Eva Aeppli — Nachwirkende Kunstgestalt Mit einer grossen Retrospektive, die Resonanz-Werke von Niki de Saint Phalle bis Louise Bourgeois enthält, würdigt das Centre Pompidou in Metz die Schweizer Künstlerin Eva Aeppli, die nachhaltig auf Formensprache und Möglichkeiten zeitgenössischer Künstlerinnen gewirkt hat. Metz — «Keine Puppe, sondern nur/Eine schöne Kunstfigur.» Ob Eva Aeppli diese Zeile kannte? Sie stammt aus Clemens Brentanos Kunstmärchen ‹Gockel, Hinkel und Gackeleia›, das in den 1830er-Jahren die schöne Kunstfigur einer Puppe an Lebendigkeit überlegen darstellte. Genau das sind die teils überlebensgrossen, ab 1965 aus Seide genähten und mit Kapok befüllten, oft düsteren Gestalten von Eva Aeppli (1925–2015): Körper gewordene Begleiterinnen mit Eigensinn. In Metz hat Szenograf Jean Kalman ein an Aepplis besten Freund Daniel Spoerri erinnerndes ‹Musée sentimentale› inszeniert – ‹Vive la mort›, das mit Spoerri 1974 angefertigte ‹Fallenbild› gehört dazu. So wird die Künstlerin im Echo zu Lebensgefährten wie Jean Tinguely, Niki de Saint Phalle oder Emma Kunz präsentiert. Ausserdem treten zeitgenössische Positionen als Cousin:en der Kunstfiguren dieser zeitlebens am Schrecken des Krieges leidenden, bei Amnesty International und mit einer eigenen Stiftung für Menschlichkeit aktiven Künstlerin auf. Und wie es so ist mit Familie: Manchmal drängen sich entfernte Verwandte vor. Im konkreten Fall rücken gleich am Eingang zwei Kohlezeichnungen von Tacita Dean Aepplis ‹Planeten›, Scharnierwerk zwischen Stoff und Bronze, fast zu sehr ins dunkel Romantische. Andy Warhols ‹The Last Supper› von 1986 wirkt angesichts der greulich-vertrauten ‹La Table›, 1965–1967, aufdringlich sinngebend. Aepplis Schaffen war nie dem Ausstellenwollen verhaftet, sie zerstörte viele ihrer Werke. Auch Annette Messagers zweifellos treffende ‹Spectres des Couturières›, die sie 2015 aus schwarzem Stoff als Riesen-Mobile genäht hat, wirken aufgeregt-expliziter als der ruhige Unterton, der Aepplis Figuren durchklingt. Erfreuen Analogien mit Arbeiten von Louise Bourgeois, so hätten vielleicht ins Auge springende Wahlverwandtschaften das nicht allein im Kunstbetrieb spielende Leben Eva Aepplis anders eingeholt. Tim Burton zum Beispiel. Betrachtet man Aepplis ‹Toby Turner›, 1974, scheinen die Puppen des Cineasten in ‹A Nightmare Before Christmas› direkt beeinflusst. Und sein Biopic von Margareth und Walter Keane, die Ende der 1950er weltweit Haushalte mit ‹Big Eye›-Gemälden zierten, porträtiert eine Zucker- Version von Aepplis traurigen Gesichtern der frühen 1950er, etwa ihres Porträts ‹Nuit blanche› von 1953, das übrigens Züge des damals als Filmdekorateur erfolgreichen Bernard Buffet trägt. Der Höhepunkt der Schau, ‹Quelques faiblesses humaines›, sieben Bronzeköpfe, von 1993/94 und 2001, zeigt Aeppli als vom Nachleben des Zivilisationsbruchs beseelte Forscherin an humanen Kunstfiguren. Zeitlos, evozieren sie Menschlich-Allzumenschliches als Groteske. J. Emil Sennewald → ‹Le Musée sentimentale d’Eva Aeppli›, Centre Pompidou-Metz, bis 14.11. ↗ centrepompidou-metz.fr 90 <strong>Kunstbulletin</strong> 10/<strong>2022</strong>
Eva Aeppli · Toby Turner, 1974, Seide, Kapok, Chorhemd, Länge: 200 cm, Courtesy Moderna Museet, Stockholm Eva Aeppli · Nuit blanche, 1953, Stoff, 43 x 55 cm, Courtesy Kunstmuseum Solothurn und Susanne Gyger, Luzern BESPRECHUNGEN // METZ 91
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