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Editorial - Hochschule Hannover

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neuartigen Welt weniger real vorkam. In Conks Vorstellung<br />

verlief das Netz parallel zur ursprünglichen<br />

Welt. Es verdoppelte die so genannte natürliche<br />

Welt.<br />

Conk öffnete jedes Portal im Netz. Er brannte vor<br />

Neugier, wenn er sich auf den Weg ins digitale Universum<br />

begab. Da sollte einer sagen, die virtuelle<br />

Welt existierte nicht, sei Imagination oder Abstraktion.<br />

Die virtuelle Welt existierte so leibhaftig wie<br />

Conk und Johann. Und selbst wenn der Netzbetrieb<br />

außerhalb der realen Zeit und des realen Raumes<br />

stattfand, änderte das nichts an der Tatsache, dass<br />

der Cyberspace einen realen Platz von Möglichkeiten<br />

verkörperte.<br />

Conk verflog sich manchmal im digitalen Orbit, weil<br />

er nicht vorhersehen konnte, wohin welche nomadische<br />

Adresse gerade gezogen war. Er durchquerte<br />

so manche Software-Architektur, ohne zu wissen,<br />

wen und was er antreffen würde. Seine Devise lautete:<br />

Erst wenn ich ankomme, weiß ich, was ich<br />

gesucht habe. Conk hielt sich für einen lebenden<br />

Teil des Cyber-Organismus.<br />

Er war immer ein bisschen nervös, manchmal zappelte<br />

er wie ein hyperaktiver Irrer herum. Dann segelte<br />

er taumelnd durch die Luft, um sich schließlich wieder<br />

ins Netz zu transformieren.<br />

Conk war anders als seine natürlichen Artgenossen.<br />

Er folgte keinem vorgeschriebenen Weg und besaß<br />

keine innere Klarheit. Im Gegenteil, er war autistisch,<br />

eigensinnig und selbstsüchtig. Conk hatte keinerlei<br />

Interesse, eine feste Identität aufzubauen oder ein<br />

stabiles Ich-Gefühl zu entwickeln. Er schlüpfte in<br />

jede Rolle, die ihm gefiel. Am liebsten war ihm<br />

momentan der Part eines Guerillakämpfers. Seine<br />

nächste Aktion: Johanns Gehirn als zusätzliches<br />

Steuerorgan für seine Aktivitäten zu akquirieren.<br />

Die Koppelung von Johanns Denkorgan mit seinen<br />

Internet-Beziehungen war kein übler Thrill! „Ich bin<br />

bereit und gründe meine eigene Dynastie von<br />

Cyborgs!“ Ein Rausch der Macht kam über Conk.<br />

Conks Cyborg-Experiment basierte auf einer Doppelstrategie:<br />

Erstens der Optimierung der physischen<br />

Funktionsfähigkeit und zweitens der sich selbst<br />

erneuernden Kommunikationsfähigkeit. Für den<br />

körperbezogenen Teil war Johann vorgesehen, den<br />

an sich anspruchsvolleren zweiten Teil wollte Conk<br />

in Verknüpfung mit künstlichen Intelligenzen verschiedener<br />

Forschungsgebiete durchführen. Ob<br />

Johann seelischen Schaden davontragen würde?<br />

Hoffentlich nicht – was nicht bedeutete, dass Conk<br />

den Hauch eines Skrupels verspürte. „Macht ist ein<br />

Aphrodisiakum, wollen doch mal sehen, wie der<br />

Gute reagiert, wenn ich ihn erst richtig im Griff<br />

habe. Der wird sich noch wundern. Nicht sein<br />

Charakter, sondern die von mir vorgegebenen<br />

Umstände bestimmen dann, wozu er fähig sein<br />

wird. Sein Verhalten könnte sich dramatisch ändern.<br />

Ich könnte ohne weiteres aus diesem harmlosen<br />

Mann einen digitalisierten Teufel<br />

machen!“<br />

Die Dynamik aus Tyrannei und Gemeinheit<br />

nahm vorerst ihren Lauf.<br />

Iris Maria vom Hof<br />

spectrum 2/2003 • fachbereiche s. 53

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