Editorial - Hochschule Hannover
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Johann und das Biest aus dem Cyberspace:<br />
Eine optimistische Fortschrittsutopie<br />
Der Einfluss der digitalen Medien<br />
ist prägend für unser aller Leben,<br />
für unser Lebensgefühl und damit<br />
für unsere Lebenseinstellung.<br />
Unsere Zivilisation ist von einer<br />
Wende ergriffen, die in ihrem<br />
Ausmaß mit dem Aufkommen<br />
der Schiffe oder der Schrift vergleichbar<br />
ist. Niemand wird den<br />
Fortschritt verhindern, keiner<br />
kann fliehen. Die Ausrichtung<br />
des Internets nach kommerziellen<br />
Interessen ist unverkennbar. Die<br />
Globalisierung erfordert neue<br />
Regeln zum Wohle aller. Wie<br />
können wir anders sein? Was ist<br />
Conk beobachtete Johann von<br />
oben. Er flog eine spiralförmige<br />
Runde über seinen Kopf,<br />
gerade soweit entfernt, dass<br />
Johann das hohe Surren der<br />
Flügel nicht mehr hören konnte.<br />
Conk folgte der Choreographie<br />
des menschlichen<br />
Totentanzes. Die Berichterstattung<br />
über Lebenserwartung<br />
und Lebensverlängerung wies<br />
ohnehin nur auf die Endlichkeit<br />
der Lebenszeit hin. Wie masochistisch die Menschen<br />
doch waren! Und der Jugendlichkeitswahn im<br />
menschlichen Schönheitsideal war nichts anderes als<br />
die Flucht davor. Eine gelassenere Lebensphilosophie<br />
mit dem Genuss der Gegenwart zerrann im ewigen<br />
Gejammere um das Morgen.<br />
„Der Gott der Fliegen hat seine Hand im Spiel, aber<br />
das kann mir nur recht sein.“ Conk schwirrte wie<br />
spectrum 2/2003 • fachbereiche s. 52<br />
anders? Und worin besteht unser<br />
Veränderungspotenzial? Der<br />
mentale Fortschritt des Menschen<br />
ist Bedingung für die Weiterentwicklung<br />
moderner Technologien.<br />
Diese Kernthese bildet die Basis<br />
der hier entworfenen Fortschrittsutopie.<br />
Johann, der Protagonist meines<br />
Essays mit fabelähnlichen Zügen,<br />
hat sich in die Abgeschiedenheit<br />
der gascognischen Hügellandschaft<br />
Frankreichs zurückgezogen.<br />
Inspiriert durch die reale, ihn<br />
umgebende Natur mit ihren<br />
Tieren und Pflanzen setzt ein<br />
innerer Monolog über uralte,<br />
zutiefst menschliche Begriffe wie<br />
Zufall, Zeit und Glück ein. Die<br />
Stürme der Erneuerung gehen<br />
allerdings auch über Johann nicht<br />
ohne Blessuren hinweg.<br />
Veröffentlicht wurde die Publikation<br />
in der Reihe rororo science<br />
im Rowohlt Taschenbuch Verlag<br />
im Dezember 2002. Das Lektorat<br />
hatte Angelika Mette, die fachliche<br />
Beratung der Reihe Eva<br />
Ruhnau von der Ludwig-Maximilians-Universität<br />
München.<br />
Textauszug<br />
„Johann und das Biest aus dem Cyberspace“ – Etappe 3: Körperlichkeit und Unendlichkeit<br />
ein Blitz davon, ohne dass Johann eine Idee hatte,<br />
was um ihn geschah.<br />
Virus, Klon oder Maffia-Mücke? Fest stand, dass<br />
Conk Johann aggressiv und unabwendbar angriff.<br />
Das tyrannische Geschöpf machte sich bei Tagesanbruch<br />
unsichtbar, tauchte nachts wieder auf und<br />
stürzte sich wie ein Vampir auf Johann. In seiner Blutrünstigkeit<br />
attackierte er ihn vorzugsweise zwischen<br />
Zeige- und Mittelfinger oder zwischen den Zehen,<br />
wo die Haut besonders fein und durchlässig war.<br />
Conk war winzig, er konnte durch die Telefonleitung<br />
schlüpfen, wenn er wollte. Conk war nicht von<br />
dieser Welt. Für ihn gab es keinen Unterschied zwischen<br />
physischer Körperlichkeit und synthetischem<br />
Leben. In gewisser Weise war sein Verbleib im Internet<br />
eine Fiktion im Realen. Wenn Conk nachts um<br />
Johann herumschwirrte, war er real. Wenn er sich<br />
im Netz aufhielt, war er eine Simulation. Das bedeutete<br />
jedoch keinesfalls, dass er selbst sich in dieser