Kunstbulletin Oktober 2022
Unsere Oktober Ausgabe für 2022 mit Beiträgen zu Nora Toratu, Monica Bonvicini, F+F Schule für Kunst und Design, Klodin Erb, uvm.
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Christian Jankowski<br />
Tübingen — Einem urzeitlichen Jäger und<br />
Sammler gleich durchstreift Christian Jankowski<br />
(*1968, Göttingen) in einem frühen Video<br />
von 1992 mit Pfeil und Bogen den Dschungel<br />
der Grossstadt. Seine Beute findet er in den<br />
Kühltruhen und Regalen eines Supermarkts.<br />
Sicherheitshalber erlegt er sie mit seiner<br />
archaischen Jagdgerätschaft noch einmal, man<br />
weiss ja nie.<br />
Der Geniestreich des 23-Jährigen ist kennzeichnend<br />
für Jankowskis Arbeitsweise wie für<br />
die Wahl seiner Themen. Die künstlerische Praxis<br />
des Aktions- und Konzeptkünstlers ist einerseits<br />
interventionistisch und gesellschaftsbezogen.<br />
Andererseits begegnet Jankowski<br />
gerade der eigenen Kultur mit der Neugier und<br />
Distanz des Völkerkundlers. Man hat ihn einen<br />
Ethnologen der Gegenwart genannt und seine<br />
Arbeitsweise als «kritische Feldforschung» beschrieben.<br />
Nicht nur ‹Traveling Artist›, für das er<br />
2018 eine Meisterin des japanischen Kinbaku<br />
ihre Fesselungskünste an sich erproben liess,<br />
oder ‹I was told to go with the flow›, zeigt ihn in<br />
einer Überblicksschau der Kunsthalle Tübingen<br />
als Wanderer zwischen den Kulturen: in einem<br />
räumlichen Sinn, aber auch als neugieriger<br />
Testläufer durch fremde Kulturen.<br />
Als international bekannter und gefragter<br />
Künstler kommt Jankowski viel herum. Oft<br />
setzt er sich in seinen Arbeiten mit Gegebenheiten<br />
vor Ort auseinander. Für ‹Heavy Weight<br />
History›, 2013, führte er in Warschau Sportidole<br />
und Helden der Geschichte zusammen. Zehn<br />
Gewichtheber der polnischen Nationalmannschaft<br />
bat er, auf öffentlichen Plätzen Denkmäler<br />
anzuheben wie das für Ronald Reagan.<br />
Schwer lastet, ablesbar an Mimik und Körperhaltung<br />
der Athleten, Geschichte auf uns …<br />
Für ‹Casting Jesus› liess er Mitarbeiter des<br />
Vatikans 2011 in einer Castingshow den besten<br />
zeitgenössischen Jesus ermitteln. Auch das<br />
Kunstsystem leuchtet Jankowski in Aktionen<br />
und konzeptuellen Arbeiten aus – etwa wenn<br />
er am Beispiel von Martin Kippenberger den<br />
Mythos des Künstler-Heroen unter die Lupe<br />
nimmt oder in der Serie ‹Visitors›, ab 2010, Einträge<br />
in ein Gästebuch zu seinen Ausstellungen<br />
zu Wandinstallationen aus Neon-Leuchtschrift<br />
macht. Ein früher Kommentar lautete: «Please<br />
stop you’re boring me to death». Offensichtlich<br />
hatten der oder die Schreibende keinen Sinn<br />
für Humor und ermangelten überdies eines<br />
Sensoriums für die Freiheit des Denkens und<br />
die Lust, Grenzen zu überschreiten. HDF<br />
Christian Jankowski · Traveling Artist, 2018,<br />
Aktion mit Hängevorrichtung aus Edelstahl,<br />
Seile, Reisegepäck, Rotationsmotor<br />
Christian Jankowski · 2011, Casting Jesus,<br />
Zwei-Kanal-Video, 60’, 16:9, Farbe, Ton,<br />
Italienisch mit englischen Untertiteln<br />
→ Kunsthalle Tübingen, bis 30.10.<br />
↗ www.kunsthalle-tuebingen.de<br />
HINWEISE // STANS / TÜBINGEN<br />
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