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Am Scheideweg - FWF

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PANOPTIKUM » Persönliche Paradigmen<br />

»<br />

nicht verschwindet, wie man<br />

den Sprung vom Quantitativen ins<br />

Qualitative schafft.<br />

Können Sie uns kurz schildern, wie Ihre<br />

Absichten bei der Umsetzung Ihres hoch<br />

dotierten Wittgenstein-Projektes aussehen?<br />

» Widmer Das Wittgenstein-Projekt wird<br />

nur ein Schritt auf einer langen Reise<br />

sein, die in fünf Jahren sicher nicht beendet<br />

sein wird. Musik ist ja fast unendlich<br />

komplex. Vielleicht kann man es grob in<br />

zwei Richtungen aufteilen. Das eine, was<br />

ich schon über zehn Jahre seit meinem<br />

START-Preis tue, ist, die Frage der Musikinterpretation<br />

zu erforschen. Festzustellen,<br />

inwieweit man quantitativ festhalten<br />

kann, was Interpreten eigentlich wirklich<br />

tun, wenn sie spielen. Wie weit lässt<br />

sich das in Modellen beschreiben und<br />

vorhersagen? Wie weit ist das, was Interpreten<br />

tun, in dem Sinn notwendig, dass<br />

es alle tun müssen, damit es nach Musik<br />

klingt? Und wo ist die Grenze und wo<br />

liegt der Unterschied im Stil großer Interpreten?<br />

Das ist unsere klassische Musikinterpretationsrichtung.<br />

Das ist etwas,<br />

von dem ich behaupten möchte, dass wir<br />

das begründet haben, diese Art der Interpretationsforschung,<br />

wobei man mit dem<br />

Wort Interpretation vorsichtig sein sollte.<br />

Musikwissenschafter würden<br />

das anders nennen, eher<br />

Aufführungspraxis.<br />

Das andere ist eine ganz<br />

andere Welt, in der wir<br />

tätig sind, die Welt des<br />

50 »<strong>FWF</strong>info72<br />

digitalen Audio, die Welt von MP3-Files<br />

und MP3-Playern, von iPods und iTunes.<br />

Die Welt, wo heutzutage dutzende Millionen<br />

von Musikstücken übers Internet per<br />

Knopfdruck verfügbar sind. Da ist Computerhilfe<br />

notwendig, um mit dieser Musikvielfalt<br />

zu Rande zu kommen bzw. die<br />

Musik zu finden. Dazu braucht es Computer,<br />

die ein rudimentäres Musikverständnis<br />

haben, in dem sie sich ein<br />

Audio file anhören können und bestimmte<br />

Kriterien nachvollziehen, die wir<br />

Menschen hören.<br />

Mein großes Fernziel wäre ein Computer,<br />

mit dem man auf hohem Niveau über Musik<br />

reden kann, zu dem man sagen kann,<br />

„bitte such für mich Musik mit einem relaxten<br />

Beat, die mir ‚Chills’ gibt“, wie<br />

man so schön auf Englisch sagt. Oder<br />

Computer, die live in Echtzeit ein musikalisches<br />

Stück anhören und sagen, was<br />

dort passiert, mit denen man interagieren<br />

kann, die mit einem mitspielen.<br />

» Stadler Das würde bedeuten, dass man<br />

musikalische Stücke screenen könnte,<br />

nach Themen, Motiven, Mustern und<br />

Genres. Ist das Ihre Vision?<br />

» Widmer Teilweise geht das ja heute<br />

schon. Nicht so verfeinert, wie man das<br />

gerne hätte, aber ich kann schon in großen<br />

Musikdatenbanken nach Passagen<br />

suchen, die harmonische Abfolgen bestimmter<br />

Art haben. Es ist aber bei weitem<br />

noch nicht so, dass der Computer<br />

wirklich musikalisch-abstrakte Anfragen<br />

beantworten kann.<br />

» Stadler Wie sehen Sie den Übergang<br />

von Grundlagenforschung zur angewandten<br />

Forschung bzw. zur Umsetzung? Sie<br />

befinden sich ja mitten drin, es geht ja<br />

auch um Kommerzialisierung, und da besteht<br />

ein riesiges Potenzial. Wie sehen<br />

Sie da Ihre Positionierung zwischen diesen<br />

Erwartungshaltungen möglicher industrieller<br />

Umsetzung, kommerzieller<br />

Verwendung und Ihrem Selbstverständnis<br />

als Wissenschafter?<br />

» Widmer Ich sehe da kein Problem, ich<br />

mache auch beides. Wir machen Grundlagenforschung,<br />

aber auch gleichzeitig –<br />

das hat sich in den letzten Jahren entwickelt<br />

– viele Dinge mit Firmen, wo natürlich<br />

viele verschiedene wissenschaftliche<br />

Methoden zum Einsatz kommen.<br />

» Stadler Sind Ihre Fragestellungen durch<br />

externe Überlegungen mitbestimmt, oder<br />

ist das reines Forschungsinteresse an der<br />

Grundlagenforschung?<br />

» Widmer Letzteres. Auch unsere praktisch-angewandte<br />

Forschung, die sich in<br />

diversen Dingen widerspiegelt, ist letztlich<br />

nur dadurch möglich geworden, dass wir<br />

zunächst Grundlagenforschung betrieben<br />

haben – ohne präzises Ziel – , sondern wo<br />

es nur darum gegangen ist, „Was ist grundsätzlich<br />

möglich?“, „Können Computer<br />

Rhythmus erkennen?“, „Kann man Rhythmus<br />

algorithmisch beschreiben?“. Erst auf<br />

dieser Basis, als wir wirklich gute wissenschaftliche<br />

Resultate gehabt haben, sind<br />

wir in die Lage gekommen, mit Firmen<br />

» Friedrich Stadler ist seit September 2005 Referent des <strong>FWF</strong>-Kuratoriums<br />

für das Wissensgebiet Philosophie/Theologie. Er ist Professor<br />

für History and Philosophy of Science an der Universität Wien (Joint<br />

Appointment an der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät und an der<br />

Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaft). Begründer und seitdem<br />

wissenschaftlicher Leiter des Instituts Wiener Kreis. Gastprofessuren an der<br />

Humboldt-Universität Berlin und an der University of Minnesota (Minneapolis),<br />

zuletzt 2006/07 Fellow am Helsinki Collegium for Advanced Studies der<br />

Universität Helsinki. Seit Oktober 2009 Präsident der European Philosophy of<br />

Science Association (EPSA). Publikationen zur Wissenschaftsgeschichte und<br />

Wissenschaftstheorie sowie zur Intellectual History (Exil und Wissenschaftsemigration)<br />

und historischen Wissenschaftsforschung.<br />

Fotos: <strong>FWF</strong>/Marc Seumenicht, iStockphoto, designaffairs

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