22.01.2013 Aufrufe

Am Scheideweg - FWF

Am Scheideweg - FWF

Am Scheideweg - FWF

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

» Stadler Wenn Sie bestimmte Komponisten<br />

bzw. Kompositionen bevorzugen oder schöner<br />

finden, ist das Ihr subjektiver Geschmack<br />

oder steckt das im Werk selbst?<br />

» Widmer Das ist vielleicht eine subjektive<br />

Präferenz meinerseits für bestimmte Konstruktionsprinzipien,<br />

die in der Musik feststellbar<br />

sind. Zum Beispiel bei Beethoven-<br />

Klaviersonaten, die ein unglaubliches Wunderwerk<br />

sind, da kann ich auch teilweise<br />

erklären, warum das so ist. Die spezifische<br />

Beethoven'sche Kompositionsweise, wie er<br />

Motive entwickelt und verdichtet – das kann<br />

ich in dem Fall daran festmachen. Es gibt<br />

aber viele Dinge, die verschiedene Musikstücke<br />

interessant machen.<br />

Allerdings muss man diese Dinge erst erkennen<br />

und hören. Deshalb ist die entsprechende<br />

Erfahrung wichtig, je mehr<br />

man von Musik versteht, desto mehr kann<br />

man bestimmte Dinge erkennen.<br />

» Stadler Das heißt, Musik zu verstehen<br />

ist auch eine intellektuelle Leistung?<br />

» Widmer Absolut. Manche Leute glauben<br />

ja, je mehr man Musik intellektuell durchdringt,<br />

desto weniger kann man sie genießen.<br />

Ich glaube nicht, dass diese beiden<br />

Dinge gegenläufig sind.<br />

» Stadler Im Bereich der menschlichen<br />

Kreativität und Intelligenz verglichen mit<br />

der künstlichen Intelligenz eines Computers<br />

– Ihrem Forschungsfeld – stellt sich<br />

die Frage, wie weit diese in einer künstlichen<br />

Musikproduktion eingesetzt werden<br />

kann und wo aus Ihrer Sicht prinzipielle<br />

Grenzen sind?<br />

» Widmer Dazu muss man zunächst festhalten,<br />

dass wir mit unserer Forschung<br />

ganz bewusst nicht in den Bereich gehen,<br />

PANOPTIKUM » Persönliche Paradigmen<br />

Der Informatiker und Wittgenstein-Preisträger 2009 Gerhard Widmer im<br />

Gespräch mit dem Wissenschaftstheoretiker Friedrich Stadler: über die<br />

Zusammenhänge von Informatik und Musik, die fehlende Lebenserfahrung<br />

von Computern und wie fundamentale Dinge zunächst in der Grundlagenforschung<br />

entstehen. Redaktion: Marc Seumenicht<br />

wo es um kreative Prozesse geht und das<br />

Schaffen von neuen Dingen aus dem<br />

Nichts. Das sind schwierige Fragen, inwieweit<br />

eine Maschine dazu in der Lage<br />

ist, das geht in die Philosophie hinein. Ich<br />

glaube, dass die Grenzen der künstlichen<br />

Intelligenz bzw. konkret für künstliche<br />

Kompositionen sehr eng gesteckt sind.<br />

Der wesentliche Faktor dabei ist, was den<br />

Menschen von der Maschine unterscheidet,<br />

nämlich eine enorm reichhaltige Lebenserfahrung<br />

und der gesamte Lebenskontext,<br />

in dem man steht und der sich<br />

jahrzehntelang angesammelt hat. Alles,<br />

was man hört, tut und sieht, interpretiert<br />

man im Kontext dessen, was man ist. Der<br />

Computer ist nichts, er hat keine Lebenserfahrung,<br />

und von ihm zu erwarten, dass<br />

er aus sich heraus überhaupt so etwas<br />

wie einen Drang verspürt, etwas Kreatives<br />

zu tun, ist für mich völlig verfehlt.<br />

» Stadler Das ist eine klare Antwort an viele<br />

Kulturpessimisten, die der Meinung sind,<br />

dass die technisierte Welt und der Computer<br />

das Menschliche zum Verschwinden<br />

bringen oder gar eine Bedrohung sein können<br />

für das Potenzial des Humanen. Wie<br />

entsteht so eine Auffassung?<br />

» Widmer Die ganze Computerisierung und<br />

Technisierung verändert natürlich schon<br />

massiv die Art und Weise, wie wir mit Dingen<br />

umgehen, wie wir zum Beispiel Texte<br />

lesen. Das mag gut oder schlecht sein, das<br />

ändert natürlich nicht die Conditio Humana<br />

im großen Sinn, es kann aber alle möglichen<br />

Effekte haben, die nicht alle wünschenswert<br />

sind. Und dazu kommt diese<br />

diffuse Angst von manchen Leuten, dass<br />

Computer quasi den Menschen überholen<br />

werden, was vielleicht auch noch von irgendwelchen<br />

Filmen geschürt wird. Das<br />

Einzige, was man machen kann, ist, Leuten<br />

erklären, was Computer können und was<br />

sie alles nicht können und warum sie das<br />

nicht können. Dann kommen wir genau zu<br />

den Fragen der Lebenserfahrung, des Lebenskontexts<br />

zurück.<br />

» Stadler Welchen Stellenwert hat die Visualisierung<br />

in Ihrem Forschungsfeld der<br />

künstlichen Intelligenz?<br />

» Widmer Wir haben es bei unserer Forschung<br />

mit riesigen Mengen von Daten<br />

zu tun. Somit ist die Visualisierung zunächst<br />

einmal ein wissenschaftliches<br />

Hilfsmittel, um ein erstes intuitives Verständnis<br />

für mögliche Strukturen in den<br />

Daten zu bekommen. Natürlich ist sie<br />

auch ein didaktisches Mittel, mit dem<br />

man dem Publikum bestimmte Dinge erklären<br />

kann. Dann muss man auch schon<br />

aufpassen, weil gute Visualisierung auch<br />

sehr sugges tiv sein kann.<br />

» Stadler Reizt es Sie, sowohl privat als<br />

auch zu wissenschaftlichen Zwecken,<br />

nach langen Reihen quantitativer Analysen<br />

auch zur Interpretation überzugehen?<br />

» Widmer Es ist fast nicht zu vermeiden,<br />

nach der Entdeckung interessanter Korrelationen<br />

oder Muster diese auch zu interpretieren.<br />

Man überlegt sich, welchen Effekt<br />

ein Interpret damit erzeugen wollte.<br />

Aber das ist dann strikt gesehen eigentlich<br />

schon jenseits dessen, was wir tun<br />

können, genauso wie ästhetische Fragen<br />

zu beurteilen oder zu beurteilen, wie eine<br />

bestimmte Interpretation auf einen Hörer<br />

wirkt. Das würde ich den Musikwissenschaftern<br />

überlassen.<br />

» Stadler Wobei auch dort die Kriterien<br />

zur Debatte stehen und die Problematik »<br />

<strong>FWF</strong>info72» 49

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!