Spielzeitheft 2012/13 ERFOLG - Theater Bielefeld
Spielzeitheft 2012/13 ERFOLG - Theater Bielefeld
Spielzeitheft 2012/13 ERFOLG - Theater Bielefeld
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
in diesem Jahr stellt sich das <strong>Theater</strong> <strong>Bielefeld</strong> mit dem<br />
Spielzeitmotto »Erfolg« einem allgegenwärtigen Thema.<br />
Erfolg schillert, jeder strebt ihn an, er macht schön,<br />
glücklich und begehrenswert. Alle wollen Anerkennung,<br />
Gelingen, Glück, Sieg, den ersten Preis, das<br />
große Los, Beförderung, Gehaltserhöhung, Wachstum,<br />
Weiterentwicklung, Aufschwung. Im <strong>Theater</strong> sieht der<br />
Idealfall so aus: Die Vorstellungen sind ausverkauft, der<br />
Haushalt stimmt, alle Beteiligten haben ihre künstlerischen<br />
Ziele verwirklicht, der traditionelle Anspruch an<br />
Bildung und Unterhaltung wurde erfüllt, die dem Stück<br />
anhaftenden Vorstellungen wurden werkgetreu umgesetzt,<br />
jeder einzelne Zuschauer hat genau das Erwartete<br />
bekommen und wurde zugleich lustvoll überrascht,<br />
bereichert und zum Nachdenken über ganz neue Aspekte<br />
angeregt; die Gegenwart wurde abgebildet und<br />
zugleich kritisch durchleuchtet; die Inszenierung ist ein<br />
Publikumserfolg, erhält hymnische Kritiken, vereinbart<br />
künstlerischen, finanziellen und persönlichen Erfolg –<br />
summa summarum: alle sind glücklich, keiner meckert,<br />
jeder kann ruhig schlafen und denkt dabei beseelt über<br />
die großen Widersprüche unserer Welt nach. Schön<br />
wär’s, aber leider lassen sich all diese Erfolgskriterien<br />
schwer vereinbaren. Liebes Publikum, das <strong>Theater</strong> <strong>Bielefeld</strong><br />
versucht trotzdem, all dem gerecht zu werden,<br />
l i e b e s<br />
publikum,<br />
aber wie Sie aus eigener Erfahrung wissen, kann man<br />
schlecht gleichzeitig auf allen Hochzeiten tanzen.<br />
gutes theater ist erfolgreiches<br />
theater, erfolgreiches theater<br />
ist gut.<br />
Erfolg auf ganzer Linie ist das unerfüllbare Gebot der<br />
Stunde. Die Forderung nach Erfolg ist gesellschaftlich so<br />
dominant, dass man förmlich gezwungen ist, in jedem<br />
einzelnen Lebensbereich zu glänzen. Wir sollen erfolgreich<br />
lernen und lieben, mit Erfolg Karriere machen und<br />
Kinder großziehen, uns selbst und andere erfolgreich<br />
managen, attraktiv und gebildet, reich und beliebt sein.<br />
So entsteht für jeden Einzelnen von uns ein enormer<br />
Druck, umfassenden Zielvorgaben zu entsprechen, die<br />
sich aber realistisch betrachtet nicht einlösen lassen.<br />
scheitern ist die regel,<br />
erfolg die ausnahme.<br />
Um dem zu entkommen, könnte es hilfreich sein, das<br />
Scheitern in den Erfolgsplan zu integrieren. Machen<br />
wir uns nichts vor: Angesichts der gesellschaftlichen<br />
Komplexität sind die Voraussetzungen des Erfolges<br />
unübersichtlich und die Umstände seiner Erfüllung unwägbar.<br />
Immer wieder drängt sich Scheitern unerwartet<br />
und vielfältig auf, sei es als die Verlierer im Wettkampf,<br />
als Derangierte und Prekäre, als Dritte Welt,<br />
als unternehmerische Insolvenz oder ganz einfach: als<br />
Inszenierung, die den Erwartungen nicht entspricht.<br />
die alte frage nach<br />
dem guten leben beantwortet<br />
sich heute durch erfolg.<br />
Ist die Unterscheidung zwischen Erfolg und Misserfolg<br />
überhaupt sinnvoll? Ist sie hilfreich zur Bestimmung<br />
der eigenen Lebenssituation? Die Logik<br />
des Immer-mehr-und-immer-besser hat einen Dämpfer<br />
bekommen. Brauchen wir – gerade in Zeiten wirtschaftlicher<br />
Anspannung – mehr Freiheit von der<br />
Erfolgsbestimmtheit? Die mit dem Streben nach Erfolg<br />
verbundene Kosten-Nutzen-rechnung erscheint<br />
in vielen Lebensbereichen fragwürdig. Freiheit, Gerechtigkeit,<br />
Liebe und Freundschaft lassen sich nicht<br />
kalkulieren, sie entziehen sich dem Erfolgsdenken.<br />
4 5<br />
Der zwischenmenschliche Bereich bleibt zum Glück<br />
unberechenbar.<br />
was ist gut und was ein erfolg?<br />
Erfolg wird erst durch die zu Grunde liegenden Maßstäbe<br />
präzisiert, und jeder hat die Freiheit, diese selbst<br />
zu bestimmen. Wir können untersuchen, herausfinden<br />
und entscheiden, was wir als Erfolg werten möchten.<br />
Wir können unsere eigenen Erfolgskriterien entwickeln.<br />
In dieser Spielzeit werden wir uns den Fragen nach<br />
Gründen für Erfolg und Scheitern stellen, wir werden<br />
Helden und Verlierer beobachten, Glanz und Versagen<br />
entdecken und uns gemeinsam mit Ihnen auf die<br />
hoffentlich erfolgreiche Suche nach Alternativen zum<br />
Kosten-Nutzen-Kalkül begeben.<br />
Ihr Michael Heicks<br />
Intendant