Roethlein B. Das Innerste der Dinge.. Einfuehrung in - tiera.ru
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Kernspaltung und Kettenreaktion<br />
<strong>Das</strong>s Atomkerne des Urans gespalten werden können, wenn<br />
langsame Neutronen sie treffen, wurde 1938 von Otto Hahn<br />
und Fritz Straßmann entdeckt und 1939 von Lise Meitner erklärt.<br />
Es stellte sich bald heraus, daß auf ähnliche Weise die<br />
Atomkerne aller mittelschweren und schweren Elemente<br />
spaltbar s<strong>in</strong>d. Die Uranisotope 233 und 235 sowie die Isotope<br />
239 und 241 des künstlichen Elements Plutonium zeichnen sich<br />
jedoch durch e<strong>in</strong>e Beson<strong>der</strong>heit aus: Bei <strong>der</strong> Spaltung jedes<br />
Atomkerns werden zusätzlich e<strong>in</strong> bis zwei Neutronen<br />
freigesetzt. Dieser Neutronenüberschuss ist die Voraussetzung<br />
dafür, daß e<strong>in</strong>e Kettenreaktion <strong>in</strong> Gang kommt.<br />
Die neu entstandenen Neutronen spalten ihrerseits wie<strong>der</strong><br />
Atomkerne, <strong>der</strong> Prozess setzt sich fort. Die Energie, die bei <strong>der</strong><br />
Spaltung erzeugt wird, erklärt sich durch den so genannten<br />
Massendefekt: Die Ausgangsprodukte haben zusammengenommen<br />
e<strong>in</strong>e etwas größere Masse als die Endprodukte,<br />
die Massendifferenz wurde nach <strong>der</strong> Formel<br />
E = mc 2<br />
<strong>in</strong> Energie verwandelt. Die Spaltprodukte tragen diese Energie<br />
<strong>in</strong> Form von Bewegungsenergie mit sich fort.<br />
Neutronen e<strong>in</strong> und sendet dabei Gammastrahlung aus. Wenn<br />
man dann noch berücksichtigt, daß die Spaltneutronen »thermisch«<br />
se<strong>in</strong> müssen, also auf Zimmertemperatur, ergibt sich<br />
als Bed<strong>in</strong>gung für die Spaltung, daß man die Neutronen erst<br />
abkühlt, »mo<strong>der</strong>iert«. Der Mo<strong>der</strong>ator muss Atomkerne enthalten,<br />
die e<strong>in</strong> ger<strong>in</strong>ges Atomgewicht haben, denn nur leichte<br />
Kerne können Neutronen wirkungsvoll abbremsen. Deshalb<br />
verwendet man dafür Paraff<strong>in</strong> (es enthält viel Wasserstoff),<br />
Graphit o<strong>der</strong> schweres Wasser. Auch <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ator fängt unter<br />
Umständen noch weitere Neutronen auf, so daß schließlich nicht<br />
mehr ausreichend viele übrig bleiben, um e<strong>in</strong>e Kettenreaktion <strong>in</strong><br />
Gang zu setzen. Dazu müsste m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong> Neutron pro<br />
Spaltung e<strong>in</strong>e weitere Spaltung auslösen.<br />
Die Vision, durch Kernspaltungsreaktionen, die sich durch<br />
e<strong>in</strong>e Kettenreaktion selbst aufrechterhalten, Energie zu erzeugen,<br />
war von Anfang an e<strong>in</strong> fasz<strong>in</strong>ieren<strong>der</strong> Gedanke. Deshalb<br />
untersuchten Forscher äußerst genau, unter welchen Umständen<br />
dies möglich se<strong>in</strong> könnte. Die genannten E<strong>in</strong>schränkungen<br />
stellen große Hemmnisse dar, wenn man Uran spalten will. Es<br />
stellte sich jedoch schließlich heraus, daß man mit <strong>der</strong> Wahl<br />
e<strong>in</strong>es geeigneten Mo<strong>der</strong>ators und bei e<strong>in</strong>er Anordnung, die so<br />
groß ist, daß nur wenige Neutronen durch ihre Oberfläche<br />
nach außen verloren gehen können, doch e<strong>in</strong>e Kettenreaktion<br />
aufrechterhalten kann.<br />
In e<strong>in</strong>er Sporthalle <strong>der</strong> Universität von Chicago gelang es<br />
Enrico Fermi und se<strong>in</strong>en Mitarbeitern am 2. Dezember 1942<br />
zum ersten Mal, e<strong>in</strong>e nukleare Kettenreaktion aufrechtzuerhalten.<br />
Dazu hatte man Natur-Uran zusammen mit Ziegeln<br />
aus re<strong>in</strong>stem Graphit aufgeschichtet, e<strong>in</strong> Regelstab, <strong>der</strong> mit e<strong>in</strong>em<br />
Seil am Gelän<strong>der</strong> <strong>der</strong> Tribüne befestigt war, sollte im<br />
Notfall durch e<strong>in</strong>en Axthieb befreit werden und <strong>in</strong> den Reaktor<br />
fallen.<br />
Wohl ke<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Technologie hat die Welt <strong>der</strong>art verän<strong>der</strong>t<br />
wie die Kerntechnik. Sie führte e<strong>in</strong>erseits zur friedlichen<br />
Nutzung <strong>der</strong> radioaktiven Strahlung und <strong>der</strong> Kernenergie, auf<br />
die vielfältige Hoffnungen gesetzt wurden, an<strong>der</strong>erseits aber<br />
auch zur Atombombe und e<strong>in</strong>em perversen Rüstungswettlauf<br />
sowie zu e<strong>in</strong>er weiträumigen Verseuchung <strong>der</strong> Erde mit gefährlicher<br />
Strahlung, zur Bedrohung von Leben und Gesundheit.