Kunstbulletin Oktober 2022
Unsere Oktober Ausgabe für 2022 mit Beiträgen zu Nora Toratu, Monica Bonvicini, F+F Schule für Kunst und Design, Klodin Erb, uvm.
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BESPRECHUNGEN<br />
Andrea Muheim — Gemaltes Tagebuch<br />
Sehr persönlich, auf einen engen Umkreis beschränkt – Andrea<br />
Muheims Malerei scheint zunächst nicht weltbewegend. Doch<br />
das Alltägliche und Zwischenmenschliche in den Stand der Malerei<br />
zu heben, birgt eine emanzipatorische Geste, die neu definiert,<br />
was bedeutungsvoll genug ist, um festgehalten zu werden.<br />
Basel — ‹Malerei als Selbstgespräch›: Der Titel der Einzelausstellung von Andrea<br />
Muheim (*1968, Zürich) in der Villa Renata ist inspiriert von einer Aussage des Künstlers<br />
Lucian Freud, in dem dieser seine Malerei als «rein autobiografisch» bezeichnet,<br />
als Nachdenken über persönliche Beziehungen zu anderen Menschen, aber auch zur<br />
Gesellschaft und zu sich selbst. Im Fall von Andrea Muheim bedeutet das zudem:<br />
Malerei als Festhalten von Momentaufnahmen, Stimmungen und alltäglichen Szenen.<br />
Muheims Bilder wirken oft wie Schnappschüsse, wie ein Tagebuch, ab und an<br />
auch wie Bilder aus einem Fotoalbum. Doch anstatt nur auf den Auslöser zu drücken<br />
und die Fotografien auszustellen, malt Muheim die von ihr ausgewählten Szenen, ein<br />
Prozess, in dem sich die emotionale Verbundenheit zu den porträtierten Personen<br />
spiegelt wie auch die Wertschätzung des Moments.<br />
‹So wie ich bin› – ein 34 x 25 cm kleines Ölgemälde von 2018 zeigt wie viele andere<br />
Bilder in der Ausstellung die Künstlerin selbst. Ihr Gesichtsausdruck wirkt konzentriert,<br />
etwas abwesend, als ob sie auf einen Bildschirm schauen oder Zeitung<br />
lesen würde. Sie sitzt vermutlich in ihrem Atelier oder ihrer Wohnung, am Tisch im<br />
Wohnzimmer oder in der Küche, im Hintergrund ist ein Fenster mit dem Blick auf eine<br />
Stadt zu sehen. Eine alltägliche Szene, frei von Selbstinszenierung und Publikum.<br />
Dass zu Muheims Verständnis von «Selbstporträt» aber auch allerlei andere Personen<br />
gehören, macht die Petersburger Hängung deutlich, in die das Bild eingebettet<br />
ist, wie auch die weiteren Bilder der Ausstellung: Für sie bedeutsame Räume und<br />
Plätze, Freund:innen, Partner und immer wieder ihr Sohn umgeben sie und werden<br />
so zu einem Teil von ihr und ihrem Blick auf die Welt. Zu sehen sind Urlaubserinnerungen<br />
aus verschiedenen Ländern, verstiebte Schneelandschaften und verregnete<br />
Strassen, ein ganzer Saal mit Bildern des schlafenden Sohnes, Bilder von «Ernesto»,<br />
«Chips», «Olga», «John», «Ana», «Lydia» und weiteren der Künstlerin vertrauten, uns<br />
aber fremd bleibenden Personen. Neben viel Malerei gibt es in der Ausstellung auch<br />
kleine Skulpturen, die ebenfalls Menschen darstellen und sehr abstrakt gehalten<br />
sind. Wie Muheims gemalte Figuren wirken sie seltsam abwesend und doch irgendwie<br />
nah – wie die etwas wolkenhafte Erinnerung an eine Person versus die kalte Präzision<br />
einer detailgetreuen Fotografie. Martina Venanzoni<br />
→ ‹Andrea Muheim – Malerei als Selbstgespräch›, Villa Renata, bis 16.10. ↗ www.villa-renata.ch<br />
82 <strong>Kunstbulletin</strong> 10/<strong>2022</strong>