Je nachdem, wie ein Wort klingt, werden unterschiedliche Assoziationen wach. Doch ein Wort kann auch sinnentleert sein und der kapitalistischen Logik dienen. Diesem Spannungsfeld widmet sich die Künstlerin und Performerin Nora Turato. Derzeit ist bei Gregor Staiger ihre ortsspezifische Installation ‹poor babies so scared of themselves and others› zu sehen. Giulia Bernardi Linien reihen sich der Wand entlang, ziehen sich von unten bis ganz nach oben, grau und unterschiedlich breit. Orientierungslosigkeit stellt sich ein; der Blick versucht den Linien zu folgen, sie zu zählen, rutscht ab, wird abgelenkt. Die grauen Flächen werden von der Konjunktion «but» überlagert, riesig, rot und schemenhaft. Ein Wort, das Sätze verbinden sollte, hier aber allein im Raum steht, nutzlos und zweckentfremdet. An den Wänden der Galerie Gregor Staiger hängen zudem verschiedene Druckgrafiken, die an Werbeplakate denken lassen, diesmal aber nicht das Versprechen von Glück durch den Kauf eines bestimmten Produkts enthalten, sondern Sprüche wie «claim your throne». Sie kommen uns seltsam vertraut vor, könnten sie doch auf jener Tasse stehen, aus der wir morgens unseren Kaffee trinken; uns motivieren sollend, erfolgreich in den Tag zu starten. Dieser Satz wird gleich von einem weiteren flankiert, von «the enthusiast / somewhere between expert and amateur». So gross die einzelnen Buchstaben auch gedruckt sind, so leer an Bedeutung bleibt er dennoch. Wie Worte klingen Diese Worte und Sätze findet Nora Turato im Netz, in journalistischen Artikeln oder literarischen Werken, in Magazinen und Zeitschriften, in Memes und Videos. Jene, die etwas in ihr auslösen, hält sie chronologisch in einem umfangreichen Dokument fest. Sie zeigt es mir, als wir in einem Café sitzen, scrollt mit ihrem Daumen runter und runter und runter. Die schwarzen Buchstaben ziehen an mir vorbei, die vielen Sätze, die ihrem eigentlichen Kontext entrissen wurden. Wer spricht hier? Und zu wem? «Wenn mich ein Satz fasziniert, notiere ich ihn. Das kann alles Mögliche sein, auch so was», sagt Turato und zeigt auf meine Tabakpackung, die vor uns auf dem Tisch liegt. Dort sind Schlagworte wie «innovate» und «transparency is key» fett markiert. «Diese Formulierungen sind doch absurd», sagt sie, schmunzelt, schüttelt ihren Kopf. Seit 2017 entstanden fünf Bücher, sogenannte pools, in denen Turato ihre Notizen sammelt. «Sie sind wie grosse Container, die ich fortlaufend fülle. Sie sind persönliche Journale.» Die Serie setzte sie gemeinsam mit dem Grafiker und Künstler Sabo Day um, den sie während ihres Studiums an der Gerrit Rietveld Academie in Amsterdam kennenlernte. Auf diesen Publikationen basieren denn auch ihre Performances, die dieses Jahr unter anderem im Museum of Modern Art in New York zu sehen waren. Im Rahmen von ‹what is dead may never die› rezitierte Turato Passagen unter anderem aus ‹pool #5›, ihrem letzten Buch. Allerdings geht es in ihren Performances nicht um eine inhaltliche 28 <strong>Kunstbulletin</strong> 10/<strong>2022</strong>
let the mosquito finish, 2021, LED-Leuchtkasten, bedruckter Stoff, 200 x 300 x 6,6 cm (oben); everything you hoped for and everything you feared, 2021, LED-Leuchtkasten, bedruckter Stoff, 200 x 300 x 6,6 cm (unten), Courtesy Galerie Gregor Staiger, Zürich FOKUS // NORA TURATO 29
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