränken. Vielmehr hat sich die Arbeitsweise und Wirkmacht von Malerei auf<br />
andere Medien übertragen. Und so kann alles, was Klodin Erb im Rahmen der Kunst<br />
macht, als Malerei verstanden werden. Auch wenn sie in ihren Videos absurde Geschichten<br />
erzählt, wie diejenige einer Zitrone, die durch verschiedene Räume, Zeiten<br />
und Realitätsebenen rollt. Auch dann nutzt Klodin Erb das Vermögen der Malerei,<br />
Geschichten zu erfinden und eine Welt zu erschaffen, die keiner Plausibilität bedarf.»<br />
«Mr. Sandman, someone to hold (someone to hold) / Would be so peachy before<br />
we’re too old», klingt es mit der Stimme der Malerin weiter, die den Song der Chordettes<br />
von 1954, dem Jahr also, in dem Dahm den Kunstpreis der Stadt Zürich erhielt,<br />
selber intoniert und als Soundtrack ihres Manifestes und Retroperspektive in Videoformat<br />
verwendet. Weibliche Solidarität. Die Verschwesterung mit Meret Oppenheim<br />
und Dahm wird von Erb subtil und präzise eingesetzt. Der selbstbewusste Feminismus,<br />
den sich Oppenheim und Dahm im Kunstbetrieb noch leidvoll erkämpfen<br />
mussten, ist für Erb immer noch wichtig, auch wenn sie ihn spielerischer und freier<br />
darstellen kann. Dass Gleichberechtigung und eine freie Sexualität noch keine<br />
Selbstverständlichkeit sind, weiss sie dennoch.<br />
Someone to hold / Would be so peachy before we’re too old<br />
‹Funny Face›, 2019, eine bewusst simplizistische, symbolistische Erwiderung auf<br />
Hockney oder Willy Fries im Zeitalter der Emojis, zeigt emblematisch einen Baum,<br />
einen angebissenen Apfel und eine selbstbewusste Schlange. Ihre Porträts, etwa<br />
‹Nachtisch 2›, 2013, oder die Serie ‹Orlando›, die auch als Buch publiziert wurde und<br />
in der Ausstellung nur als Vorahnung auftaucht, spielen mit dem Element der Transformation<br />
und der Fluidität. Sie verweisen bei Erb immer auch auf Heiligenbilder, auf<br />
Madonnen und Götter, deutlich bei ‹Angel Blue› von 2018, das mit der ‹Verkündigung›<br />
von Dahm von 1950 an derselben Wand auch aufzeigt, dass die Erleuchtung, die<br />
Trans zendenz mit Schmerz verbunden ist.<br />
Die Freiheit hat ihren Preis, Transformation, Transzendenz und Läuterung ebenso.<br />
Die Arbeit an einem gemeinsamen Raum, sei es Bild- oder Gedankenraum, die Vervielfältigung<br />
des Singulären in eine gemeinsam erlebbare Erfahrung mögen in diesem<br />
Prozess aber lindernd wirken. Das Malen ist ein einsamer Weg, den Erb immer wieder<br />
aufbricht, verändert, adaptiert. In ‹Johnny Woodhead & The Nightmärlies› malt die<br />
Figur in der Maske an verschiedenen Welten, gebiert sich selber aus ihrem Kopf und<br />
ist zugleich Zeus und Athene, spaziert durch Zitate und vervielfältigt sich umstandslos.<br />
Auseinsmachviele, aus Zwei eine Schwesternschaft, aus Drei eine ganze Welt.<br />
Eine einzelne Künstlerin kann viele Rollen einnehmen, wenn sie sich das zutraut, die<br />
Figur auf dem Bildschirm tanzt auf jeden Fall weiter.<br />
Damian Christinger, freier Kurator und Publizist, lebt in Zürich. damian.christinger@gmail.com<br />
→ ‹Zwei Dahmen. Helen Dahm und Klodin Erb›, Helen Dahm Museum, Oetwil am See, bis 31.10.<br />
↗ www.helen-dahm.ch<br />
→ ‹The Sweetest Patriots› (Gruppenschau), Kupper Modern, 24.9.–21.1. ↗ www.kupper-modern.com<br />
FOKUS // KLODIN ERB<br />
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