Heimatbote 2012_Online Version - Nadesch
Heimatbote 2012_Online Version - Nadesch
Heimatbote 2012_Online Version - Nadesch
- TAGS
- heimatbote
- nadesch
- nadesch.de
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
„Hier finden uns auch die Russen nicht so leicht.“ „Hast du Angst, die<br />
Russen würden wieder kommen? Die kommen nicht mehr. Sie haben<br />
ja ihre Brut hier gelassen und uns auch noch das Kolonistenpack aus<br />
dem Erzgebirge hergeschickt, die nur Löffel schneiden können, hier<br />
aber die großen Herren spielen und dann das ganze Zigeunervolk!“<br />
Seiler Mischi, der ständig auf der Flucht vor den Erziehungsmaßnahmen<br />
seiner drei älteren Schwestern war, und ich waren im<br />
Sommer und im Herbst mehr bei den Steffens als zu Hause. Also<br />
gingen wir auch häufig mit in den Wald. Heute wollten wir uns alleine<br />
auf den Weg machen. Mischi war aus irgendeinem Grunde schon<br />
vorausgegangen. In den „7 Dörfern“, der letzten Gasse vor dem<br />
Dorfausgang, wo nur die Schwachen wohnten, wie man landläufig<br />
sagte, fühlte ich mich nie wohl. Im letzten Haus auf der linken Seite,<br />
am Fuße des Bulzerich, des höchsten Berges der Gemarkung, rief<br />
mich Lenchentanti auf ein Glas Milch herein, Milch, die sie irgendwo,<br />
möglicherweise sogar bei uns, erbettelt hatte. Balasi Lenchen war halb<br />
Ungarin, halb Sächsin und lebte allein. Unmittelbar nach dem Krieg<br />
war sie Kommunistin gewesen. Man hatte ihr aber übel mitgespielt,<br />
und sie war jetzt eine verbitterte und verarmte Frau. Sie lebte von der<br />
Nachernte, was streng verboten war. Sie mußte eine höhere<br />
Schulbildung genossen haben, denn oft saß sie mit Omama, einer<br />
gewesenen Lehrerin, in unserer Küche und sie unterhielten sich über<br />
Geschichte und andere schwierigen Dinge, die ich damals nicht<br />
verstand. Ich habe sie immer gerne gehabt, nicht zuletzt weil ich ihr<br />
aus der legendären Mansardenbibliothek meines Ungar-Großvaters oft<br />
Bücher, die meisten in ungarischer Sprache, bringen durfte. Mir<br />
prophezeite sie dann immer eine große Zukunft, „wenn diese<br />
schlechten Zeiten vorbei sind.“ Die Milch war schal und sie stillte<br />
meinen Durst nicht. „Wenn du in den Wald gehst, dann sag eurem<br />
Hansonkel, er soll mir nach der Ernte einen Sack Korn oder<br />
wenigstens Türkisches Korn (Mais) über das Geländer werfen. Das<br />
macht er aber doch nicht, denn er haßt uns Ungarn.“ „Die Walachen<br />
aber noch mehr!“ „Geh’ jetzt Karli! Ich habe zu tun.“ Der schnelle<br />
Lauf zur Brombeerhecke hatte sich nicht gelohnt, denn die Früchte<br />
waren noch ganz grün. Dafür leuchteten die dicken Pflaumen an der<br />
Abzweigung zum Wald, halblinks ging es nach Pipe, einem<br />
54