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Kunstbulletin Oktober 2022

Unsere Oktober Ausgabe für 2022 mit Beiträgen zu Nora Toratu, Monica Bonvicini, F+F Schule für Kunst und Design, Klodin Erb, uvm.

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Die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema Architektur setzt bei Bonvicini<br />

bereits in den 1990er-Jahren ein, etwa in der Videoinstallation ‹Wallfuckin’›,<br />

1995/96. Da steht ein schlichter schwarzer Monitor in einem ansonsten leeren weis sen<br />

Raum. Auf dem Monitor läuft ein Video, das eine nackte Frau zeigt, die sich an einem<br />

Mauervorsprung selbst befriedigt. Die Frau, deren Kopf nie zu sehen ist, masturbiert<br />

hier, auf und ab geht dabei ihre Lust generierende Bewegung, und stellt so eine «erotisch-libidinös<br />

ansprechende» (Joshua Decter) Beziehung zu der kargen Architektur<br />

her. Ein wenig erinnert diese Szenerie an eine Szene aus dem Film ‹Der letzte Tango<br />

von Paris›, 1972, in der die Schauspielerin Maria Schneider die «Männerehre» des ihr<br />

beim Masturbieren an einer Wand zuschauenden Marlon Brando kränken will. Doch<br />

Bonvicinis Inszenierung fügt dieser, wenn man so will, «feministischen Selbstermächtigung»<br />

noch einen weiteren Aspekt hinzu, nämlich den der Kritik am Betriebssystem<br />

Kunst und der männlichen Dominanz in diesem. Das gelingt der Künstlerin, weil der<br />

hier gefilmte Raum und der Raum, in dem der Monitor steht, sich derart ähneln, dass<br />

der gezeigte und der zeigende Raum kritisch kurzgeschlossen werden.<br />

Klimakatastrophe politisch<br />

Architektur wird in ‹Hurricanes and Other Catastrophes› kaum noch mit feministischen<br />

Fragestellungen in Verbindung gebracht, stattdessen mit der weltweiten Klimakatastrophe,<br />

die derzeit verharmlosend immer öfter als «Klimakrise» bezeichnet<br />

wird. Dazu sei noch einmal die Künstlerin selbst zitiert: «In meiner künstlerischen<br />

Praxis untersuche ich den Klimawandel und die zerstörerischen menschengemachten<br />

Einwirkungen auf die Umwelt. Die Architektur dient mir dabei als ‹Linse›, durch<br />

die Ideologien und Machtverhältnisse sichtbar werden.» Über ihre Werkreihe ‹Hurricanes<br />

and Other Catastrophes› ergänzt sie: «Die Zeichnungen der Häuser in der<br />

Serie ‹Hurricanes and Other Catastrophes› sind also nicht nur eindrucksvolle Repräsentationen<br />

von Naturkatastrophen, sondern auch subtile Reflexionen über die<br />

Stadt als Ort sozialräumlicher Segregation, über die Effekte des Klimawandels auf<br />

unterschiedliche Lebensräume und über die politischen Entscheidungen, die Architektur<br />

und städtebaulicher Entwicklung ihre Funktionen zuweisen.» Entscheidend<br />

bei dieser Auseinandersetzung ist nicht zuletzt, dass Bonvicini eben nicht den jetzt<br />

oft herbeibemühten «positiven Visionen» vertraut, dafür aber die desaströsen Momente<br />

der Klimakatastrophe ins Spiel bringt. Und so hoffentlich warnend-aufklärerisch<br />

ein Bewusstsein dafür schafft, dass die Klimakatastrophe nur noch durch eine<br />

politische Strategie des Verzichtens gerade in den westlichen «Wohlstandsstaaten»<br />

einzudämmen ist, also durch weniger Wachstum, weniger Energieverbrauch, weniger<br />

CO 2 -Ausstoss, weniger Konsum, ja: weniger Wohlstand.<br />

Raimar Stange lebt und arbeitet als freier Kurator und Kunstpublizist in Berlin. Bassist im Art Critics<br />

Orchestra. raimarstange@gmx.de<br />

→ ‹Monica Bonvicini – Hurricanes and Other Catastrophes›, Kunst Museum Winterthur, bis 13.11.;<br />

Publikation in Kooperation mit dem Kunsthaus Graz, Verlag Walther König ↗ www.kmw.ch<br />

FOKUS // MONICA BONVICINI<br />

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