2014-01
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Erinnerungen<br />
KINDERSPIELE<br />
oder die Vertreibung aus dem Paradies<br />
Der Krieg neigte sich dem Ende zu. Wir waren Kinder,<br />
alle unter zehn Jahren. Die Lebensmittel wurden<br />
knapp und daher rationiert. In den Tageszeitungen<br />
erschienen immer mehrAnzeigen mit schwarzer Umrandung,<br />
die mit folgenden Worten begannen: „Gefallen für Führer,<br />
Volk und Vaterland .....“ Wieder einmal hatten einige Mütter<br />
ihre Söhne verloren, Ehefrauen ihre Männer und Kinder ihre<br />
Väter.Aber ansonsten blieb<br />
alles verhältnismäßig ruhig,<br />
und wir lebten in unserem<br />
Dorf in Schlesien wie<br />
in einer Idylle. Bombardierungen<br />
fanden kaum statt.<br />
Allerdings hörte man in<br />
der Ferne Kanonendonner.<br />
Der kam von Breslau, der<br />
Provinzhauptstadt, die zu<br />
dieser Zeit zur „Festung“<br />
erklärt worden war. Gelegentlich<br />
marschierte eine<br />
Kompanie Soldaten im<br />
Stechschritt über das Kopfsteinpflaster<br />
der Dorfstraße.<br />
Und sie sangen schmissige<br />
Lieder, wie ,,Auf der<br />
Heide blüht ein kleines<br />
Blümelein, und das heißt:<br />
Erika ........ oder „schwarzbraun<br />
ist die Haselnuss, schwarzbraun bist auch Du, ja bist<br />
auch Du, schwarzbraun muss mein Madel sein, gerade so wie<br />
Du....“ Als dann der 8. Mai 1945 herankam, war der Krieg<br />
zu Ende. Im Dorf und auch in den Bezirksstädten, wie in der<br />
Kreisstadt fanden keine Kriegshandlungen mehr statt. Man<br />
hörte nur das Rattern der Panzer auf dem Kopfsteinpflaster.<br />
Aus den Häusern der Straßen hingen weiße Bettlaken, um<br />
anzuzeigen, dass sich die Bevölkerung ergibt. So ging der<br />
Einzug der Russen mehr oder weniger ruhig vonstatten, bis<br />
auf ein paar Plünderungen und Vergewaltigungen dort, wo<br />
sich Frauen außerhalb ihrer Häuser zeigten. Die Menschen<br />
kamen in größeren Häusern zusammen, um so in Gesellschaft<br />
von anderen Menschen mehr Schutz zu finden.<br />
Mutter hatte sich meinen Bruder und mich vorgeknöpft<br />
und uns eindringlich beschworen, ab sofort keine Soldatenlieder<br />
mehr zu singen, da der Krieg ja nun aus sei. Das<br />
versprachen wir ihr hoch und heilig.<br />
In unserem Dorf war eine Hundestaffel eingezogen. Sie<br />
führten bootartige Schlitten mit, die im Winter Kufen hatten und<br />
im Sommer auf kleinen Rädern liefen. In diesen „Booten“ saßen<br />
die Soldaten und wurden von Hunden gezogen. So etwas findet<br />
heute in Alaska beim großen jährlichen Hundewettrennen statt.<br />
„Soldatenspiel“, ein Kriegsbilderbuch für kleine Kinder,<br />
das im Dritten Reich entstanden sein soll.<br />
Die Soldaten von damals waren Männer mit brauner<br />
Haut und Schlitzaugen aus Jakutien oder anderen sibirischen<br />
Provinzen. Manchmal büxte einer der Hunde aus und<br />
kam in unseren Garten. Wir spielten dann gerne mit dem<br />
jeweiligen Hund, der uns schweifwedelnd begrüßte.<br />
Die Kinder im Dorf rotteten sich zusammen und spielten<br />
miteinander. Damals war es üblich, dass Kinder Schürzen<br />
trugen, um ihre Kleidung<br />
zu schonen. Die<br />
Mädchen trugen eine<br />
Art kleiner Schwesternschürzen.<br />
Auf dem Kopf<br />
hatten sie eine Rolle, die<br />
mittels Kamm aufgesteckt<br />
wurde, und darauf<br />
war eine weiße Schleife<br />
befestigt, die man im<br />
Volksmund „Propeller“<br />
nannte. Die Jungen trugen<br />
bunte Schürzen mit<br />
abgerundeten Ecken, die<br />
im Nacken und auf dem<br />
Rücken mit einem Knopf<br />
geschlossen wurden und<br />
vorn große halbrunde<br />
Taschen hatten. Eines<br />
Tages kamen die Kinder<br />
im Dorf auf die Idee, sich<br />
von Holzabfällen aus dem Sägewerk „Gewehre“ zu schnitzen.<br />
Der Koppel wurde aus einem abgeschnittenen Teil von<br />
Mutters Wäscheleine gebildet und mit Draht befestigt.<br />
So zogen wir eines Tages im Stechschritt durch die<br />
Dorfstraße und sangen das Kinderlied: „Ein Schneider<br />
fängt ‘ne Maus, ein Schneider fängt‘ne Maus, ein Schneider<br />
fängt ‘ne Mausemaus, mi-ma-Mausemaus, ein Schneider<br />
fängt ‘ne Maus.“ Wir dachten sehr wohl daran, dass Mutter<br />
uns verboten hatte, Soldatenlieder zu singen, aber das Soldatenspielen<br />
hatte sie uns ja nicht verboten. So marschierten<br />
wir bis zur Steinbrücke, die über das Flüsschen führte,<br />
das wir Baache (Bach) nannten. Jetzt hatten wir schon den<br />
Gasthof schräg gegenüber im Blickwinkel, der damals eine<br />
russische Kommandantur war. Davor standen lachende russische<br />
Soldatinnen. Sie waren kurze, stämmige Frauen mit<br />
großem Busen, auf den sie stolz waren. Nun kamen sie mit<br />
ernster Miene auf die Brücke zu und zwangen uns zu kapitulieren.<br />
Sie nahmen uns die „Gewehre“ ab, zerbrachen sie<br />
über dem Knie und warfen sie in den Fluss. Dann befahlen<br />
sie uns, nach Hause zu gehen zu Madka und Babuschka.<br />
Damit war dann auch für uns Kinder der Krieg zu Ende.<br />
Elisabeth von Schmidtsdorf<br />
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