Kurzeitung_12-2023
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Gut zu wissen<br />
Über den europäischen Traum<br />
Essay von Dr. Klaus Rose<br />
„I have a dream“ – dieser kurze Satz<br />
von Martin Luther King aus dem Jahr<br />
1963 ging nicht nur in die USamerikanische<br />
Geschichte ein. Siebzehn Jahre<br />
früher hatten jedoch bei uns in Bayern<br />
verschiedene Persönlichkeiten ebenfalls<br />
einen Traum. Nach dem Entsetzen<br />
über die nationalsozialistische Bewegung<br />
und die Zerstörung des Deutschen<br />
Reichs träumten sie von einem föderalen<br />
Europa. Im 1. CSUParteiprogramm<br />
vom November 1946, das noch von der<br />
USBesatzungsmacht genehmigt werden<br />
musste, hieß es:<br />
Wir treten ein für die Schaffung<br />
einer europäischen Konföderation zur<br />
gemeinsamen Wahrung der<br />
christlich-abendländischen Kultur!<br />
Vertreter aus ihrer Mitte entsandt, die<br />
also beides waren, nationale und europäische<br />
Abgeordnete. Da es 1973 eine<br />
Erweiterung um Großbritannien, Irland<br />
und Dänemark gegeben hatte, war eine<br />
Neuordnung unausweichlich. Doch ähnlich<br />
wie heute gab es auch damals „Störenfriede“<br />
– den 1967 von Großbritannien<br />
beantragten Beitritt hatte Frankreichs<br />
Staatschef Charles de Gaulle vehement<br />
abgelehnt.<br />
62,1 Prozent) mit knapp 33 Jahren in<br />
den Bayerischen Landtag eingezogen<br />
war. Ein großer „EuropaKongress“ 1976<br />
in Nürnberg mit Franz Josef Strauß als<br />
Hauptredner unterstrich die gemeinsamen<br />
europäischen Ambitionen.<br />
Das Jahr 1979 war insgesamt noch überschattet<br />
vom Wettrüsten der globalen<br />
Supermächte, USA und Sowjetunion,<br />
und war somit Hoffnung, mit einem stärker<br />
geeinten Europa mehr Bedeutung zu<br />
Wir treten ein für die Schaffung einer<br />
europäischen Wirtschafts- und<br />
Währungsunion!<br />
Knapp 60 Jahre später scheint dieser<br />
Traum Wirklichkeit geworden zu sein.<br />
Doch wie stets bei einem Traum: das Erwachen<br />
ist nicht selten mit Schweißausbrüchen<br />
verbunden.<br />
<strong>Kurzeitung</strong> Gastautor Dr. Klaus Rose, Bundestagsabgeordneter und Staatssekretär a.D., im Bundesverteidigungsministerium<br />
1995 mit NATO-Generalsekretär Javier Solana in Bonn.<br />
Grundsätzliches zum Jahreswechsel<br />
Eine Publikation zum Jahreswechsel<br />
braucht stets auch Grundsätzliches. Da<br />
in einem halben Jahr erneut Wahlen zum<br />
Europäischen Parlament stattfinden,<br />
bietet sich das Thema „Europa“ geradezu<br />
an. Vor 45 Jahren hatte es erstmals<br />
eine Direktwahl gegeben und seither<br />
wurden immer mehr Rechte erkämpft.<br />
Direktwahl hieß in diesem Fall nicht Auswahl<br />
von Kandidaten, aber immerhin<br />
von Parteien, und das ohne FünfProzentKlausel.<br />
Vor 1979 hatten die Parlamente<br />
der damaligen Mitgliedsländer<br />
in der „Europäischen Gemeinschaft“<br />
Die erste „Direktwahl“ 1979 war ein politisches<br />
Grossereignis, auch für Bayern.<br />
Der Bayerische Landtag ließ es sich nicht<br />
nehmen, Fraktionsbeauftragte zur Vorbereitung<br />
zu bestimmen. Die SPD wählte<br />
ihren Fraktionsvorsitzenden Volkmar<br />
Gabert aus. Die CSU wollte, nicht zuletzt<br />
wegen des aufkommenden Spruchs<br />
„Hast Du einen Opa, schick ihn nach<br />
Europa“, einen ihrer jungen Abgeordneten<br />
an die Front schicken, der gleichzeitig<br />
außen, ost und europapolitischer<br />
Sprecher der Jungen Union Bayern war.<br />
Es hatte also mich getroffen, der ich bei<br />
der legendären GoppelWahl 1974 (CSU<br />
bekommen. 1979 war auch der Beginn<br />
des iranischen „Gottesstaats“ und des<br />
Einmarsches der Sowjetunion in Afghanistan.<br />
1980 war WesternSchauspieler<br />
Ronald Reagan USPräsident geworden<br />
und damit bestens geeignet, als „Kalter<br />
Krieger“ am Pranger zu stehen, zumal<br />
damals der westliche AntiKommunismus<br />
verbal zunahm. Es war aber auch<br />
der gleiche Reagan, der 1989 unverblümt<br />
Michail Gorbatschow zur Öffnung<br />
des Brandenburger Tors aufrief.<br />
Mit der fundamentalen Änderung durch<br />
den Vertrag von Maastricht 1993 kam,<br />
nach dem Ende des OstWestKonflikts,<br />
58 KURZeitung<br />
Dezember <strong>2023</strong> / Januar 2024